Kapitel 70 - Auf der Insel im Wind 5

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Im Nu war Weihnachten gekommen.
Alle tauschten liebevoll verpackte Geschenke aus, nur Kleinigkeiten, aber mit dem Herzen ausgesucht.

Maja hatte in ihrem Verlag ein Büchlein für Felix drucken lassen mit dem Titel: „Warum ich dich liebe!" – einer Art Tagebuch, in dem sie ihm ihre innersten Gedanken offenbarte. Es verließ nie mehr den Platz auf allen Nachttischen, die neben seinem Bett standen.

Felix hatte ihr eine App geschrieben, die ein ausgeklügeltes Schreibprogramm beinhaltete, mit dem sie unterwegs ihre Gedanken auf dem Handy festhalten konnte. Jede Seite, die sich öffnete, begann mit „Ich liebe dich!" und einem immer anderen Foto von ihm.
„Na, da komme ich bestimmt viel zum Schreiben! Da muss ich ja dauernd die Fotos ansehen!" zog sie ihn auf.
„Ich weiß doch, wie gerne du Fotos von mir ansiehst!" hielt er anzüglich dagegen.

Nach der Bescherung gab es ein ganz traditionelles deutsches Weihnachtsessen: Bockwürste und Kartoffelsalat. Die Männer hatten Berge von Kartoffeln gekocht, geschält und geschnitten, Mischa hatte den Salat angemacht.

Es wurde das fröhlichste Weihnachtsfest für alle, das sie je erlebt hatten.
Tim dachte an seine Familie. Wahrscheinlich hatte Sibylle das Haus voller Gäste, alle aus der High-Society natürlich. Diese Weihnachtsempfänge waren in den letzten Jahren immer beliebter geworden, so dass nicht einmal mehr die Feiertage den Familien vergönnt gewesen waren.

Um zehn Uhr abends fuhren alle zur Christmette, ein wunderbares Erlebnis! Die Großeltern konnten das ganze Glück nicht fassen, das sie hier auf der Insel mit diesen wunderbaren jungen Menschen erleben durften.

Katharina und Oskar dachten auch an ihre Münchner Familie, an die durchgeknallten Enkelkinder dort, an die eiskalte, ehemalige Schwiegertochter. Wie viel mehr Wärme gab es hier - und nicht nur wegen der Temperaturen.

Richard dachte an seine Tochter, als er sie abgeholt hatte, wie sie geweint hatte, weil sie sich noch von Tim verabschieden wollte! Wie stur er sie gezwungen hatte, mitzukommen, weil sein Auto im Halteverbot gestanden hatte.

Wie er im Rückspiegel den jungen Mann mit den langen Haaren gesehen hatte, der verzweifelt seinem Wagen nachgelaufen war – diesen jungen Mann, der heute neben ihm in der Kirche saß, während seine Tochter schon lange in ihrem Grab lag.

Und wieder bat er sie um Vergebung, auch für seine grausame Haltung danach, als er erfahren hatte, dass sie schwanger war, schwanger mit diesem Prachtburschen vor ihm.
Er litt und büßte viel, seit Maja bei ihnen aufgetaucht war, aber er durfte auch die glücklichsten Stunden seines Lebens erleben, obwohl er das nicht verdient hatte!

Sie sangen inbrünstig alle Weihnachtslieder mit, ein paar von ihnen auf Deutsch, ein paar auf Spanisch.
Auch Maja durfte singen, weil in der großen Menschenmenge ihre schiefen Töne niemanden störten.

In der Villa hatte Joana eine kräftige Mitternachtssuppe vorbereitet, die allen noch sehr gut tat.

Am ersten Feiertag klingelte Tims Telefon. Sein Sohn rief an, wünschte Frohe Weihnachten, fragte, wo der Vater denn Heiligabend verbracht hatte.
Er klang freundlicher als in den Tagen der Trennung, erzählte von der Weihnachtsparty, ließ aber durchblicken, dass es ihn angeödet hatte.
Tim erzählte von seinem neuen Sohn, von der Villa, von Maja, von seinem neuen Leben.

Kilian hörte interessiert zu, spürte eine seltsame Sehnsucht in sich. Er hatte sein Leben zurzeit gründlich satt, und er vermisste seinen Vater.

„Das hört sich gut an!" stieß er hervor.

Tim fragte nach den Töchtern, aber da hatte sich nichts geändert.
Er hatte eine spontane Idee. Vielleicht sollte er Felix fragen, aber wie er ihn einschätzte, hatte er nichts dagegen. „Komm halt her!" schlug er seinem 22Jährigen vor. „In vier Stunden bist du da!"
„Meinst du, das geht? Ich kann ja auch in einem Hotel schlafen!" Kilian war überrascht, freute sich aber auch sehr.

Der Hass wird nicht siegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt