Kapitel 13

315 12 0
                                    

„Mina?", mitten in der Nacht klingelt mein Handy und ohne auf den Bildschirm zu schauen, hebe ich im Halbschlaf ab. Sobald ich die Stimme höre, bin ich jedoch hellwach. Erschrocken richte ich mich auf.

„Mama?", frage ich. Ich höre ihr leises Schluchzen.

„Mina", sie weint leise, „schön, deine Stimme zu hören."

„Mama", meine Stimme bricht, „was ist los?" Es tut mir unendlich leid, wenn sie sich so anhört.

„Er fehlt mir unglaublich, ich halte es nicht aus." Ihr Schluchzen wird lauter und länger. Auch in meinen Augen bilden sich kurz die Tränen.

„Ich weiß, Mama." Ich weiß nie, wie ich sie trösten soll. Meine Mutter ist der liebste Mensch der Welt, der Niemandem etwas Schlechtes wollen würde. Sie hat das, was sie fühlt, nicht verdient.

„Wie geht es dir, mein Schatz?", fragt sie.

„Nicht gut", sage ich ehrlich. Sie kennt mich, sie weiß es.

„Liebling", jetzt klingt ihre Stimme so, als würde sie mich trösten wollen, „was kann ich für dich tun?"

„Gar nichts. Niemand kann das", sage ich resigniert und bin froh, dass mein Problem sie wenigstens ein bisschen von ihrer Trauer ablenkt.

„Siehst du ihn oft?", fragt sie. Ich atme einmal tief durch.

„Ja", sage ich. Sie seufzt mitleidig am anderen Ende der Leitung.

„Ich vermisse ihn manchmal", sagt sie.

„Ich auch, Mama. Aber das, was wir vermissen, ist Vergangenheit." Ich nutze die kurze Gesprächspause und schaue auf die Uhrzeit. Es ist null Uhr dreißig. „Bist du nicht müde?"

„Ein bisschen. Danke, Mina", sagt sie. „Tut mir leid, dass ich dich angerufen habe."

„Muss es nicht, ich hab' doch gesagt, dass du mich immer wecken kannst, wenn es schlimm wird."

„Du bist die beste Tochter", sagt sie und ihre Stimme klingt jetzt wieder wie gewohnt.

„Ich bin auch deine einzige", sage ich, um sie zu ärgern. Sie kichert leise. Hach, Mama.

„Halt den Kopf oben, Schatz. Schlaf gut."

„Ich komme dich besuchen, bevor ich zurück nach London fliege. Gute Nacht", sage ich leise. Dann höre ich noch ein letztes Gähnen von ihr, bevor ich auflege.

Es ist schon lange her, dass sie mich das letzte Mal nachts angerufen hat. Vor Monaten wurde sie noch öfter nachts von diesen Albträumen gequält, doch in diesem Jahr war es ihr erster Anruf.
Es ist immer so, dass meine Worte meine Mutter trösten und sie dann wieder ihren Schlaf findet. Leider ist es andersherum so, dass ich hellwach werde und erst mal keinen Gedanken mehr an Schlaf verschwenden kann.

Tief durchatmend stehe ich auf. Ich brauche frische Luft. Schnell öffne ich das Fenster, die eiskalte Nachtluft strömt in mein Zimmer. Ich werfe einen kurzen Blick nach draußen, der Nachthimmel ist wolkenlos. Ich muss die Sterne sehen.

In meiner kurzen Schlafhose und meinen Schlaftop ziehe ich mir nur kurz die Adiletten an, verzichte auf Handy, nehme meine Brille und die Zimmerkarte, dann stürme ich nach draußen.
Meine Füße trage mich wie von alleine in den Garten, ich laufe am Pool vorbei. Da das Hotelgrundstück nachts abgesperrt ist, kann ich es nicht verlassen. Der Pool wird jedoch beleuchtet, das ist zu hell, so kann ich die Sterne nicht sehen. Daher beschließe ich, einfach nach ganz hinten in den Garten zu gehen, wo es am dunkelsten ist.

Trotz Brille sehe ich hier unten nicht viel, immer wieder lege ich meinen Kopf in den Nacken, um zu prüfen, wo die Sterne am besten zu sehen sind. Bis ich gegen jemanden laufe.

[Kai Havertz] Wer zuerst fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt