Kapitel 19

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Ich übergebe mich zum dritten Mal an diesem Morgen. Kilian sitzt am Fußende meines Hotelzimmerbettes und lacht mich aus. In meinen Kopf werden Nägel gehämmert, mir ist unendlich übel und ich schwöre, ich trinke nie wieder Piña Colada.

„Mina, du musst gleich wirklich los, Julian wird ausrasten", sagt er. „Henrik ist schon dabei, ihn abzulenken."

„Ich kann nicht", sage ich, auf dem kalten Badezimmerfußboden liegend. Kilian lacht wieder gehässig auf. „Sei bitte leise, ich möchte in Ruhe sterben."

„Komm jetzt", sagt er. Kilian hat schon meine Sachen gepackt und wartet nur noch darauf, dass ich es endlich schaffe, aufzustehen, meine Zähne zu putzen und zu gehen. Ich trage noch immer die Sachen von gestern, weil ich es nicht mehr geschafft habe, mich umzuziehen. Jetzt ist es mir auch egal, ich muss es nur noch bis in den Bus schaffen. Aber ich habe keine Ahnung, wie.

„Was ist denn bitte mit dir passiert?", fragt Kilian, der nun in der Türe erscheint und abwertend auf mich herabsieht.

„Havertz ist passiert", fauche ich.
Kilian lacht leise, dann hockt er sich vor mich hin. Er schüttelt den Kopf.
Ich habe noch so viele Fragen zu seinem Gespräch mit Kai und bin noch völlig verwirrt, will mehr wissen, aber es geht noch nicht. Mein Körper zerfällt, mein Kopf explodiert.
Gerade, als Kilian etwas sagen will, klopft es an meiner Tür.
Er steht wieder auf, lässt mich auf dem kalten Boden zurück, ich ziehe meine Brille aus, um meine Stirn zum Kühlen auf den Fliesen abzulegen.

„Wie sieht's aus?", fragt Henrik.

„Scheußlich", sagt Kilian.

„Tötet mich", sage ich. Meine Brüder lachen mich beide aus. Es klirrt in meinen Ohren und ich muss würgen.

„Soll ich sie runtertragen?", fragt Kilian und Henrik brummt als Antwort.

„Julian ist gleich richtig wütend, der Busfahrer will sofort los", sagt Henrik, kommt ins Bad, sieht mich kurz angewidert an, dann geht er weiter und holt meine Tasche. „Trag sie."

„Nur über meine Leiche", sage ich, richte mich auf, ziehe wieder meine verschmierte Brille an und versuche aufzustehen.

„Davon sind wir ja nicht mehr weit entfernt", sagt Kilian, der nun zurück ins Bad kommt und mir seine helfende Hand anbietet. Ich ergreife sie, er zieht mich hoch.
Er stützt mich, ich halte meinen Würgereiz zurück und versuche die Schmerzen in jeder Faser meines Körpers zu ignorieren.
Kilian schleppt mich bis auf den Parkplatz, wo Henrik bei Julian stehend bereits auf mich wartet. Julian sieht mir wütend entgegen.

„Romina Valerie Engel! Wie verantwortungslos bist du eigentlich?", ruft er mir zu. Ein stechender Schmerz schießt mir durch den Kopf. Muss er so laut schreien?

Ich brumme nur als Antwort, Henrik verdreht die Augen, Kilian lacht stumm. Ich versuche ihn zu stoßen, treffe aber nicht, weshalb ich beinahe zur Seite umkippe. Kilian hält mich im letzten Augenblick auf.

„Erbärmlich", sagt Kai, der plötzlich neben mir auftaucht. Ich zeige ihm meinen Mittelfinger.

Endlich sind wir vor dem Bus angekommen, der Busfahrer starrt mich schon wütend an.

„Wehe, du kotzt mir in den Bus", fährt er mich mit seinem schwäbischen Akzent an. Ich hebe entschuldigend die Hände, weiß nicht, was ich sagen soll.

„Minni, wir verabschieden uns jetzt", sagt Henrik, welcher Kilian zunickt, sich dann zum Abschied an Julian wendet.

Kilian, der mich nun gar nicht mehr beachtet, steht bei Kai. Ich bin zu weit weg, um zu hören, worüber die beiden tuscheln. Aber ich bin auch kognitiv nicht dazu in der Lage, mich mehr anzustrengen. Ich konzentriere mich, mich nicht ein viertes Mal zu übergeben.
Henrik umarmt Julian, Kilian und Kai schlagen sich ab. Dann nicken sie sich ein letztes Mal zu.

[Kai Havertz] Wer zuerst fälltWo Geschichten leben. Entdecke jetzt