A Wound To Close [Textsammlung]

XVII. Leere Stellen im Gesamtbild / Verstreute Puzzleteile

Du bist die einzige Person, bei der ich das Gefühl habe, dass ich ihr alles erzählen könnte. Niemand kennt mich so gut wie du.

Moment, nein; das ist eine Lüge.

Ich bin nicht jemand, der alles von sich preisgibt. Ich würde es gerne sein, doch es kostet mich viel zu viel Überwindung, über meine Gefühle zu sprechen, als dass ich es von Natur aus sein könnte.
Heisst das, dass ich Geheimnisse vor dir habe? Man könnte es wahrscheinlich so nennen und ich hasse diese Tatsache, wäre gerne nicht so wie ich es nun mal bin.

Am liebsten würde ich mein Hirn und Herz herausschneiden und es dir überreichen, damit du mich endlich wirklich verstehen kannst. Jedenfalls ist das meine Hoffnung; vielleicht ist mein Sein auch einfach zu kompliziert. Wenn ich mich nicht einmal selbst verstehe, wie kann ich dann von dir verlangen, dass du es tust?

Die Wahrheit ist, dass niemand mich so kennt wie ich mich selbst. Niemand kann meine Gedanken oder Gefühle lesen und wissen, wieso ich bin wie ich bin, wenn ich es nicht ausspreche.

Wenn ich es also nie tue, wenn ich immer meine eigene, private Person bin-

Was, wenn ich ein Geist bin? Jemand, der nur in Bruchteilen für Andere existiert, aber nie ganz, nie mit allem, was ich bin, immer mit diesen leeren Stellen, die nie gefüllt werden.
Was, wenn ich irgendwann überhaupt nicht mehr eine vollständige Person bin, auch nicht für mich selbst?
Was, wenn ich meine Chance verpasse, jemandem Farbstifte zu geben, um diese Lücken auszumalen, und für immer ein Lückenrätsel bleiben werde, weil meine Bruchteile zu verstreut auf viele Personen sind, um sie wieder zusammenzusetzen?

- Juni 2024