-Sie- 7: Rotkäppchen

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Es ist gemütlich in dem eigenen Bett aufzuwachen, nachdem man so lange auf alten Holzboden geschlafen hatte. In drei Tagen werde ich zur Königin gekrönt. Dann werde ich meinen Teil des Deals erfüllen und Kieran Freiheit schenken. Deal ist Deal. Langsam schlenderte ich durch den Palast. Es war nichts kaputt oder verändert. Wahrscheinlich hatten die Angreifer nicht mal das Schloss erreicht und wurden von Wachen verhaftet oder getötet. Die Treppen runter, durch den langen Korridor und durchs die Nebentür. Ich dachte, ich wäre alleine hier draußen im riesigen Vorgarten meiner Eltern. Ich war es nicht. Er stand dort und blickte zum Horizont. Die Sonne war noch nicht aufgegangen.
„Auch schon wach?" fragte ich und ging an den Rosenbüschen vorbei und stellte mich neben Bakston. „Ich hörte, Wölfe sind nachtaktiv." murmelte er und drehte sich zu mir.
„Ich muss zurück." ,fuhr er fort, „Vor Sonnenuntergang. Ich habe circa eine halbe Stunde noch."
„Mit der Zeit kann man viel anfangen, Wolf." erwiderte ich und drehte mich zu ihm, sodass wir voreinander standen. „Nenne ein Beispiel, Rotkäppchen." erwiderte er und blickte mir ruhig in die Augen.
Ich schmunzelte und blickte zu den vielen verschiedenen Pflanzen, die wie eine Art Labyrinth aufgestellt wurden. Er hatte bitte gesagt. Noch vor einer Woche hatte er mich gehasst. Noch vor einer Woche... habe ich ihn gehasst. Schnell kam ich zurück zum Thema.
„Diese hässlichen Pflanzen abreißen."
„Ich bin glücklich nicht der einzige zu sein, das diesen Dschungel komplett zerstört will." sagte er dazu und lachte kurz. Ich blickte wieder zu ihm.
„Ich sollte gehen, Prinzessin." fügte er dann hinzu. Wir würden uns nie wieder sehen. Ich mochte Kieran mehr als ich ursprünglich geplant hatte, bemerkte ich plötzlich.

„Bitte bleib. Ich- äh."
„Du suchst eine Ausrede, damit ich bleibe, richtig?" stellte der Dieb fest. Ich atmete tief durch und nickte.
„Du wirst bald Königin, habe ich gehört." wechselte er das Thema und ich erwiedere: „Ja. Ich möchte aber nicht. Ich hasse es Kontrolle zu haben. Ich hasse es Befehle zu geben. Ich werde aber Kontrolle haben müssen und Befehle geben können..." Ich fühlte mich sicher bei ihm, als könnte ich ihm alles anvertrauen. Meine Augen trafen auf seine. Er wirkte nachdenklich.
„Ich kann nicht bleiben. Aber ich kann dir einen letzten Kuss geben, Rotkäppchen."
Wie bitte? Einen letzten Kuss? Er wollte mich küssen?! Meine Gedanken waren plötzlich Blank. Ich wusste nicht was ich davon halten sollte. Einerseits... liebte ich ihn. Andererseits war es verboten. Also nickte ich. Ich wollte verbotene Sachen tun.
Plötzlich spürte ich Kierans Arm an meiner Hüfte. Er zog mich zu sich. Mein Herz begann zehnmal schneller zu klopfen. Diese grünen Augen. So tief wie ein Dschungel. Ich konnte nichts darin erkennen, wusste aber, dass tief in diesem Dschungel ein liebenswerter und lustiger Typ war. Ich wusste es einfach.
Langsam lehnte er sich zu mir. In seinem rechten Augen war ein Streifen blau gemischt. Wunderschön. Er kam immer näher. Als wir nur noch wenige Zentimeter voneinander weg waren schloss ich die Augen. Im nächsten Moment spürte ich Kierans weiche Lippen auf meinen. Zärtlich und liebevoll. Nach einigen Sekunden löste er den Kuss. Ich traute mich meine Augen zu öffnen oder mich irgendwie zu bewegen. Immernoch fühlte ich seinen warmen, nach Honig riechenden, Atem an meinen Lippen.
Leise flüsterte er:
„Ich liebe dich, Rotkäppchen."

Im nächsten Moment hörte ich eine laute Stimme, mir bekannte Stimme, rufen: „Weg von meiner Tochter!"
Ich öffnete die Augen und sah wie Kierans Hand von meiner Hüfte verschwand und er ein paar Schritte zurück trat. Mein Vater kam zu uns. Er hatte es gesehen. Verdammt. „Vanya. Er ist ein Dieb! Du solltest dir einen Prinzen und keinen Gauner suchen! Du darfst keine Wilde Diebin werden! Das schadet dem Stammbaum! Du wirst eine anständige und kluge Königin!" schrie er mich an. Sofort ging ich einen Schritt zurück. Ich wollte mich nicht wehren. Ich konnte nicht. Dann wendete er sich zu Kieran. Dieser stand still da und blickte auf den Boden. „Wenn du meiner Tochter noch einmal zu nahe kommen dann-„
„Was dann?" sagte Kieran eiskalt und hob den Kopf, nur um den König ruhig aber voller Wut anzusehen. „Töten sie mich? Foltern? Einsperren? Ich kenne das alles schon. Das ist nichts Neues für mich. Ich bin ein Dieb. Dieses Land tötet Leute wie mich. Leute wie mich. Früher waren alle gleich. In Kirkona. Vor 800 Jahren. Früher... wurde man nicht dafür bestraft woher man kam." beendete er seine Rede.

„DORT. ANGRIFF!" wir drehten uns um. Was zum- mehr als ein Dutzend Männer mit Waffen rannten durch den Garten in unsere Richtung. Die Angreifer aus Wartunia. „Ich hole Verstärkung." rief mein Vater und verschwand durch die Tür im Schloss. Er floh, nur, damit er nicht zugeben musste das Kieran recht hatte. Der Dieb blickte still auf die Angreifer, die immer näher kamen. Blitzschnell analysierte er die Lage und ging verschiedene Szenarien durch, wie dieser Kampf enden würde. Dann schloss er für einen Moment die Augen und trat einen Schritt zurück. Er atmete tief durch. Was tat er da? Dachte er nach? Ich stellte mich hinter Kieran, um auf irgendeine Art geschützt zu sein. Was taten wir nun? Plötzlich ging er ein paar Schritte vor und bevor ich realisieren konnte was geschehen war, lagen die ersten fünf Gegner schon am Boden. Als wäre er ein Ninja trat und schlug der Dieb zu. Wie tat er das? Noch vor ein paar Tagen war er über zwei Stöcker gestolpert. Kieran wich allen Schlägen aus, als wäre es Alltag für ihn. Mittlerweile lagen 12 Angreifer besiegt am Boden. Kieran drehte sich zu mir mit Händen in den Taschen. Er hatte niemand getötet, aber schwer verletzt. Meine Augen trafen seine. Er lächelte. Wie konnte er bei sowas lächeln? Ich erschreckte mich als ich merkte das seine Smaragdgrünen Augen die Farbe der roten Rosen angenommen hatten.

Wie zum Teufel ging das? Das war unmöglich!
„Deine Augen-„ bevor ich weiter sprechen könnte, sprang plötzlich ein Gegner von hinten an Kieran. Blitzschnell drehte er sich um und eine Art rotes Licht entstand in Kierans Hand. Die Hand drückte er gegen die Brust des Gegners, worauf dieser direkt zu Boden sank. Dann entdeckte ich einen nächsten Feind. Ich wollte Bakston warnen, doch es war zu spät. Dann ging alles wie in Zeitlupe. Ein Messer wurde in Kierans Oberschenkel gestochen und das andere befand sich plötzlich tief in seiner Schulter. Er sank zu Boden. Ich war wie eingefroren und konnte keinen klaren Gedanken fassen. Der Feind lachte, doch bevor er einen weiteren Schritt machen konnte, erschoss einer der Wachen den Angreifer. Ich rannte zu Kieran, ohne über Vater oder die Feinde nachzudenken. Dann kniete ich neben Kieran und stütze seinen Kopf mit meiner Hand.
„Was hast du getan?" murmelte ich.
Kieran lächelte nur erschöpft und antwortete lächelnd:
„Mein Rotkäppchen beschützt..."
Mein Kopf wollte nach Hilfe schreien, doch dann realisierte ich das niemand einem Dieb helfen würde und das die Wunden zu tief waren. Es ist zu spät für Hilfe. Ich hatte so viele Fragen. Dieses rote Licht. Die roten Augen.
Er konnte meine Fragen in meinen Augen sehen.
„Du wirst mir nicht glauben..."
„Was glauben?" reagierte ich schnell.
„Die Legende von dem dunklen Prinzen, der über 800 Jahre alt ist... und erst stirbst wenn Kirkona wieder lebt... Sein Name ist Kieran Bakston..." erzählte er erschöpft.
Kieran... Er ist der dunkle Prinz? Ein Prinz? Über 800 Jahre alt? Zu viele Fragen spukten in meinem Kopf. Die einzige die ich stellte war allerdings: „Wenn du unsterblich bist, solltest du Jetzt nicht sterben..." Dann spürte ich seine Hand an meiner Wange. Er lächelte nur und antwortete nicht. Seine Klamotten waren mit Blut bedeckt und ich begann zu weinen. Ich fühlte mich zu hilflos, weil ich nicht helfen konnte. Ich wollte ihn einfach nicht loslassen... Mein Dieb. Meine Liebe. Nein. Nein. Nein. Nein!
„Rotkäppchen?" hörte ich seine ruhige Stimme. Ich blickte zu ihm. Seine roten Augen wurden wieder grün.
„Ich liebe dich, Mein Rotkäppchen..."
„Ich- Ich dich auch... Ich liebe dich... Ich liebe dich. Ich liebe dich" wiederholte ich und legte meinen Kopf hilflos auf seine Brust.
„Bleib bitte bei mir, Wolf." brachte ich schwach aus mir. Meine Augen trafen auf seine grünen Augen. Er sah so verletzt aus. Ich entdeckte aber keine Traurigkeit.
„Der böse Wolf hat nach 800 Jahren... seine Liebe des Lebens gefunden." murmelte er schwach und lächelte. Ich sagte nichts. Dann schloss er seine Augen und flüsterte: „Eine zu lange Zeit für den einsamen Wolf..."

Sein Herz hörte auf zu schlagen bevor die Sonne auf ging...

Kirkonas VergangenheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt