Kapitel 41

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Am letzten Tag, wo wir noch in Bünde sind und uns noch nicht wieder auf den Weg nach Berlin machen mussten, sitze ich am späten Nachmittag oben in meinem Büro, habe vor mir eine Tasse Kaffee stehen und mit dabei ist mein Bruder, der sich mit seinem Stuhl rüber gesetzt hat und mit dabei meine Freundin. July wollte eigentlich schon nach Hause, ist aber nochmal mit rauf gekommen. Andreas hatte sie zuerst in ein Gespräch verwickelt und später dann dazu gebracht, dass sie noch einen Augenblick länger bleiben würde.

Wie so üblich reißt mein Bruder einer seiner typischen Witze, muss selbst am meisten darüber lachen, während ich mich etwas weiter in den Stuhl fallenlasse, ein wenig darüber schmunzeln kann, aber mit meinen Blicken hänge ich die meiste Zeit bei July. In den letzten zwei Wochen waren solche Momente, die einzigen, die wir zusammen hatten. Abends und nachts hing ich oft mit Andreas noch in der Halle, an einigen Tagen kam auch sie erst spät nach Hause, wenn wir mal wieder eine Probe zu spät angesetzt hatten und auch wenn sie mir immer wieder angeboten hatte, dass ich doch zu ihr kommen kann, selbst wenn es mitten in der Nacht wäre, ich habe es abgelehnt. Und wenn wir jetzt zusammen sitzen, merke ich immer, dass sie mich genauer anschaut, um sehen zu können, wie es mir richtig geht. Am Morgen ein »alles gut bei mir« hervorzubringen, reicht ihr eben nicht aus, sie weiß gleich, dass das eine Lüge ist. Das ist jetzt auch der Moment, wo sich unsere Blicke mal wieder treffen, wo July mitbekommt, dass sie hier meine komplette Aufmerksamkeit hat und dass ich nur so nebenbei versuche bei meinem Bruder gedanklich zu hängen, um nicht vollkommen abwesend zu wirken. Bevor sie darüber lachen würde – irgendwie muss sie sich diese Eigenschaft von mir angewöhnt haben – wendet sie sich doch wieder an meinen Bruder, der davon nichts mitbekommen haben wird.

Dieser stellt nämlich gerade erst wieder seine Tasse auf meinen Schreibtisch ab, schaut einmal auf die Uhr, die neben der Tür hängt und danach auf sein Handy, weil sich Yvonne, die sich um unsere Haare und so kümmert, eigentlich noch melden wollte.
Andreas: Wann fahrt ihr beide morgen los?"
Seine eigene Tasse hat er bereits wieder in der Hand, als er von seinen Platz aufsteht und uns beide einmal ansieht. July trinkt den letzten Schluck aus und gibt ihm ihre ebenfalls, sodass er beide zur Seite wegbringen kann.
Juliette: Ich glaube so gegen 10 Uhr, oder Chrissy?"
Während des Trinkens kann ich nur kurz nicken und ich habe gleich das Gefühl, dass meinem Bruder die Antwort egal ist, oder dass er sie nicht bemerkt hat. Stattdessen lacht er wieder ein wenig über die Art, wie July mich nennt und erntet von mir daher nur einen patzigen Blick, den er ebenfalls nicht bemerkt, da er noch mit den Tassen beschäftigt ist. Dafür bekomme ich aber ihr grinsen mit, mittlerweile kennt sie meinen Bruder auch etwas besser und weiß, dass das immer so zwischen uns ist, sodass ich einzig gespielt meine Augen verdrehe und dann ebenfalls austrinke.
Andreas: Mit dem Hotel sollte ich alles auch an euch geschickt haben, oder? Der Schlüssel ist ja digital auf dem Handy."
Chris: Ja, July hatte sich bereits darum gekümmert und mir das wichtigste gesagt. Wir werden schon ins Zimmer kommen, keine Sorge."
Lachend schüttelt mein Bruder seinen Kopf, bevor er wieder zu uns kommt.

Die ersten Male, wo wir zu dritt hier oben gesessen haben, waren auf ihre Art und Weise sehr seltsam. Von »die Chefs sitzen mit einer Arbeiterin hier« zu »wir sitzen als Brüder mit meiner Freundin hier« war ein kleiner Weg. Aber mit jeden weiteren Mal wurden die Gespräche entspannter, entfernten sich immer weiter von der Arbeit, bis es ziemlich normal gewesen ist. Die Grenze zu ziehen, dass Juliette trotz allem noch unsere Angestellte ist, ist ab und an noch schwer. Aber ich bemühe mich darum, sie in Arbeitsphasen auch einzig als ein Crewmitglied zu betrachte und gleichwertig zu behandeln. Das hatte mir auch mein Bruder nahegelegt und ich denke, dass es so auch am besten sein wird.

July schaut eine Zeit auf ihr Handy runter, bekommt noch Nachrichten von Kyra, mit der sie viele Konzepte ausgearbeitet hatte für Diamonds und mein Bruder und ich schauen auf und zur Tür hin, als es an eben dieser klopf. Etwas in Eile, so scheint es zumindest, steht dort Yvonne, die ihre Sachen gleich vermutlich abholen will, damit auch sie morgen nach Berlin fahren kann.
Andreas: Wir dachten, dass du schon weg bist."
Yvonne: Ich hatte eben noch einen Termin und der hat sich so gezogen."
Wild gestikuliert sie rum, bekommt von uns beiden daher ein leichtes Lachen zu hören und auch July legt ihr Handy weg und wendet sich an Yvonne, winkt kurz.
Yvonne: Nur kurz, damit ich packen kann. In Berlin muss ich euch beiden nochmal die Haare schneiden und Chris, dir muss ich die Strähne nochmal blondieren, richtig? Dann muss ich auch an die Abmattierung denken."
Juliette: Ich hätte auch nichts dagegen, wenn es lila oder pink wäre. Stand dir gut."
Ihr freches Grinsen bringt meinen Bruder zum Lachen, während ich sie stumpf ansehe.
Chris: Kannst du ja dann bei dir machen."
Juliette: Bei meinen schwarzen Haaren, klar."
Yvonne: Über das Grau würde es gehen."

Ich habe nicht mal erwartet, dass July darauf eine Reaktion gibt, aber als Yvonne das gesagt hat, dreht sie sich auf den Stuhl um, damit sie sie wieder ansehen kann. Andreas und ich tauschen kurz Blick aus, wobei ich einzig mit den Schultern zucke.
Juliette: Mir wurde immer gesagt, dass das nicht gehen würde."
Yvonne: Nicht bei allen Farben, man muss sich da auskennen. Aber bunte Directions decken grau tatsächlich ziemlich gut ab. Ein Freund färbt sich seine Haare damit seit Jahren blau und das sieht unfassbar gut aus."
Etwas zu lange bleibt July noch in dieser Position sitzen, bis sie zuerst ihren Kopf etwas hängenlässt und ihren Blick danach zu mir wandern lässt. Als ob du mich fragen müsstest. In ihrem Leben hat sie immer viel mit ihren Haaren angestellt, weil sie Lust dazu hatte. Früher mit ihren Locken, in Hamburg dann ihre Dreadlocks, die sie sich nach der Trennung von Andy abgeschnitten und eine Kurzhaarfrisur getragen hatte, bis sie jetzt wieder lange Haare hat. Irgendwann hatte sie damit aufgehört. »Die anderen starren mich wegen meines Aussehens sowieso schon an«. Ohne etwas sagen zu müssen, versuche ich ihr zu vermitteln, dass sie sich trauen soll. Ich werde dich immer lieben, genauso wie du bist.
Juliette: Könnten wir das probieren?"
Wieder wendet sie sich an Yvonne, die freundlich lächelt und nickt, anschließend nur meint, dass sie es mit dazu packen würde, da das zwischen meinem ganzen Kram ja nicht auffallen würde. Darüber konnten alle in Raum lachen, während ich auch sie nur patzig anschaue, bis sie sich für den Tag verabschiedet.

Etwas mehr in sich gekehrt, ob das die richtige Entscheidung gewesen ist, sitzt July noch auf ihren Platz, wirkt stark in Gedanken versunken, bis sie einmal zu mir aufschaut und mein sanftes Lächeln sieht. Dadurch scheint sie ihre Bedenken etwas zur Seite zu legen und bedankt sich noch ein letztes Mal stumm bei mir. Während dieser Zeit packt Andreas bereits einige seiner Sachen zusammen und July scheint sich jetzt gleich schon auf den Weg machen zu wollen.

Ich hingegen starte meinen Mac wieder, der sich in der Zeit runtergefahren hat und denke darüber nach, ob ich mir nochmal wieder einen Kaffee machen sollte.
Andreas: Du vergisst auch nichts, Bruder?"
Chris: Meine Sachen stehen schon unten fertig gepackt, damit das nicht passieren kann."
Dass das typisch nach mir klingt, meint Andreas zuerst noch, bevor er wieder ein wenig lachen muss. Das Gegenteil von dieser Reaktion zeigt meine Freundin, die mich stattdessen besorgt anschaut, während sie schon fast bei der Tür ist. Um sie zu verabschieden für den Abend stehe ich auch auf und gehe zu ihr hin.
Juliette: Du fährst heute Nacht nach Hause, Chrissy..."
Sie kennt mich eben zu gut. Andreas hat davon nichts mitbekommen, dafür hat sie leise genug gesprochen. Und ich wünschte, dass ich es ihr versprechen könnte, aber bei den letzten Tagen, die ich hellwach im Bett saß oder wach geworden bin, kann ich das nicht. Stattdessen küsse ich sie nur sanft zum Abschied, was sie nicht wirklich beruhigen wird. Tut mir leid, Bambi...

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