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„Bis später, Freddy. Ich beeil mich, ja? Ich muss nur schnell meine Sachen auspacken und dann gehen wir ausführlich Gassi und erkunden dein neues Zuhause. Unser neues Zuhause", seufzte Noah und kraulte seinen Hund ein letztes Mal hinter den Ohren, bevor er die Tür zur kleinen Hütte im Wald schloss und sich auf den Weg zum Internat machte. Hätte er keine Möglichkeit gefunden, Freddy mitzunehmen, wäre er vermutlich gar nicht erst am Internat angekommen, sondern vorher abgehauen. Einfach so abgeschoben zu werden war eine Sache, aber dann auch noch ohne seinen Hund? Nie im Leben.

Ein Glück, dass seine Eltern aktuell gar nicht mehr miteinander sprachen und Noah sie sehr leicht hatte austricksen können. Seit der Trennung der beiden vor einem Jahr war es stetig bergab gegangen, sowohl mit der Kommunikation als auch mit allem anderen, aber Noah hatte irgendwie trotzdem gehofft, dass alles wieder gut werden würde.

Da hatte er sich gründlich getäuscht. Die Scheidung war da und Noah war weg. Es wäre einfacher so für sie alle, hatte seine Mutter behauptet, als sie Noah mitgeteilt hatte, dass er auf ein Internat gehen würde und sein bisheriges Leben hinter sich lassen konnte.

In welcher Welt es einfacher für Noah sein sollte, wusste er nicht. Zwar trauerte er sicher nicht den vielen Streits seiner Eltern hinterher und den anschließenden Lügen, dass alles nicht so schlimm sei, bis es dann irgendwann doch endgültig eskaliert war und sein Vater abgehauen war, aber es war schließlich sein Zuhause gewesen. Seine Familie, seine Schule, seine Stadt... alles hatte er verlassen müssen. Richtige Freund*innen, um die Noah trauern musste, hatte er immerhin nicht. Er hatte sich an seiner Schule immer weitestgehend zurückgezogen und von den anderen ferngehalten, da viele dort offen homophob und diskriminierend waren und Noah sich das echt sparen konnte. Da verbrachte er lieber Zeit mit seinem Hund und Horrorfilmen. Bei Letzteren wusste er immerhin, dass alles fake war. Das echte Leben war teilweise wesentlich gruseliger als die Monster aus diesen Filmen.

Wenn Noah eins von seinen Eltern gelernt hatte, dann dass er sich niemals so verhalten würde wie sie, falls er sich jemals verlieben sollte. Er würde es nie so weit kommen lassen, dass seine Beziehung durch fehlende Kommunikation und gegenseitige Vorwürfe kaputt gemacht wurde. Noah hatte ja gesehen, was einem das brachte. Missgunst, Wut, Traurigkeit, Hass. Ihm brachte es vor allem Schmerz.

Noah seufzte erneut und fuhr sich durch die Haare. Jetzt erst bemerkte er, dass er sie noch offen trug, weil sein Zopf während der Zugfahrt zu unbequem gewesen war. Schnell zog er sein Haargummi vom Handgelenk und machte sich seinen üblichen Dutt.

Im Internat angekommen, musste Noah genervt feststellen, dass einer seiner Mitbewohner schon im Zimmer angekommen war und seinen Koffer auspackte. Er hatte eigentlich auf noch ein bisschen Ruhe gehofft. Es würde ihm sehr schwerfallen, sich das Zimmer mit gleich zwei weiteren Personen teilen zu müssen, nachdem er sein Leben lang ein eigenes Zimmer gehabt hatte und generell wenig soziale Kontakte pflegte.

Er hoffte, die beiden waren einigermaßen erträglich und ließen ihm einfach seinen Frieden.

„Hi, ich bin Joel", begrüßte der brünette Brillenträger ihn freundlich lächelnd und Noah nickte ihm zu.

„Noah", brummte er und wandte sich dann seinem Schrank zu, in dem er nach und nach sein Gepäck verstaute. Währenddessen redete Joel ununterbrochen und Noah musste sich davon abhalten, seinen Kopf gegen die Schranktür zu schlagen.

„Du bist auch neu hier, oder? Habe ich zumindest gehört. Unser dritter Mitbewohner ist schon seit letztem Jahr hier, habe ich von Frau Schiller erfahren. Die Internatsleitung, du hast sie bestimmt auch schon getroffen. Er soll sehr nett sein und muss sehr intelligent sein, weil er das Berger-Stipendium bekommen hat. Dr. Berger ist Leiter des Schulamts, keine Ahnung, ob wir ihn überhaupt kennenlernen werden, aber der war hier früher auch mal Direktor, also vielleicht schon. Ich bin jedenfalls sehr gespannt auf die ganzen Module am Einstein. Hast du deinen Stundenplan schon fertig?"

Noah blieb eine Antwort und das potentielle Schädel-Hirn-Trauma, das er weiterhin durch einen Schlag gegen den Schrank in Erwägung zog, erspart, da in diesem Moment die Tür aufging und ein dritter Junge das Zimmer betrat.

„Willkommen am Einstein! Und im lässigsten Zimmer –"

Die Blicke von Noah und dem Neuankömmling kreuzten sich und der Junge verlor prompt sein Gleichgewicht. Er stützte sich gerade noch so ab und richtete sich mit leicht geröteten Wangen wieder auf. Er hatte strahlend grüne Augen, weiche brünette Locken und sein verlegenes Lächeln war gerahmt von Grübchen.

Scheiße, ist der süß, dachte Noah sich. 

Never enough | NolinWo Geschichten leben. Entdecke jetzt