Kapitel 7

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Ich fixierte Schramme mit meinem Blick, weil er unruhig wurde. Irgendwas in seinem Ausdruck hatte sich verändert. Es lag nicht nur Wut darin, seit Momo zu Nico rübergegangen war.

„Chill", flüsterte ich ihm zu und packte ihn am Ärmel. Wenn er vorm Zeichen auf Nico zustürmen würde, wäre diese Aktion völlig umsonst gewesen. Momo wäre der einzige, der mithalten könnte, wenn das Arschloch anfangen würde zu rennen. Und wir kannten Nico. Der Typ war ein riesiger Schisser. Wenn er Gefahr roch, dann war er immer der erste, der abhaute.

Schramme sah gequält aus, als er mich anblickte. Mich ließ das Gefühl nicht los, das es das Zeichen selbst war, das ihn an der Situation störte. Ich hatte vorgeschlagen, dass Momo das Arschloch ein bisschen um den Finger wickeln sollte. Ihn ablenken. Ein bisschen Liebe verbreiten und ihn küssen, wenn Nico sich soweit hatte runterbringen lassen, dass er nicht mehr wie ein aufgestochenes Hühnchen durch die Gegend glotzte. Das war nur Mittel zum Zweck und beide hatten zugestimmt. Schramme nur widerwillig wie mir nun bewusst wurde.

Ich hielt meinen Freund weiter am Ärmel fest, während ich die anderen beiden beobachtete. Und fuck... Unser Momo war gut darin! Würde ein süßes Mädel mich so anfassen, wie er Nico anfasste, würde es mich verdammt nochmal um den Verstand bringen. Schramme schnaubte leise neben mir.

Die Szene war beinahe romantisch. Mitten in der Nacht. Sie wäre sternenklar. Woanders. Denn in der Stadt gab es keine Sterne. Niemand war zu dieser Uhrzeit in dem kleinen Park, außer ein paar Penner, die auf Bänken schliefen. Aber die interessierte sowieso nicht, was um sie herum passierte. Die beiden standen unter einer der Laternen, sodass wir sie gut sehen konnten, als Momo seinen Teamkameraden in einen innigen Kuss zog. Unser Zeichen.

Es wirkte so absurd, dass Nico so vertieft war, dass er uns nicht bemerkte, als wir aus unserem Versteck kamen. Erst als ich ihn von hinten packte und von unserem Lockvogel losriss, schien er zu realisieren, was gerade passierte.

„Fuck, ihr Arschlöcher...!" Er riss an seinen eigenen Armen und schlug mir seinen verdammten Dickschädel gegen das Kinn, doch hatte ich in meinem Leben schon genug ins Gesicht bekommen, um mich davon nicht beirren zu lassen. „Du scheiß Schwuchtel hast mich verarscht!"

Momo schob die Hände in seine Jackentaschen und spuckte seinem Mitspieler einen Kaugummi ins Gesicht. Momo kaute nie Kaugummi. Aber Nico, der erneut in meinem Griff anfing zu rangeln. „Du kleine Ratte! Schickst 'n Wachhund und Frankenstein, um deinen Scheiß zu klären oder was?!" Er wurde ein bisschen hysterisch in meinen Armen.

„Fallen dir noch irgendwelche Tiere ein, mein Schatz? Außerdem heißt es Frankensteins Monster", erklärte ich ihm und musste mir ein Lachen verkneifen, als er so merkwürdig zu mir schielte. Es war putzig wie sein Blick ängstlich wieder zurück nach vorn huschte, als sich ihm jemand ins Licht stellte.

Schramme überragte ihn, weil ich Nico mit meinem Griff ein wenig in die Knie zwang. Dabei war er nicht viel größer als ich selbst. Und im Laternenschein sah sein vernarbtes Gesicht noch angsteinflößender aus als es das ohnehin schon tat. Die Behauptung, er würde keiner Fliege etwas zu Leide tun, wäre gelogen. Denn dieser Scheißebrummer hatte seinem besten Freund eins ausgewischt und dafür würde er ihn zerquetschen.

Nico fing an zu winseln. „Scheiße, das war doch alles nur ein blöder Scherz!", kreischte er fast.

„Ein blöder Scherz, ja?" Schramme rotzte vor seine Füße.

„Ja, Mann. Ei-eine kleine Wette in der M-m-Mannschaft!"

Schramme wandte sich kurz zu Momo um und zuckte mit den Schultern, ehe er Nico die erste Faust verpasste. Dessen Nase fing an zu tropften. Das Blut vermischte sich mit Schnodder und Tränen, die ihm aus den Augen schossen. Die Suppe lief sein jämmerliches Gesicht runter. In seinen Mund. Das Kinn hinab und tropfte auf sein weißes Shirt. Es war immer wieder erschreckend. Ich wusste, wie sich der Schmerz anfühlte. Ich wusste, wie es sich anfühlte, auf die Fresse zu bekommen. Schläge in die Rippen zu bekommen. Tritte in den Magen. Und trotzdem verspürte ich nichts als pure Freude, wenn ich das Arschloch meinem Freund erneut entgegen schupste. Nichts als Adrenalin, wenn ich ihn festhielt und mir bei jedem Faustschlag von Schramme sein Blut ins Gesicht spritzte. Es fühlte sich wie ein Rausch an, als ich ihn wie einen nassen Sack zu Boden fallen ließ und er stöhnte und zu schwach war, um sich zusammenzurollen.

Schramme hockte sich über ihn und packte ihn am blutverschmierten Kinn. Seine eigenen Fingerknöchel waren klebrig und glänzten rot im flackernden Licht der Straßenlaterne. „Hör zu, du kleiner Hurensohn." Ich bildete mir ein, die Vibration seiner rauen Stimme in meiner eigenen Brust zu spüren. „Wenn du das nächste Mal 'nen Blowjob von 'nem hübschen Jungen bekommst, dann genieß es doch einfach, statt sein Leben zu zerstören, hm?" Er patschte sanft seine Hand gegen Nicos Wange. „Keiner will ungefragt bei sowas gefilmt werden." Schramme ließ von ihm ab und richtete sich auf. „Bin fertig. Lass uns abhauen." Er wandte sich von seinem Opfer ab und ich folgte ihm.

„Scheiß Feigling...! Schlägst nicht mal selbst zu", stöhnte Nico. Man hörte, dass er beim reden spuckte.

Momo, der sich mit uns in Bewegung gesetzt hatte, blieb wieder stehen. Er drehte sich zu seinem Kameraden um und zuckte mit den Schultern. „Weißt du, Nico. Ich bin nicht so der Schläger. Sonst wäre ich vielleicht zum Boxen gegangen?" Er ging auf den Verprügelten zu, der breitbeinig auf dem Rücken lag. „Aber hm... Vielleicht hast du es mitbekommen? Ich spiele Fußball." Momo nahm die Hände aus den Taschen, holte aus und trat dem Pisser mit voller Wucht in die Weichteile, sodass ich beim Anblick selbst ein bisschen in die Knie zuckte. Nico rollte sich heulend auf die Seite, doch Momo packte ihn am Kragen und schrie lauthals in dessen geschwollenes Gesicht. Ein Schrei aus tiefster Seele. Ein Schrei, der sich anfühlte als hätte er bereits viel zu lange in seiner Kehle festgesteckt. Ein kleiner emotionaler Ausbruch, den unser Freund für immer hatte für sich behalten wollen. Es brach mir das Herz, ihn so zu hören.

Er warf Nico zurück in den Dreck und kam zu uns zurück. „Das war für den beschissenen Profivertrag", brummte er, als hätte er sich dafür bei uns entschuldigen müssen. Momo warf seine Arme um unsere Nacken und ließ sich ein Stück von uns tragen, während wir uns auf den Heimweg machten.

I cry a lot Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt