Kapitel 40

13 4 0
                                    

Für Familie Reinelt komplett unverständlich. In jeglicher Situation waren wir immer füreinander da und kämen niemals im Leben auf die Ideen, den Kontakt abzubrechen. Aber July hatte auch gute Gründe, es bei ihrer zu machen.

Sichtlich kann meine Mutter das nicht verstehen. Im Gegensatz zu dem, was July und Baptiste mir aber gesagt haben, ist das hier auch eine heile und normale Familie, auch wenn bei uns auch nicht immer alles rosig gewesen ist. Das normale Familiendrama, was jeder wohl hat, aber das, was sie erleben und durchleben musste, wünsche ich niemanden.
Hedi: Darf man fragen, warum?"
Ganz vorsichtig tastet sie sich daran und jeder fragt sich gerade, ob die Frage okay gewesen ist. Immerhin kann ich ihnen das sagen und es July ersparen.
Chris: Ihre Familie hat sie aufgrund ihres Aussehens verstoßen, wollte nichts mit ihr zu tun haben. Bis sie 18 war, hatte sie noch bei ihren Eltern gelebt und ist dann nach Hamburg gegangen, hat den Kontakt abgebrochen."
Sylvia: Hast du ein Bild von ihr?"
Bisher wissen nur Andreas und Steffi, wer July ist und wie sie aussieht. Zum Teufel, unsere Eltern haben uns alle Weltoffen erzogen, sie werden gleich reagieren, wie ich damals. Aus meiner Hosentasche krame ich mein Handy also wieder hervor, wischen auf den Sperrbildschirm nur die ganzen Benachrichtigungen weg, sodass ich es danach auf den Tisch legen und zu meiner Schwester rüberschieben kann. Dabei deute ich ihr nur an, dass sie drauf tippen muss und trinke anschließend etwas.

Als Sylvia einmal auf den Bildschirm tippt, wird ihr gleich ein Bild von uns beiden angezeigt. Ich liebe das Bild, was wir in Amsterdam vor einen dieser Tulpenfelder aufgenommen haben. July lächelt da so süß verlegen.
Sylvia: Wir sind also wieder in der Phase angekommen, wo ein Bild der Freundin als Hintergrundbild genommen wird."
Verlegen wende ich meinen Blick von ihr ab und muss in der unangenehmen Stille ein wenig lachen. Dabei brauch ich nicht lange, um mich zu fassen und auch wieder zu meiner Schwester zu schauen. Als das Handy ausgeht, tippt sie nochmal wieder drauf, weil unsere Mutter das ebenfalls sehen wollte.
Hedi: Was soll das Problem mit ihr sein?"
Sylvia: Sie ist eine schöne Frau."
Ich atme durch und deute an, dass ich es auch nicht verstehe. Und zugleich bin ich froh, dass wir genau das gleiche dachten und in ihr sehen. Dass sie eine schöne Frau ist, die dazu noch einen wunderbaren Charakter hat.
Chris: Leider sind ihre Eltern weiße Franzosen und nur ihre Großeltern aus Lateinamerika."
Steffi: Wie können die Eltern bitte ein solch rassistisches Denken ihrer eigenen Tochter gegenüber haben?"
Ich zucke mit den Schultern und es scheint auch so, dass unsere Mama überhaupt nicht nachvollziehen kann, wie ihre Eltern sich dafür entscheiden konnten.

Ja, auch wir drei sind anstrengend und bringen alle unsere Eigenheiten mit. Aber unsere beiden Eltern haben uns immer so akzeptiert, wie wir sind. Es wäre ihnen komplett egal gewesen, ob wir mit einer Frau oder einem Mann nach Hause kommen, die Hauptsache war immer, dass wir glücklich sein sollen. Gegenüber anderen Kulturen wurden wir offen erzogen, dass etwas fremdes, was wir nicht kennen, nicht falsch oder schlecht sein muss, dass man sich damit einfach auseinandersetzen muss, damit man darin auch etwas Schönes und Neues entdecken kann. Aber leider denkt nicht jeder so.

Ein letztes Mal schaut meine Schwester auf das Bild von July und mir, bevor sie mir das Handy wiedergibt, was ich danach auch gleich wieder in meiner Tasche verstaue, da ansonsten nur noch mehr Nachrichten kommen, die mich ablenken würde.
Chris: Das Thema ist für sie noch immer schwer. Sprecht sie daher bitte nicht darauf an."
Hedi: Wie heißt sie?"
Date ich meine Freundin jetzt »seit einem Jahr« und habe noch nie ihren Namen genannt? Ich könnte da gerade vor Scham im Boden versinken, weil das wohl unserem kleinen Geheimnis der ersten sechs Monate verschuldet gewesen ist.
Chris: Juliette."
Mama zeigt mir ihr typisch sanftes und glückliches Lächeln, was sie immer dann auf den Lippen hat, wenn sie innerlich vollkommen zufrieden mit etwas ist. Ich wusste von Beginn an, dass sie meine Freundin mögen wird.
Hedi: Ich freue mich darauf, sie bald kennenlernen zu können."
Wieder lächle ich nochmal, bevor ich meine Tasse leer trinke. Andreas und ich wollen später nochmal wieder in die Halle, die letzten Besprechungen, bevor die kommenden Tage dann einzig die Proben anstehen. Die alten Illusionen wieder hervorkramen und wieder üben, damit in zwei Wochen auch alles gut läuft.
Andreas: Über ihren Bruder kann man reden?"
Chris: Den wird sie früher oder später vermutlich erwähnen. Er heißt übrigens Baptiste, wohnt aber auch noch in Lyon, daher sehen sie sich selten."
Ein kurzes Nicken und dann ist das Thema vorerst beendet.

Andreas trinkt noch wieder etwas aus seiner Tasse, ich schaue einmal auf die Uhr und eigentlich wissen alle auch gleich, dass wir beide bald wieder abhauen müssen. Zeit ist zu solchen Momenten immer ein rares Gut bei uns beiden.
Steffi: Ums Essen werden Hedi und ich uns dann kümmern. Vermutlich werden wir uns wieder gegen 12.30 Uhr hier treffen, hier ist ja am meisten Platz."
Gerade will ich das bestätigen, alles so wie immer und auch zur gleichen Zeit, als ich stocke und mir eine Hand vor den Mund halten muss, weil ich sonst lachen würde. Das müsste ich, weil ich mal wieder etwas vergessen habe, was hätte peinlich werden können.
Chris: Das...könnte ein kleines Problem ergeben..."
Sylvia: Hat sie irgendwelche Allergien?"
Andreas: Ouh..."
Meinem Bruder fällt es auch gleich wieder ein. Immerhin war sie damals auch der Grund, warum wir das Essen auf Tour umstellen mussten, weil das vorher in unserer Crew ansonsten kein Thema gewesen ist.
Chris: Nein...aber sie ist Veganerin..."
Meine Schwester lacht darüber, dass ich das beinahe vergessen haben zu sagen – das wäre dezent in einer Katastrophe verlaufen – und meine Mutter und Steffie sagen beide gleich danach, dass sie sich was ausdenken werden, dass das aber auch kein zu großes Problem darstellt, da Lotta, die Tochter meines Bruders, vegetarisch isst und sie daher sowieso etwas umplanen mussten. Immerhin ist auch das Thema dann besprochen...

Never Less Than a LoverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt