Kapitel 1

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Das ist das Problem an Waisenhäusern: Niemand hat Verständnis für dich, auch nicht in den schwierigsten Zeiten.

Was ich damit sagen will ist schlicht und einfach, dass mein Waisenhaus nicht schlecht ist, auf keinen Fall, aber es ist nun mal nicht die Familie die ich mir so dringend wünsche. Außerdem steht es kurz vor der Pleite, da niemand an ein Waisenhaus spenden würde, welches den Ruf eines kinderschändenden Hauses hat. Es stimmt nicht, ganz und gar nicht. Nur weil es früher so einen unmöglichen Pfleger gegeben hat, heißt das ja nicht gleich, dass alle Mitarbeiter so sind. Also sucht Frau Werner nun schon nach Plätzen für uns, weil sie weiß, dass es nicht mehr lange gut gehen wird. Heute ist ein Termin, irgendwelche Leute wollen wahrscheinlich das Grundstück aufkaufen. Wir sollen und trotzdem zeigen, natürlich von unserer besten Seite. Gerade bin ich fertig umgezogen, da stürmt Frau Werner auch schon herein, mustert mich kurz und befindet mein Outfit für in Ordnung. Ich habe nichts anderes erwartet; schwarze, enge Hosen, dunkle Sneakers und ein graues T-Shirt - was soll da schon gegen die Regeln verstoßen. „Ähm, ich hätte gerne, dass du die Sieben- und Achtjährigen übernimmst. Sie sind etwas nervös, es ist für viele der erste Termin. Und sage deinem Stockwerk, dass sie diese Musik leiser machen sollen." Ohne meine Antwort abzuwarten verschwindet sie wieder und ich muss schmunzeln. So ist sie nun mal. Ich trete auf den Flur, rufe einmal laut: „Dreht die Musik leiser!" und verschwinde in Richtung des ersten Stockes. Es ist einfach aufgeteilt, die Sieben- bis Achtjährigen im ersten Stock, die Neun- bis Zehnjährigen im zweiten und so weiter. Es gibt sieben Stockwerke, wobei das Erdgeschoss für das Personal da ist, außerdem sind dort Mensa, Bibliothek und Klassenräume. Der Unterricht ist so versetzt, dass man nicht mehr als zwei Klassenräume braucht, das führt aber auch dazu, dass wir weniger lernen, doch bisher hat jeder, der sich bemüht hat, sein Abitur geschafft. Momentan schlafe ich mit meinen beinahe 16 Jahren im fünften Stock, der sechste ist der letzte, danach bin ich frei. Inzwischen höre ich schon die kleinen Kinder auf dem Flur toben und bin froh, dass unser Waisenhaus erst Kinder ab sieben Jahren aufnimmt, Jüngere müssen in eines, das nicht sehr weit entfernt ist und sich auf Babys und Kinder bis zum abgeschlossenen sechsten Lebensjahr spezialisiert hat. So landen dessen Kinder immer bei uns. „Kommt einmal alle her bitte. Alle hierher! Du auch, ja." Sie sind aufgeregt, aber immerhin schaffen sie es, sich in Doppelreihen aufzustellen und mir aus dem Gebäude auf die große Wiese zu folgen. Dort schaffe ich es mit viel Mühe, sie so hinzustellen, dass man ein vernünftiges Foto machen kann. Inzwischen sind auch meine Leute hier. Es sind überwiegend Mädchen, siebzehn mit mir, und zwölf Jungs. Sie sind seit dem dritten Stock, seit vier Jahren, große Fans von einer Band mit dem irgendwie schon recht interessanten Namen Tokio Hotel. Und nicht einmal jetzt herrscht Stille, Chiara hat ihren iPod samt Lautsprecher mit nach draußen genommen und will ihn jetzt nicht Frau Werner geben, die hektisch wie immer versucht, ihn ihr abzunehmen. Auf einmal hören wir einen eindrucksvollen Motor, können das Auto dazu aber noch nicht sehen, bis Carla ruft: „Leute, schaut euch die geile Kiste an!" Und tatsächlich, durch eine Lücke in den Bäumen der Allee kann man ein ziemlich fettes Auto erkennen. Leise murmeln alle durcheinander, und Chiara macht sogar ihre Musik aus. Dann fährt das Auto auf den Hof und bleibt ein paar Momente brummend stehen, bis der Motor ausgeht und sich die Türen öffnen. Hinaus steigt zuerst ein hübscher junger Mann um die zwanzig. Er hat schwarze Haare, schwarz umrandete Augen, schwarze Kleidung - bis auf seine Haut ist fast alles schwarz. Einen Moment herrscht vollkommene Stille, dann passieren mehrere Dinge gleichzeitig. So ziemlich alle Mädchen aus so ziemlich jedem Stockwerk fangen an zu kreischen, und als sich die anderen Türen öffnen und der Rest aussteigt, kreischt auch noch der Rest. Aber, und das erstaunt mich wirklich, sie alle bleiben an Ort und Stelle und sprinten nicht zu... wie war gleich sein Name... Bill Kaulitz, genau. Frau Werner versucht, die schrillen Schreie der Mädchen zu übertönen und begrüßt die vier recht herzlich, dann bittet sie uns, auf unsere Stockwerke zu gehen mit dem Versprechen, dass wir später ein Autogramm kriegen.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Jul 07, 2015 ⏰

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