Kapitel 51

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Es ist das allererste Weihnachten an meinem Arbeitsplatz, das mich aufblühen lässt. Den Tannenbaum in der Lobby habe ich ausgesucht! Und ich habe ihn mit einigen Kollegen aus den unteren Etagen geschmückt. Zwar bin ich fast von der Leiter gefallen, aber immerhin waren genug Hände da, um mich zu halten! Dass ausgerechnet Miran in diesem speziellen Moment in die Lobby trat, als mehrere männliche Hände prophylaktisch meine Beine festhielten, war nicht sonderlich prickelnd, aber das ist doch besser als ein gebrochenes Genick, oder? Susi und ich haben beschlossen, Kekse für die Etage zu backen, und laut meiner Umfrage sind 82 Prozent für eine Weihnachtsfeier, 15 Prozent ist es egal und die restlichen 3 Prozent waren dagegen. Na ja, die sind nicht sonderlich von Relevanz. Ich rolle singend zu Dard - E - Disco den Keksteig aus, während Miran gerade am Duschen ist. Sonntags trainiert er besonders ausgelassen, weil er dort mehr Zeit hat – und weil wir ein Heimstudio besitzen. Immerhin müssen sich diese 14 oder 15 Millionen auszahlen. Kaum zu glauben, wie schnell die Monate vergangen sind. Unsere Hochzeit, der 08. August, kommt mir nicht älter als zwei Wochen vor und nun betrachte ich unseren zugeschneiten Garten durch das riesige Küchenfenster.

Mich reißt mein Klingelton aus meiner Faszination zum sanften Schneefall. Narin ruft an.
"Hi, Narin."
"Hey, Shirin", erwidert sie weniger dynamisch. Mein Lächeln fällt.
"Ist alles in Ordnung?"
"Ja, ist Miran da?" Aber ... wieso fragt sie, wenn sie ihn selbst anrufen kann? Ach, er ist am Duschen.
"Er duscht gerade. Soll ich ihm etwas ausrichten?" Ich warte und warte, doch außer eine bedrückende Stille folgt nichts. Das ist ungewohnt für Narin.
"Unser Vater ist verstorben."
Ich halte die Luft an ... oh Gott. Ist Miran überhaupt noch im Badezimmer?
"Ich ... ich schaue, wo er ist. Ist bei dir alles in Ordnung? Sollen wir zu dir oder du zu uns?"
"Nein ... ich weiß nicht. Vielleicht. Keine Ahnung." Narin seufzt am Ende.
"Sidar macht sich gerade auf den Weg zu mir. Ich bin gerade überfordert." Und ich erst!
Mein Blick gleitet in den Flur und wieder zurück. Von Miran ist weit und breit keine Spur.
"Ich schaue nach ihm und dann schreibe ich dir, ja?"
"Okay."
"Mein Beileid." Ich verziehe mein Gesicht, viel zu unsicher, ob Narin so etwas hören möchte bei der Beziehung, die sie zu ihrem Vater hatte.
"Danke."

Kaum legt sie auf, laufe ich die Treppen hoch. "Miran?" "Im Badezimmer." Ich halte einen Moment inne. Er hört sich normal an. Wahrscheinlich weiß er noch nichts von der Nachricht. Miran steht gerade oberkörperfrei vor dem Badezimmerspiegel und sprüht sich sein Parfüm auf. Als er mich anschaut, lächelt er sanft. "Komm her, du hast Mehl in deinen Haaren und an deiner Wange." Er streckt seine Hand zu mir aus, um mich an das Waschbecken zu ziehen und mich mit Wasser vom Mehl zu befreien. "Sind die Kekse schon im Ofen?" "Nein, habe gerade erst den Teig ausgerollt." "Gut", murmelt er in meine Halsbeuge. Mich beschleicht ein unwohles Gefühl, weil ich ihm den Tod seines Vaters mitteilen muss, obwohl er gerade zufrieden und glücklich wirkt. "Möchtest du mit mir in die Küche oder hast du noch etwas zu erledigen?" "Es ist Sonntag. Die Arbeit hat zu warten." Damit zieht er mich die Treppen hinab, bis wir vor dem Keksteig stehen. Ich muss es ihm sagen. Jetzt. "Hat Narin oder Sidar dich angerufen?" "Mein Handy liegt im Schlafzimmer, daher kann ich dir nichts sagen. Wieso?" Oh Mann. Ich kratze meine Nasenspitze. "Sind Eierschalen im Teig oder wieso bist du nervös?" Ich wünschte, das wäre das Problem. "Nein", setze ich seufzend an, ehe ich seine Hand nehme. 

"Dein Vater ist verstorben, Miran." Sein sanftes Lächeln nimmt langsam ab, weshalb ich seine Hand fester drücke und sie gegen meinen Hals schmiege. "Narin hat mich gerade eben angerufen und es mir mitgeteilt. Sie wirkt überfordert." Und er sprachlos. Ich sehe keine Trauer, keine Wut. Das leichte Zusammenziehen seiner Augenbrauen kann ich keiner Emotion zuordnen. "Wenn ich dich in Ruhe lassen soll –" "Nein", setzt er leise an. "Ich weiß selbst nicht, wie ich damit umzugehen habe." "Verständlich." Ich fahre trostspendend über seinen Unterarm. "Ich schätze, das gilt auch für deine Geschwister." Mir kommt noch eine Person in den Sinn, doch ob die Erwähnung seiner Mutter jetzt passend ist, weiß ich nicht. "Soll ich Narin schreiben, dass sie und Sidar zu uns kommen sollen?" Er fährt sich seufzend über sein Gesicht. "Ich weiß es nicht. Gerade habe ich keinen Bedarf, allzu viele Menschen zu sehen." Auch okay. "Dann schreibe ich ihr eben, ja? Setz dich doch." Miran lächelt leicht und schenkt mir einen Kuss auf die Stirn, ehe er sich ins Wohnzimmer setzt.

Tollpatschige LiebeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt