A Wound To Close [Textsammlung]

XI. Ein Regensturm und das Meer

Der Regen trommelt an mein Dachfenster und erinnert mich an einen Kapellenmarsch. Normalerweise würde mich das Gewitter beruhigen, aber jetzt gerade hilft auch das ferne Donnergrollen nicht gegen meine angespannten Nerven.

Schliesslich schlage ich meine Decke zurück und stehe auf. Ich habe jetzt schon lange genug versucht einzuschlafen, dass ich endgültig die Nase voll davon habe, mich hin- und herzuwälzen (ohne Erfolg, wohlbemerkt). Also ziehe ich mir einen Pullover und meine Jacke über und schlüpfe in meine Schuhe.

Als ich die Haustür hinter mir zufallen lasse, schlägt mir sofort kalte Nachtluft entgegen und weht die letzten Spuren meiner Müdigkeit davon. Zum Glück ist der Sturm vorbeigezogen und es hat aufgehört zu regnen, sonst wäre ich jetzt ganz schön nass geworden. (Ich hätte duschen müssen und ich hasse es, nachts zu duschen).

Das Knarzen des Holzwegs unter meinen Füssen ist das einzige Geräusch, während ich mich durch die Dünen auf den Weg zum Strand mache. Es ist so dunkel, dass ich den Horizont, wo das Meer in den Himmel überläuft, nicht erkennen kann. Der Mond ist nur eine schmale Sichel und spendet mir so kaum Licht. Zum Glück bin ich hier schon so oft gelaufen, dass ich den Weg auch im Schlaf kennen würde (in dem ich mich gerade leider nicht befinde, aber gut).

Mittlerweile ist der Holzweg unter Sand begraben und das Rauschen des Meeres übertönt meine Schritte. Ich setze mich auf meinen Lieblingsstein und eine Weile lang schaue ich nur den Wellen zu, die scheinbar versuchen, das Land zu erobern. Langsam wäscht die Gischt nicht nur den Geruch des Regens, sondern auch meine Sorgen davon. Es fühlt sich an, als ob das Chaos in meinem Inneren in die Wildheit des Ozeans überfliessen würde, wo es viel besser aufgehoben ist. Und endlich fühle ich mich so entspannt, wie ich es immer tue mit dem Geruch von Salz in der Nase und dem Wind in meinem Haar.

- Mai 2024