Kapitel 17

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Weiterhin lehnt Chris an der Wand, hält seinen Blick die ganze Zeit bei mir und hört so nebenbei auch zu, was ich mit meinem Bruder noch berede. Dabei waren es nur die obligatorischen Fragen, was und wie wir das zwischen uns besprochen haben und Baptiste hat leider noch nicht die Erfahrung gemacht, dass Chris ihn auch dann verstehen kann, wenn er mit mir auf unserer Muttersprache spricht. Das wird er noch früh genug lernen.

Stumm lacht Chris im Hintergrund, als mein kleiner Neffe etwas zu meinem Bruder sagt, was eben lustig ist. Zumindest für uns beide. Für Baptiste bedeutet es später ein wenig Arbeit, aber das soll uns nicht kümmern. Während er dort mit seinem Sohn diskutiert, drücke ich einmal auf mein Handy, schalte mich selbst stumm, damit ich danach zu Chris hinschauen kann, wobei ihm auch beinahe zeitgleich das Lachen vergeht.
Juliette: Warum stehst du da einfach am Rande?"
Eine zu lange Zeit regt er sich gar nicht, dann blickt er sich unsicher um, bevor er wortlos mit den Schultern zuckt und wirkt in seiner gesamten Haltung sehr zurückhaltend. Lachend atme ich aus, deute mit meiner Hand neben mich aufs Sofa und versuche die ganze Zeit mit der Aufmerksamkeit bei ihm zu bleiben.
Juliette: Ich habe nichts dagegen, wenn du mit hier bist, aber dann komm doch richtig mit her. Baptiste muss gleich sowieso wieder weg."
Allerdings schüttelt Chris sofort danach seinen Kopf und zeigt mir einen etwas zu entsetzten Blick, als hätte ich gerade etwas komplett absurdes vorgeschlagen. Ein Blick auf mein Handy später zeigt, dass Baptiste noch immer mit seinen Sohn redet und verhandelt, somit mich noch gar nicht wieder beachtet. Deswegen schaue ich wieder zu Chris, der verhalten an der Tür lehnt, seinen Blick von mir fernhält und auf seiner Lippe kaut.
Juliette: Warum willst du dort im Hintergrund deiner Wohnung verschwinden und dich vor meinem Bruder versteckt halten?
Chris: Weil ich den Mut nicht aufbringen kann, ihm unter die Augen zu treten."

Ich schaue zu Chris hin, wende mich nach und nach auch weiter von meinem Bruder ab, setze mich etwas besser in seine Richtung und beobachte ihn die ganze Zeit. Dabei bekomme ich mit, dass seine zuerst nervöse Art immer genervter wird. Er beißt die Zähne aufeinander, verschränkt die Arme vor sich, ball seine Hände zu Fäusten und hält seine Augen vorerst noch geschlossen.
Juliette: Was meinst du damit?"
Chris: Was für ein Arsch muss ich in den Augen deines Bruders bitte sein? Irgendein Typ, der seine kleine Schwester knappe drei Jahre flachgelegt hat, einfach nur so? Und der es dann, als es ernst wurde, nicht mal gebacken bekommen hat ihr auf eine verdammte WhatsApp zu antworten, weil er dafür ein zu großer Feigling gewesen ist? Bester erster Eindruck, den man beim Bruder der Freundin machen kann."
Mit den Händen drücke ich mich vom Sofa ab, stehe im nächsten Moment auf und gehe zu Chris hin, der dann auch seine Arme und seinen Kopf fallenlässt, als ich bei ihm bin.
Chris: Ich wünschte einfach, ich hätte mich damals anders verhalten und wäre nicht zu lange einfach nur ein toxischer Lover gewesen."
Juliette: Was gewesen ist, ist egal, Chris."
Meine eine Hand lege ich unter seinen Kopf und hebe den damit so an, dass er mich wieder anschauen muss. Dabei wage ich mich an ein sanftes Lächeln.
Juliette: Baptiste weiß, dass ich dich wegen deiner Art liebe. Vieles, was du in den letzten sechs Monaten für mich getan hast, fand er liebenswürdig. Jede kleine Geste, jeder kleine Moment, wie du mich verstanden und angenommen hast. Du hast so viel mehr getan, als nur das Schlechte und das weiß mein Bruder...und vor allem weiß ich das."

Auf sein eigenes verlegenes Lächeln gebe ich ihm kurz einen sanften Kuss, bevor ich wieder zu meinem Handy und meinem Bruder zurückgehe. Mit einem »entschuldige, ich musste das mit Louis klären« scheint er nicht mal mitbekommen zu haben, dass ich weg gewesen bin. Und aufgrund seines Sohnes hat er danach auch kaum mehr Zeit mit mir zu sprechen. Die letzten Momente, die ich mit Baptiste rede, steht Chris im Hintergrund, lächelt mich an und es scheint so, dass er die Sache mit meinem Bruder zumindest für den Augenblick vergessen hat.

Das Telefonat mit Baptiste ist zu Ende, ich werde wieder auf den Chat von uns beiden zurückgeschickt, nehme das Handy, schalte es aus uns lasse es danach auf dem Sofa liegen. Ich atme einmal durch und lasse den Blick danach zu meinem lächelnden Freund wandern, der mich mit dieser Art wieder zum Lachen bringt.
Juliette: Was ist los?"
Verlegen und unsicher lacht er, wendet das erste Mal seinen Blick von mir ab. Als hätte ich ihm bei irgendwas ertappt. Das kann auch der Grund sein, warum Chris auf meine Frage erst lacht, danach überlegt, zu mir aufschaut, nur um danach nochmal zu Boden zu schauen, bevor er mich ansieht.
Chris: Machen wir uns einen gemütlichen Abend? Bisschen Musik im Hintergrund, einen Wein, ein paar nette Gespräche."
Ich brauche gar nicht lange zu überlegen, sondern kann sogleich ihm sagen und zeigen, dass das eine gute Idee von ihm gewesen ist. Lachend stößt er sich dann von der Tür ab und geht durch die Seitentür in die Küche, wo ich ihn auch wieder sehen kann.
Chris: Musst du morgen zur Halle fahren?"
Eigentlich bedeutet das auch gleich, dass er mich zur Halle fahren muss. Mein Auto steht auf meinem Hof, vor meinem Haus in Bünde und da bin ich gerade immerhin nicht.
Juliette: Ich denke, dass ich morgen mal nicht zur Halle muss. Bin gut in der Zeit."
Mit zwei Gläsern in der Hand kommt er zu mir, lächelt frech und stellt diese beide ab.
Chris: Sehr schön."

Im Hintergrund läuft leise der nächste Titel, »505« von Chris' Playlist, das erste Glas Wein ist bereits etwas leerer und wir beide haben uns gemütlich aufs Sofa gesetzt, haben eben erste Ideen wegen des Urlaubs gesponnen und genießen einfach die Ruhe zu zweit.
Chris: Dein Bruder klingt eigentlich ziemlich freundlich."
Seinen Blick hält er im Weinglas gesenkt, versucht sein leichtes Lächeln mir nicht zu sehr zu zeigen und dennoch freut es mich, dass er sowas über meinen Bruder sagt und denkt.
Chris: Wie er auch vorhin mit seinem Sohn gesprochen hatte und dass er mich und uns nicht gleich bereits im Chat verflucht hat."
Zuerst wirkt es so, als würde er aufschauen wollen, allerdings setzt er zu einem Satz an, beißt sich einmal auf die Lippe, bevor er es doch hervorbringt.
Chris: Glaubst du, dass er mich mögen wird?"
Sein Glas schwenkt er hin und her, schaut noch immer nicht auf, bis ich ein bisschen zu lange leise bin. Erst dann schaut er auf und bekommt mit, dass ich lächle und nicken muss.
Juliette: Ja, er konnte dich wegen unserer Beziehung nicht leiden, aber seitdem er dich das erste Mal gesehen hat, musste er seine Meinung ändern."
Meine freie Hand lasse ich über sein Bein streichen, schaue dort erst noch hin, bis ich mich doch wieder dazu entscheide, ihm in die Augen zu sehen.
Juliette: Er sieht, was du machst, wer du in Wirklichkeit bist und was du mir bedeutest."
Chris: Und was?"

Du mieser, kleiner...ich lache, lasse meine Hand kurz auf seinem Bein ruhen, bevor ich eben diese an seinen Kopf lege, ihm etwas näher komme und bemerke, dass er eben das auch wollte. Ehrlich, dass wir beide das auch wollen.
Juliette: Gerade? Sehr viel, weil ich bei dir einfach ich selbst sein kann und von dir eben genauso geliebt werde. Vielleicht kann ich mich dadurch auch irgendwann wieder so lieben, wie ich bin."
Chris: Ich hoffe, dass du dich irgendwann mal durch meine Augen sehen könntest, dann würdest du merken, wie wunderschön du bist. Äußerlich, aber vor allem deine Seele."
Ich wünschte, dass ich ihn weiterhin anschauen könnte, allerdings schaffe ich das einfach nicht. Stattdessen muss ich verlegen lachen – warum muss du auch etwas so kitschig-süßes zu mir sagen, wobei ich gar nicht damit umgehen kann – und lasse meine Hand dabei auch auf seine Schulter gleiten.
Juliette: Entschuldige...ich bin es einfach nicht gewohnt, dass man sowas zu mir sagt."
Nach meiner Hand auf seiner Schulter wird plötzlich gegriffen, sie wird von ihm festgehalten und dadurch schaue ich auf, zuerst zu unseren beiden Händen und danach wieder zu Chris hin.
Chris: Das ist okay. Ich werde es so lange sagen, bis du es eines Tages begreifen kannst."
Ich will nicht rot werden, ich will nicht verlegen lachen, ich will nicht grinsen. Vergebens.
Chris: Noch ein Glas Wein, July?"
Juliette: Dringend."

Ich sollte mich nicht hinter dem Glas Wein verstecken, aber das alles hier ist noch irgendwie zu neu für mich. Andy war ganz anders, hat niemals irgendwas in diese Richtung gesagt und ich habe kein gutes Bild über mich selbst. Nachdem mir Chris das Glas wieder in die Hand gegeben hat, greife ich sogleich nach seiner freien Hand, damit ich diese halten kann. Während der nebenher laufenden Gesprächen schaue ich immer wieder darauf hinab, lächle ihn ab und an wieder an, bekomme sein zufriedenes Grinsen zu Gesicht und wir beide leeren in der nächsten Stunde das zweite Glas nach und nach.

Zuerst stellt Chris sein Glas zur Seite, bevor er ebenfalls auch meines, was mittlerweile ebenfalls leer geworden ist, nimmt und mit auf den Tisch stellet. Das macht er nur, damit er danach seine freie Hand auf meinen Rücken legen kann, sodass er mich dazu bringt, dass ich näher zu ihm kommen muss. Ich habe nichts dagegen, ziehe mich an seiner Hand noch weiter zu ihm, woraufhin wir einander so nahe sind, dass uns eigentlich kaum mehr etwas trennt. Würde Chris es jetzt darauf anlegen, seinen Arm um mich legen und mich zu sich zerren, würde ich im nächsten Augenblick auf ihm zum Sitzen kommen.
Chris: Ist es seltsam, wenn ich sage, dass ich in den letzten Wochen deine Nähe vermisst habe?"
Juliette: Nein..."
Ich lasse ihn los, damit ich meine Hände hinter seinen Kopf, in sein Haar, packen kann, damit er nicht aufhören würde mich anzuschauen.
Juliette: Ich vermisse deine, seit der Sache ich München..."
Sein glückliches Grinsen wird in unserem ersten Kuss erstickt, der sich noch ziemlich liebevoll anfühlt. Ehrlich, diese Nähe hat uns beiden irgendwie gefehlt...

Never Less Than a LoverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt