Jisung lag nur noch auf der Couch, die Lider halb geschlossen, während er mir dabei zuhörte, wie meine Finger auf die Tastatur hämmerten und neue Songs langsam Form annahmen.
"Ich denke, ich sollte auch rüber gehen", stellte er fest und räkelte sich wie eine Katze in der Sonne, bevor er sich aufsetzte und einen Blick auf sein Handy warf.
"Meine Güte, schon so spät..."
Meine Augen huschten kurz zur Digitaluhr im unteren Bildschirmrand. 01.48 Uhr - die Nacht hatte gerade erst begonnen.
"Mach's gut, Hyung. Bleib nicht zu lange, alles klar?" Er klopfte mir im Vorbeigehen auf die Schulter. Ich hob meine Hand und streifte seine als Zeichen, dass ich ihn überhaupt wahrnahm. Es kam nicht selten vor, dass erst Changbin und dann Han aus dem Studio verschwanden, ohne dass ich es mitbekam und ich vollkommen benebelt bis fünf Uhr morgens vor dem Computer saß.
"Jo, mach's gut." Ich wusste, dass es unhöflich war, doch ich konnte den Blick nicht von den Bildschirmen vor mir abwenden, während ich ihn verabschiedete.
Im nächsten Augenblick öffnete sich die Tür und fiel mit einem dumpfen Aufprall zurück ins Schloss. Ich war allein. Schon wieder.
Ich legte Tonspuren übereinander, bis mir der Sound gefiel, legte Effekte über einige Sequenzen, bis der Song sich nach Stray Kids anhörte.
Unermüdlich glitt mein Blick von links nach rechts, oben und unten, während meine Hände aus ein paar Mausklicks und Tastaturanschlägen Musik heraus kitzelten.
Meine Kopfhörer liefen heiß, genauso wie der Prozessor im Tower neben meinen Beinen. Um kurz vor halb vier wagte ich das nächste Mal einen Blick auf die Uhr. Mein Kopf schmerzte wie verrückt, meine Augen waren trocken und brannten und meine Finger krampften langsam von den eintönigen Bewegungsmustern.
Mit einem Seufzen so schwer, dass es Berge zum einstürzen hätte bringen können, fuhr ich den PC runter und schaltete die Birdschirme aus. Einzig die LED-Leiste hinter der Couch erhellte nun noch den Raum mit warmem, gedeckten Licht.
Ich streckte mich, reckte die Fingerspitzen so weit nach oben als wollte ich nach den Sternen greifen, bis mir auffiel, dass es keine Sterne mehr für mich gab. Es gab nur die eintönig gestrichene Decke des Studios.
Wie ein Fahrradreifen, dessen Ventil jemand geöffnet hatte, fiel ich in mich zusammen und legte den Kopf auf den Tisch. Einen Moment Ruhe konnte ich wirklich mehr als gebrauchen.
Mit dem letzten bisschen Energie, das ich noch aufbringen konnte, schleppte ich mich zur Couch und warf mich auf die ausgeleiherte Sitzfläche. Mit den Füßen angelte ich nach der Decke, mit den Händen legte ich mir das Kissen zurecht, bis ich eine halbwegs komfortable Position gefunden hatte. Es dauerte jedoch keine Minute, bis auch diese Position wieder unbequem wurde und ich mich auf die andere Seite rollte. Dann legte ich mich auf den Bauch, auf den Rücken, rutschte hoch und runter, doch es half alles nichts. Ich stand auf und holte mein Handy vom Schreibtisch. Es war bereits kurz vor fünf, wenn ich der Uhr auf meinem Startbildschirm Glauben schenken dufte. Ich lachte bitter, während ich nach der App suchte, die Changbin mir installiert hatte - eine white noise App, die seltsame Geräusche von sich gab, doch angeblich sollte es beim einschlafen helfen. Ich wickelte mich fest in die Decke ein und warf mich dann aufs Sofa. Mittlerweile war es auch egal, in welcher Position ich lag. Es war eh hoffnungslos. Allerdings lullte mich dieses merkwürdige Rauschen doch auf eine Art ein und ich schaffte es, die Augen länger als eine Minute geschlossen zu halten. Wenn ich die Geräusche noch fünf Minuten laufen ließ, würde das bestimmt nicht schaden."Na, wen haben wir denn da?"
Ein unmenschlicher Schrei entfloh mir, während ich wie von der Tarantel gestochen in die Senkrechte kam und Seungmin beinahe eine Scheuerte. Ich atmete schwer und starrte ihn an als wäre er ein Geist. Er lachte nur und versteckte wie immer seinen Mund hinter seiner Hand. Beinahe instinktiv griff ich nach der Hand und schob sie mit sanftem Druck zur Seite. Sein Lachen ebbte ab, als er meine Geste bemerkte.
"Versteck dein Lachen nicht immer", tadelte ich, seine Hand noch immer in meiner.
Er verzog lediglich einen Mundwinkel und verdrehte im Ansatz die Augen. Es war ein immerwährender Kampf zwischen uns - ich hielt ihn davon ab, seine Unsicherheiten zu verstecken und er prügelte so viel Selbstliebe in mich rein, wie es ihm möglich war. Meistens waren wir beide auf dauer nicht erfolgreich und es stieß mir immer wieder sauer auf. Ich mochte sein Lachen, hatte es geliebt, wenn er so breit gegrinst hatte, dass seine Lippen zum zerreißen gespannt waren, doch seit er die Kommentare gesehen hatte, bemühte er sich, nicht offen zu lachen und es fühlte sich jedes Mal wie ein Faustschlag in die Magengrube an.
"Wie bist du hier rein gekommen?", lenkte ich vom Thema ab.
"Es war nicht abgeschlossen." Er ließ sich vor dem Sofa auf seinen Hintern fallen und zog die Knie an.
"Und was machst du hier?"
"Ich wollte Frühstück holen für Lixie und mich und dachte mir, ich guck mal in deiner Wohnung vorbei, ob du überhaupt schlafen gegangen bist." Der Blick, den er mir entgegen warf, sprach Bände.
"Ich bin schlafen gegangen", verteidigte ich mich sofort und zeigte auf die Decke in meinem Schoß und dann auf das ausgeleiherte Sofa.
"Du weißt, was ich meine..."
Ich kniff die Augen zusammen und massierte mir die Stirn an der Stelle zwischen meinen Augenbrauen.
"Du weißt doch, dass Senioren genug schlaf brauchen."
Refelxartig kickte ich ihm gegen sein Schienbein.
"Ich bin 28!"
"Ja, also fast 30 und das ist dann schon praktisch 60." Er grinste wieder und dieses Mal konnte ich seine geraden Zähne hinter seinen Lippen hervor blitzen sehen.
"Und du? Du bist 25. Das ist quasi das gleiche wie 20, und das ist praktisch 10, also bist du noch ein kleines Baby."
"But I wanna be a baby", grinste er.
Ohne Vorwarnung sprang ich auf und umklammerte ihn an seiner Brust. Der Schwung, den ich mitbrachte, ließ uns beide auf den Boden fallen, dicht umschlungen. Mein Kopf ruhte auf seiner Schulter und für einen Moment schloss ich einfach die Augen, bis Seungmin ein theatralisches Würgen von sich gab und sich von mir losriss.
"Ein Opa, der ein Baby überfällt. Ist das schon Pädophilie?"
Er klopfte sich die Ärmel ab, als hätte ich ihn beschmutzt, aber eigentlich wussten wir beide, dass das nur Show war. Seungmin war der ehrlichste Mensch, den ich kannte, aber bei dieser einen Sache flunkerte er mich doch immer wieder an.
Ich blieb auf dem Boden liegen aus reiner Bequemlichkeit. Vielleicht hätte ich nochmal einschlafen können, einfach genau hier auf den grauen Fliesen, die sich kalt unter meinem Rücken anfühlten. Wie lange ich wohl geschlafen hatte?
"Wie spät ist es eigentlich?", fragte ich und tastete den Boden nach meinem Handy ab, um mir die Frage selbst zu beantworten.
"Gleich um acht", sagte Seungmin jedoch, bevor ich mein Handy in die Finger bekam.
"Oh wow..." Ich seufzte. Das tat ich häufig in letzter Zeit. Ich schlug die Arme überm Gesicht zusammen und schloss die Augen und fragte mich, ob ich mich freuen sollte, dass ich überhaupt drei Stunden geschlafen hatte oder ob ich mich ärgern sollte, weil es nur drei Stunden geworden waren.
"Und wie viel hast du geschlafen? Darf ich raten? Vier Stunden?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Nah, eher... drei", gab ich zu und gleich darauf flog mir ein Kissen mit voller Wucht in die Magengrube. Ich krümmte mich und hielt mir instinktiv den Bauch, obwohl es eigentlich kaum wehgetan hatte, die Geste an sich tat allerdings schon irgendwie weh. Ich wollte nicht, dass Seungmin sauer auf mich war. Ich war schon enttäuscht genug von mir selbst.
"Du weißt schon, was heute alles auf dem Plan steht, oder?", richtete er das Wort an mich.
Ich nickte bloß. Friseur um zehn - das würde mindestens vier Stunden in Anspruch nehmen, denn meine Haare sollten einen deutlich helleren Braunton verpasst bekommen. Danach hatte ich gemeinsam mit Seungmin und Lee Know einen Dreh bei einer Fernsehsendung, irgendeiner Talkshow und danach hatte ich vor, mich wieder an den Computer zu setzen.
"Ich sehe, was du denkst!" Seungmin hatte seine Augen zu schmalen Schlitzen verengt und sah mich durchdringend daraus an.
"Du willst dir die nächste Nacht wieder um die Ohren schlagen. Wahrscheinlich hast du nicht einmal daran gedacht, dass du zwischendurch auch noch was essen musst. Die Promo für das letzte Album ist gerade erst durch. Entspann dich mal. Du hast genug fertige Songs für die nächsten drei Comebacks."
"Nur drei? Ich muss Songs für mindestens sechs Comebacks parat haben, bevor ihr nächstes Jahr alle..." Ich verstummte.
Da war sie wieder, diese eine Sache. Tief in mir wusste ich, dass sie mich beunruhigte, mir beinahe Angst machte und wahrscheinlich war sie der Grund, warum ich mich noch mehr als sonst hinter meiner Arbeit versteckte. Aber das war alles tief in mir drin, gut verschlossen mit mindestens zehn Vorhängeschlössern. Ich wollte es nicht wahrhaben, dass mir die baldige Abwesenheit meiner Schützlinge so zusetzte.
"Hyung..." Seungmin rieb sich mit der flachen Hand über die Stirn.
"Das sollte kein Grund für dich sein, dich komplett zu ruinieren. Du bist so ein Lappen, ey. Wir werden doch nicht für immer gehen. Es sind nur 18 Monate und du weißt, dass schon alles geregelt ist."
Ächzend setzte ich mich auf und schaute in diese unendlich liebenswürdigen Welpenaugen. Trotz aller Ehrlichkeit, trotz der schnörkellosen Persönlichkeit, die Kim Seungmin ausmachte, war es manchmal schwer, seine doch sehr verwinkelten und komplexen Gefühle aus seinem Blick abzulesen. Ich legte den Kopf schief und er folgte mir.
"Weißt du, wie viel 18 Monate sind", fragte ich aus der schrägen Position heraus. Er zuckte mit den Schultern.
"Für diese eine Boyband sind es mittlerweile schon... äh... zehn Jahre?", stellte er monoton fest, was mich zum grinsen brachte.
"Meinst du One Direction? Bist du nicht zu jung, um dich an die noch zu erinnern?"
Nun fiel seine Maske aus Gleichgültigkeit. Für einen Moment sah er beleidigt aus, doch es dauerte nur einen Wimpernschlag und er hatte sich wieder im Griff.
"Wenigstens war ich noch nicht im Pflegeheim als sie sich getrennt haben."
"Seungmin!" Ich griff nach dem Kissen, das er eben nach mir geworfen hatte und prompt landete es in seinem Gesicht. Seine Brille fiel zu Boden und ich verzog betroffen das Gesicht.
"Sorry..."
"Nicht schlimm. Alte Menschen werden mit der Zeit ungenau in ihrer Zielfähigkeit", winkte Seungmin ab und setzte sich die Brille einfach wieder auf.
Nichts, aber auch wirklich nichts schien diesen Plagegeist aus der Ruhe bringen zu können. Natürlich stimmte das nicht - wenn sein Mikrophon nicht so wollte wie er oder er mit Headset performen musste, konnte dieser kleine Welpe zu einem richtigen Höllenhund werden.
Er stand auf und legte das Kissen zurück auf die Couch. Die Decke faltete er zwei mal mittig und legte sie sorgfältig über die Lehne. Ich beobachtete ihn dabei mit angezogenen Beinen. Felix war schon manchmal beneidenswert, denn mein Mitbewohner hatte die Angewohnheit, den Haushalt eher nie als spät zu erledigen.
"Willst du mitkommen Frühstück holen?" Seungmin hielt mir seine Hand hin, sah mich aber nicht an. Sein Blick lag bereits auf der Tür als würde ich ihn eigentlich gar nicht interessieren. Wie nannte man diese Charakterarchetypen in Mangas noch gleich? Tsundere? Oder Kudere?
Ich nahm seine Hand, seine schmalen Finger, die erstaunlich warm waren und ließ mich von ihm auf die Beine ziehen. Ich hielt ihn noch einen Moment länger fest als notwendig, denn mir war schon vor einiger Zeit aufgefallen, dass Seungmins Berührungen wie ein Entspannungsbad auf mich wirkten.
Mit einem glücklichen Lächeln auf den Lippen trat ich zur Tür heraus.
"Gleiches Café wie immer?"
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Insomniac | Seungchan
FanfictionEs ist sein größter, immer wiederkehrender Albtraum: die aufgehende Sonne, das erste Blau am Horziont und die ersten Schritte derjenigen, die schon wieder wach sind, denn er ist immer noch wach. Nacht um Nacht ist es das gleiche Katz und Maus Spiel...