Shays Auftritt Teil 1

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Allerwärts klagt der Mensch Natur und Schicksal an, und sein Schicksal ist doch in der Regel nur Nachklang seines Charakters, seiner Leidenschaften, Fehler und Schwächen.

(Karl Julius Weber)


Dichte Nebelschwaden stiegen bereits vom feuchten Waldboden auf. Die glühende rote Sonne war schon vor Stunden hinter den mit Schnee bedeckten Bergen untergegangen und hüllte den Wald in ein kühles tiefes Schwarz. Es war so dunkel, man konnte nicht einmal seine eigene Hand vor Augen sehen. Kühle Feuchtigkeit zog in jede Faser ihres Körpers und ließ sie leicht frösteln. Sie war froh, dass sie sich doch für den grünen Parker entschieden hatte und nicht für die dünne Regenjacke, die sie zwar vor Regen schützte, jedoch kein bisschen warmhalten konnte. Er war zwar nicht gerade Lady-Like, doch darauf achtete Malorie eher selten. Selbst ihre dunkle hüftlange Lockenmähne hatte sie nur notdürftig zu einem Zopf gebunden. Die Haare störten sie bei ihren Missionen, doch ihr Vater bestand darauf, sie nicht abschneiden zu lassen. Wie gerne hätte sie sich eine schicke Kurzhaarfrisur verpassen lassen, die ihr unheimlich gut stehen würde, dennoch fügte sie sich seinem Willen, weil das wahrscheinlich das einzig Mädchenhafte an ihr war. Zumindest daran unterschied man sie von den Jungs der Truppe.

Schließlich besann sich Malorie nur noch auf das, wofür sie hier war und was sie bereits als kleines Kind von ihrem Vater lernte. Sie vertraute einzig und alleine auf ihren Gehör- und Geruchssinn und wartete auf ihre Gelegenheit.

Wie oft schon hatte sie die Worte von ihm gehört? „Vertraue auf all deine Sinne. Nicht alles kannst du mit deinen Augen sehen." Damals, als kleines Kind, das gerade einmal bis zu seinen Hüften reichte, verstand sie noch nicht genau, was er von ihr wollte. Doch mit der Zeit und je älter sie wurde, setzten ihre eigenen Sinne, wie von selbst ein. Sie hörte und roch mehr, als andere Menschen es taten. Es war geradeso, als hätte man in ihrem Innersten einen Schalter umgelegt, der das schärfte, was sie für ihr Überleben brauchte. Wobei sie nach der Meinung von Leroy noch lange nicht voll ausgebildet zu sein schien. Immer wieder sagte er ihr, dass sie ihre Unachtsamkeit und ihre Ungeduld einmal ins Grab bringen würden. In manchen Punkten stimmte Malorie ihm sogar zu. Jedoch fühlte sie sich eher dazu bereit, ihre Missionen zu erfüllen, als viele der männlichen Jäger. Wie oft kamen sie verletzt von ihren Bestimmungsorten zurück ins Institut? Sie hingegen hatte sich bisher niemals eine Verletzung zugezogen. Vielleicht lag es aber auch daran, dass sie selbst in ihren Ruhezeiten, nicht auf der faulen Haut liegen blieb. Genau wie heute, suchte Malorie sich immer wieder etwas Neues, womit sie ihre Fähigkeiten weiterentwickeln konnte und vor allem nicht einrostete.

Ein Geruch von feuchtem Fell streifte plötzlich ihre Nase, die sie weiter in die Luft hielt, um seine Herkunft lokalisieren zu können. Malorie schloss die Augen, hörte in die Nacht hinein, die so ruhig war, dass sie sich selbst atmen und das ständig schlagende Geräusch in ihrer Brust vernahm. Das Knacken eines Astes und der ständig heftig werdende Geruch, verrieten ihr, dass sich ihre Beute in Richtung Osten befand. Nach dem eigensinnigen Duft zu urteilen, musste es sich um ein Reh handeln, das wahrscheinlich gerade auf Futtersuche war. Zu dumm, dass es sich ausgerechnet diesen Wald aussuchte und Malories Weg kreuzte, denn eins war sicher, lebendig würde es den Wald nicht mehr verlassen. Sie musste sich, trotz allem beeilen, denn nicht nur Malorie war in dieser Nacht auf der Suche nach Beute. Sie hatte den Geruch der Wölfe schon ausgemacht, als sie den Wald betrat. Normalerweise waren diese Tiere eher Menschenscheu, doch wie sie schon aus eigener Erfahrung wusste, ließ dieses Rudel in seinem Revier ungern Eindringlinge zu. Malorie wusste, dass sie nahe waren und das vernahm sie nicht nur von dem Heulen, das in der Dunkelheit widerhallte.

Gemächlich schlich sie auf Zehenspitzen in die Richtung, in der sie ihre Beute ausmachte und versuchte dabei so leise zu sein, dass selbst sie ihre eigenen Schritte nicht hörte. Jeden Ast oder Stein, die sie unter ihren extra dünnen Schuhen kurz berührte, umging sie gekonnt. Wie ein Raubtier seine Beute fixierte, so schob auch Malorie behutsam einen Fuß vor den anderen, bis ihr ein weiterer strenger Geruch so intensiv in die Nase strömte und sie instinktiv in ihren Bewegungen verharren ließ. Sie hasste diesen Geruch, der ihr selbst in den Magen zog und sie würgen ließ und andererseits etwas in ihr auslöste, dass sie nicht verstand. Ein Gefühl, dass sie gerade bei ihm und in seiner Nähe nicht haben durfte. Es war verrückt und doch erregend zugleich.

Melorie, the Demon HunterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt