July verabschiedet sich widerwillig von uns beiden, oder eher gesagt würde sie lieber bei mir bleiben uns sicherstellen, dass ich sehr wohl nach Hause fahren würde. Allerdings musste sie in den letzten Monaten auch lernen, dass ich nur Rücksicht auf sie nehmen will und dort auch stur bleibe. Als sie dann weg war, habe ich das erste Mal wieder auf meine Notizen geschaut, die mir eines verklickern wollen: Das wird eine lange Nacht.
Während ich also mal wieder auf diese nicht endende Liste starre und mir gar nicht ausmalen will, wie spät es werden könnte, lässt Andreas sich auch wieder in seinen Stuhl fallen, den er mittlerweile wieder hinter seinen Schreibtisch gestellt hatte. Deswegen schaue ich auch wieder zu ihm rüber, wie er durch die letzten Details geht, die die Crew wissen wollten und die jetzt für Berlin stehen müssten.
Andreas: Kommst du morgen Abend dann in die Halle? Die ersten Dinge sollten dann stehen und wir können den Plan mit den Meisten besprechen."
Chris: Kann ich so machen. Schickst du eine Mail rum?"
Sein Nicken bestätigt dies. Kurz darauf tippt er eine schnelle Mail an die Meister, dass sie gegen 16 Uhr bitte bei der Bühne sein sollen und dass wir bei Fragen immer da sind. Danach klappt er seinen Mac zu und schaut durch den Raum zu mir rüber. Dieses Mal spüre ich seinen Blick auf mir. Nicht besorgt, wie bei July eben, aber so, dass er etwas von mir wissen oder haben will. Vielleicht auch einfach nur Informationen.
Andreas: Hast du Levi die letzten Tage gesehen, nachdem das mit Juliette war?"
Ich presse meine Lippen aufeinander, weil das Thema mich hier und zu Hause verfolgt. Die beste Freundin als Partnerin zu haben ist nicht sehr angenehm, kann ich sagen. Auch wenn sie es nicht an sich ranlassen will, July kann es nicht ignorieren. Und die Wahrheit dahinter will sie erst recht nicht wissen.
Andreas: Ich deute dein Schweigen dann mal als »nein«. Hat deine Freundin was gesagt?"
Chris: Eher weniger."Aus dem Augenwinkel bemerke ich, dass mein Bruder nur zögernd nickt, seinen Blick aus den Fenster gerichtet hat und auf die herbstlichen Felder schaut, wo mittlerweile nichts mehr drauf wachsen kann. Der erste Frost kam bereits, der Winter kündigt sich zögernd an, der Somme war einst mal.
Andreas: Das mit Levi kam auch so ganz plötzlich nach dem Sommer jetzt. Als du und Juliette so langsam Zeit für euch hatten, als das so ein bisschen entspannter alles wurde."
Keine Antwort ist auch eine Antwort. Ich muss weder nicken noch eine andere Antwort geben, da mein Schweigen das auch wieder bestätigt.
Andreas: Sie ist dir gegenüber auch sparsam geworden, oder?"
Chris: Ja, Bruder, aber das wird wieder. Wirklich!"
Ich versuche glaubwürdig zu klingen, auch wenn ich mir bei der Sache gar nicht sicher sein kann. Am liebsten hätte ich einmal mit Levi gesprochen, aber sie war ja nie hier und eine Mail deswegen wollte ich auch nicht schicken. Zugleich wissen wir beide, dass das, was da zwischen unseren beiden Meistern läuft, nicht gut ist. Aber was sollten wir machen? Das will ich ihn gar nicht fragen, weil ich die Antwort nicht hören will. Und das dürfte auch der Grund sein, weswegen sich Andreas damit abfindet, einzig seufzt und danach von seinem Platz aufsteht, seine letzten Sachen noch nimmt.
Andreas: Ich hau jetzt ab, muss zu Hause noch packen. Mach nicht mehr zu lang, okay?"
Chris: Keine Sorge, bin hier fast fertig."Eine verdammte Lüge, die mir keiner abkauft und auch nicht mein Bruder. Stunden später sitze ich noch immer an Ort und Stelle, habe neben mir irgendwas zu essen stehen, was ich in der Küche gefunden habe und trinke Mal wieder einen kalten Kaffee, der mich auch nicht mehr wachhalten kann. Die Uhr zeigt, dass es halb zwölf ist und eigentlich sollte ich nach Hause. Das eine Konzept steht noch nicht. Du wolltest die Musik noch raussuchen. Der eine Plan muss aktualisiert werden. Das Angebot vom Händler schnell anfordern. Die Jacke für Andreas bestellen. Der Schneiderin in Hamburg schreiben. Ich fasse mir mit den Händen an meinen Kopf, will meine Gedanken leise bekommen uns lasse mich anschließend in meinen Stuhl fallen, lehne meinen Kopf gegen das Kopfteil und schließe für einen Moment meine Augen. Nur ganz kurz...
Ich schrecke aus irgendeinen seltsamen Traum auf, halte mich an meinem Tisch fest, weil ich ansonsten mit den Stuhl weiter davon weggerollt wäre und versuche mit Blinzeln wieder scharf sehen zu können. Als ich einen halbwegs stabilen Stand wieder habe, reibe ich mir mit den Händen über meine Augen und schaue mich danach um, sortiere meine Erinnerungen, bis ich einmal auf meine Notizen schaue. Ich bin einfach eingeschlafen.
Chris: Oh mein Gott.."
Mit meinen Händen gehe ich durch mein Haar, greife mich daran fest und kneife meine Augen zusammen. Dass ich eingepennt bin, wirft mich um Stunden wieder zurück. Wie spät ist es überhaupt. Ganz vorsichtig, weil ich es vielleicht selbst nicht wissen will, schaue ich wieder auf und zu der Uhr über der Tür, die mir mal wieder vorhält, dass die Zeit gegen mich spielt. Es ist drei am Morgen. Ich sollte eigentlich schon lange zu Hause sein. Eigentlich sollte ich bereits lange schlafen und eigentlich sollte ich auch jetzt die Arbeit einfach hier liegenlassen, das alles brauchen wir nicht für die ersten Prämiere von Diamonds, doch mein Kopf sagt mir, dass ich das jetzt dringend machen muss. Ich wische mir mit den Handflächen einmal übers Gesicht, versuche klare Gedanken zu bekommen und mich wach zu halten. Wenn ich mich beeile, kann ich noch ein paar Stunden hier auf den Sofa schlafen, bevor July und ich morgen losfahren nach Berlin. Dem Plan will ich auch nachgehen, will meinen Mac wieder entsperren, als mein Handy angeht. Irgendeine Benachrichtigung vom System, aber im Hintergrund sehe ich wieder July, die mich darüber anlächelt und mich von der Arbeit abhält.Wie eingefroren hänge ich über der Tastatur meines Macs, schaue die ganze Zeit auf ihr Bild, auf ihr Lächeln, in ihre Augen, zu meiner Freundin, bis der Bildschirm wieder schwarz wird. Aber auch dort braucht es nochmal ein paar Sekunden, bis ich meinen Blick von dort losreißen und wieder auf den anderen Bildschirm richten kann. Den, wo ich gerade noch mein Passwort eingeben müsste, damit der wieder entsperrt sein würde.
Chris: Es sind doch nur..."
Es ist nur die Arbeit...es ist nichts, was unbedingt heute fertig sein muss, auch wenn mein Kopf mir das so weismachen will. Und dann hänge ich dort zwischen meinem Mac, der nur dieses Passwort bräuchte, dann könnte ich das, was mir im Kopf schwirrt, noch schnell erledigen, aber mein Blick liegt doch wieder auf den Bildschirm meines Handys, welcher zwar nicht mehr leuchtet, aber ich weiß, was da ist. Und auch wenn es Kraft braucht, dass ich meine Hände von der Tastatur wegnehmen und zum Handy greife, innerlich weiß ich, dass das die richtige Entscheidung sein wird...
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Never Less Than a Lover
Fiksi Penggemar10: Du gibst mir wieder Mut 09: Du zeigst mir das Gefühl von Geborgenheit 08: Du bist der erste, der mich richtig verstehen kann... Alles, was Juliette und Christian miteinander verband, war ein endloser Deal und ein Geheimnis, was niemals ans Licht...