40. Kapitel

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Mavis

Ein leichtes Rauschen holte mich aus meinem Schlaf. Ein sanftes, regelmäßiges Klopfen. Langsam, wie in Zeitlupe, versuchte ich meine unendlich schweren Augenlider zu öffnen, was die ersten paar Minuten unmöglich war. Während ich so da lag, fiel mir auf, wie tief und gut ich geschlafen hatte. So tief und gut wie lange nicht mehr. Es war ein warmer und erholsamer Schlaf aus dem ich nicht aufwachen wollte. Als ich es schließlich schaffte, meine Augen zu öffnen, richtete ich meinen noch verschlafenen Blick an die weiße, stuckverzierte Decke des Schlafzimmers. Es dauerte einen Moment, bis ich realisierte, wo ich war, und hastig aufschreckte. Meine Augen wanderten Orientierung suchend durch den Raum. Über die Möbel und dann in Richtung der Terrasse, wo ich feststellte, was das rauschende Geräusch war. Es war strömender Regen, der gegen die Scheiben prasselte und sich in unzähligen Bahnen am Glas hinabschlängelte. Er brachte eine gemütliche Gräue in den Raum.

Als ich wie erstarrt in meinem Bett saß und die diecke, weiße Daunendecke ein Stück aufschlug, sah ich, dass ich noch immer mein Kleid von gestern trug, was mich für einen Augenblick verwunderte. Dann kehrten meine Erinnerungen an die vergangene Nacht zurück. Ich hatte an dem Abend keinen Schluck Alkohol getrunken, aber fühlte mich trotzdem so, als hätte ich einen schmerzhaften Kater. Dennoch konnte ich mich an alles erinnern, was passiert war.

Nachdem ich das Event verlassen hatte, war ich in die Suite gegangen. Die in mir herrschende Verzweiflung über das, was Blake zuvor über Felix gesagt hatte, zerriss mich innerlich so sehr, dass ich nicht wusste, was ich tun konnte, um dieses unaushaltbare und quälende Gefühl loszuwerden. Es war, als würden mich meine Emotionen von innen auffressen. Als würde ich daran sterben. Nicht weil es per se um Felix ging, sondern vielmehr um die Tatsache, dass er die ganze Zeit tot war und ich in dem Glauben blieb, er wäre es nicht. Also hatte ich mich auf die Terrasse gesetzt, in der Hoffnung, dass es vorbeigehen würde. Aber das tat es nicht. Es wurde immer schlimmer.. Bis zu dem Punkt an dem es doch aufhörte. 

Nie in diesem Leben hätte ich gedacht, dass die Person, die mir den größten Schmerz zufügte und meine Existenz auf dieser Erde zur Hölle machte, auch die Person sein würde, die mich aus dieser Situation rausholen konnte. Dass er überhaupt die Fähigkeit besaß, intuitiv so zu handeln, dass es nicht noch schlimmer wurde. Denn das war es, was er sonst immer tat: Schmerz verschlimmern. Umso verwirrter war ich darüber, dass seine Anwesenheit mir geholfen und gutgetan hatte. Obwohl er nichts tat außer da zu sein, hatte mich seine Nähe beruhigt und getröstet. So sehr, dass ich tatsächlich eingeschlafen war. Auch wenn es sich bis dahin nicht so angefühlt hatte, schien ihm ein großer Teil in mir zu vertrauen, dass er es zugelassen hatte, schlafend in meiner verletzlichsten Form bei ihm zu sein.

Das regelmäßige Pochen meines Herzens in meiner Brust, als ich an die Situation zurückdachte, versetzte mich in Panik. Ich wollte nicht, dass es so war. Ich wollte mich nicht bei seiner Anwesenheit wohlfühlen. Ich wollte zwar auch nicht, dass mich weiterhin jeder Gedanke an ihn in Angst versetzte aber noch weniger wollte ich, dass mein Körper und Geist so auf ihn reagierte, wie letzte Nacht. Er war kein Mensch, den ich gerne in meinem Leben haben wollte. Auch wenn ich nach etwas gesucht hatte dass mir helfen sollte etwas anderes in ihm zu sehen als diesen kranken Psychopathen, um mit einem besseren Gewissen für ihn arbeiten zu können. 

Schlagartig drängte sich eine Frage in meinen Kopf. Eine Frage, von der ich genau wusste, warum sie sich aufdrängte: Hatte er Felix umbringen lassen? Von Carter oder jemand anderem? Oder hatte er selbst ihn umgebracht? Eine Vorstellung, die mir einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. Ich wusste, dass ich ihm diese Frage stellen musste, um meine konfusen Gefühle ein für alle Mal zu klären. Denn ich wusste, dass ich mich niemals zu einem kaltblütigen Mörder hingezogen fühlen könnte..


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„Du solltest etwas essen", sagte Carter knapp und lehnte sich an die andere Seite der steinernden Säule, an der ich lehnte. Seine Worte rissen mich aus meiner Trance, in der ich meinen Blick starr vor mich auf einen Punkt in der Nähe des Marmorbodens gerichtet hatte. Der Abend lief und der große Saal war gefüllt mit Menschen in festlicher Abendskleidung, von denen ich nicht wusste, ob sie nur da waren, damit das Event stattfinden konnte, oder ob sie Teil des Events waren. 

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