Cress erwachte und fror sofort erbärmlich. Sie lag auf nassem Kies und hatte Schmerzen am ganzen Körper. Steinchen bissen in die Wunde an ihrer Schulter. Sie brauchte drei Versuche, bis sie sich hochstützen konnte und sah auf ihre Handflächen hinunter. Die kleine Verletzung, für die sie Mike getadelt hatte, war nicht mehr auszumachen, weil ihre Handflächen kaum noch Haut an sich hatten. Sie brauchte einen Moment, bis die Bruchstücke sich in ihrem Kopf sortierten. Bis sie hinaussah. Die Schmerzen verflogen nicht, aber sie hielten sie nicht davon ab zu starren. Noch machte das Adrenalin alles erträglicher, als es war. Cress hielt bewegungslos inne, den Blick in die Ferne gerichtet. Sie war nicht mehr in den Narben und der Regen hatte nicht aufgehört, aber er berührte sie nicht mehr. Vor ihr lag Weite. Sie sah die erleuchteten Brücken, die nun weit unter ihr lagen und sich über die Schwärze der Schluchten spannten. Dahinter lag nur Schwärze, die am Horizont in den Himmel überging. Der Himmel. In der Tiefe erzählte man sich Geschichten von seiner Weite, von seinen Bewohnern, die sich darüber jagten. Cress sah den Mond blass in der Ferne. Er schien nur sanft, aber das Licht war ungewohnt direkt. Am meisten traf sie aber die Weite, die scheinbare Unendlichkeit. Sie fühlte sich, als könne sie jeden Moment hinein gesogen werden in das Schwarz über sich. Auch in den Schluchten gab es Geister, die noch der Lehre des hohen Ordens folgten und die Sterne für Götter hielten. Cress hatte es nie verstanden. Bis jetzt, wo sie die silbernen Lichter sah, die aus unermesslicher Entfernung auf sie herunterleuchteten. Sie fühlte sich, als würden sie sie alle beobachten. Man sah, wo die Kuppel begann, die über der Hauptstadt lag. An den Rändern flirrte sie blau und die Wolken hörten auf, sobald sie sich über ihren Kopf spannte. Cress wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Der Cyborg war Richtung Himmel geflogen und hatte sie dabei unabsichtlich aus den Narben herausgetragen. Sie hatte die Brücken überlebt. Wie hatte sie die Brücken überlebt? Kieran hatte vermutet, dass die Soldaten deshalb Jagd auf den geflügelten Cyborg machten, weil sie Angst hatten, dass er so hoch fliegen würde. Er hatte Recht. Selbst das Militär hatte das Wesen unterschätzt bis zuletzt. Cress wandte den Kopf, weg von den Brücken und der Wüste, und blickte über eine weite Wasseroberfläche, die an ihren Stiefeln leckte. Wie ein schwarzer Spiegel erstreckte sich der Wasserspeicher in die Dunkelheit, der ihren Fall gebremst hatte. Dahinter glühten die Lichter der Hauptstadt, wie das goldene, rote und grüne Äquivalent des Himmels. Am höchsten Punkt, den sie sehen konnte, reckte sich ein Gebäude in die Höhe, das heller strahlte als alles andere. Der Palast war selbst aus dieser Entfernung beeindruckend. Cress zitterte inzwischen unkontrolliert. Ob es die Kälte war, oder der Schock, konnte sie nicht sagen. Das hatte sie von ihrer Arroganz. Wer nach den Sternen griff, musste sich nicht wundern, wenn sie einen dann letztendlich holen kamen. Sie hatte keinen Schimmer, was sie jetzt tun sollte.
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Skythief - Gefallene Sterne [2024 Version]
Ciencia FicciónIn den Narben, tiefen Schluchten am Rande der Hauptstadt eines Imperiums in der Zukunft, ist Cress Cye als rechte Hand eines Verbrecherfürsten gefürchtet. Die alten Monster, die dort in den Tiefen leben, kennt sie gut. Doch als eines davon so viel S...