Kapitel 21

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Smilla:
Der Boden unter mir fühlt sich weich an, als ich aus meinem Schlafzimmer heraustrete. Der alte Dielenholzboden, ist nicht mehr trist und braun, sondern ziert Farben von hellem Grau, Weinrot und Dunkelblau. Ich sehe nach unten. Unter meinen Socken, kann ich einzelne Kleidungsstücke von ihm sehen. Schlagartig wird mir warm. Von ihm. Wahrhaftig von ihm. Seine Kleidungsstücke zieren meinen Fußboden. Ich sehe nach oben und blicke in zwei Rehbraune Augen. „Frohe Weihnachten, kleines Nordlicht. Kjell und ich dachten uns, da Aros bei uns wohnen darf, warum Leif nicht auch ?"..hat er gerade ‚bei uns' gesagt ? Hat Wincent, gerade eben, das hier, unser Zuhause genannt?. Leifs Lieblingskleidungsstücke liegen fein zusammen genäht, in verschiedengroßen Vierecken, auf meinen Holzboden. „Woher hast du all seine Kleidung?" Frage ich noch immer zu Wincent gerichtet. „Kjell hat sie mir gegeben und Alma hat sie zusammen genäht." flüstert er und wischt mir die Tränen aus dem Gesicht. „Die Dame aus dem Nähladen in der Stadt, hat sie alle für dich zusammen genäht. Ich wusste nicht was ich dir schenken kann, dann dachte ich, frage ich doch Kjell, ob er eine Idee hat, die du auch auf unseren Reisen mitnehmen kannst, damit Leif immer an deiner Seite sein kann, auch wenn du gerade nicht in Norwegen sein kannst." Wenn ich einmal nicht mehr in Norwegen sein kann.. Ich kann es mir nicht vorstellen. Norwegen ist der Ort, den ich noch nie verlassen habe, der Ort, an dem Grausames passierte und der Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Mein Zuhause, mein Anker.
Während Wincent und seine Familie, sich über die Geschenke hermachen, kann ich nur an ihn denken, während ich die Decke in der Hand halte, auf der ein Stück seines Shirts abgebildet ist, auf dem „jagerfly" (zu deutsch Kämpfer) zu lesen ist. Sie gleitet von der Linken in die rechte Hand, und wieder von der rechten in die linke Hand. Ich sehe mich und Leif, wie wir ihm, vor wenigen Jahren, dieses Shirt zu seinem letzten Weihnachtsfest schenkten.
Dennoch neigt sich das Weihnachtsfest langsam dem Ende hinzu. Ich bin glücklich das sich Wincent's Familie und er verabschieden, sie wieder zurück in die Stadt fahren und wir wieder alleine sind. Nur das schnaufen von Aros, lässt sie Stille um uns herum, brechen. Sanft.
„es tut mir so leid.." sage ich nun in die Stille. „was tut dir leid, Smilla ?" erwidert er.
„Das sie gegangen sind. Sie haben gemerkt, wie unwohl ich mich in Anwesenheit von fremden fühle."
Es frisst mich regelrecht auf, das ich noch immer so sensibel gegenüber fremden Personen stehe. Es geistert noch immer und kontinuierlich in meinem Kopf herum, wie es bei Wincent geht. Er war bis vor ein paar Monaten auch ein fremder. Jetzt mein Freund. Mein aller bester.
„Sie wollten wieder in die Stadt. Das hat nichts mit diesem Ort, dir oder Aros zu tun. Sie haben gesehen das du dich unwohl fühlst, deswegen haben sie uns alleine gelassen. Aber sie sind keinesfalls sauer. Morgen können wir sie ja nochmal in der Stadt besuchen gehen und am 26. fliegen wir zusammen in meine Heimat, und ich zeige dir, wie das Leben außerhalb am Rand des Nordkaps und des Meeres, aussehen kann, okay ?" Okay. Wir fliegen nach Deutschland. Und das schon übermorgen. Ich muss mich von Leif verabschieden. Und von Kjell. Ich werde sie zwar wiedersehen, dennoch bleibe ich für unbestimmte Zeit fort. Für eine lange Zeit. Seien es Monate oder ein Jahr. Ich weiß es nicht.
„Ich habe noch das Geschenk für dich. Es liegt in meinem Schlafzimmer. Ich hatte leider kein Geschenkpapier und konnte es nicht einpacken." sage ich leise. Er wird sich darüber freuen. Ganz sicher. Ich hole das Päckchen unter meinem Bett hervor und lege es Wincent in die Hand..er sieht mich fragend an.."was ist das?" fragt er.
„Damit du das schönste Schauspiel am Nordkap für immer bei dir hast. Es soll dich an unsere erste Begegnung, an die Waltour und an den Roadtrip erinnern. Du kannst es an diesem Schalter anschalten, dann auf den Boden stellen, dich ins Bett legen und dann das Gefühl von Nordlichtern über dir genießen, verstehst du..?"
Er stellt es auf den Boden und schon tanzen verschiedene Farben über die Decke, die an die Nordlichter draußen erinnern sollen. Wir sitzen zusammen auf den Sesseln und schauen hinauf an die Holzdecke meiner Hütte.
„Danke." haucht er leise. „Das ist das beste Geschenk, was du mir hättest machen können. Ich nehme mit, die Nordlichter dich und Leif. Wir werden zusammen die schönste Zeit in Deutschland verbringen. Ich freue mich darauf."
..
Und ich erst. Auf ein neues Abendteuer. Auf neue Entdeckungen und eine neue Umgebung. Auf eine ungewisse Zeit in Deutschland. Mach's gut Heimat. Mach's gut Norwegen. Mach's gut Tromsø.

Wenn die Wellen toben / wincent weiss ff Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt