Julian löste sich aus der Traube der Damen, mit denen er bis eben noch gelacht hatte. Es waren Mütter, die ihre Töchter zu gerne an ihn verheiratet hätten. Doch der Posten war bereits vergeben und die Familie, die ihn ergattert hatte, würde sich bis zur Hochzeit darin verbeißen, wie ein Wolf. Er kam auf Nico zu, der gerade durch die hohe Tür des Thronsaals hereingekommen war, und schüttelte ihm die Hand. Nico drückte so fest zu, dass jeder normale Mensch zusammengezuckt wäre, verneigte sich aber pflichtschuldig. In der Öffentlichkeit taten sie so, als wäre die Distanz zwischen ihnen größer, als sie es eigentlich war. Denn allein ihre Verwandtschaft brachte viele Vorteile mit sich. Beispielsweise konnten sie sich unterhalten, ohne Misstrauen zu erwecken. Man würde automatisch annehmen, dass es sich um offizielle Angelegenheiten handelte. Nicht um die Dinge, die Julian heimlich hinter dem Rücken seines Vaters orchestrierte. Nicht um die Frau, deren Blut sich Nico vorhin erst von den Händen gewaschen hatte.
„Einen wunderschönen Abend haben wir, nicht wahr?", fragte Julian. „Um von den Toten aufzuerstehen."
Er lächelte gewinnend einem General entgegen, wandte sich dann aber ab, damit dieser nicht auf die Idee kam ihn anzusprechen und von Nico zu trennen. Mit Genugtuung sah Nico, wie Julian seine Hand anspannte. Er hoffte, der Handschlag hatte ordentlich wehgetan.
„Ich bin nur so gefasst, weil ich mich auf dem Weg hierher abreagiert habe", eröffnete er das Gespräch.
„Kann kein besonders langer Weg gewesen sein."
Er konnte nicht fassen, dass Julian auch jetzt lakonische Kommentare regnen ließ. Dafür war die Situation zu ernst.
„Wissen die anderen davon, was du da treibst?", antwortete Nico mit einer Gegenfrage.
Julian schüttelte langsam den Kopf. Er hatte den Blick in die Menge gerichtet und winkte flüchtig jemandem zu. Dass er ebenfalls nicht so entspannt war, wie er tat, war nur erkennbar, wenn man ihn gut kannte. Und wer ihn gut kannte würde es wahrscheinlich auf die Umstellung schieben. Darauf, dass er um den Globus geflogen war, jahrelang in den Kolonien gelebt hatte, die man sich hier als wildes Land ohne jeden Luxus vorstellte. Dabei waren sie nah genug gewesen, dass er hier und da Fäden ziehen konnte. Nico warf dem Weinglas seines Cousins einen Blick zu. Es war schon wieder leer, doch er schien noch nicht einmal angetrunken, als er leise sagte:
„Ich habe wirklich daran gezweifelt, ob mein Verstand mir nicht doch zur Abwechslung einen Streich spielt. Sie ist geschwommen. Oliver hat sie zwar gespottet, aber ich habe schon einmal gar keine Ahnung, wie sie überhaupt aus den Narben herausgekommen ist."
Nico hätte gerne geschrien, doch er nahm nur beiläufig ein Glas von einem vorbeieilenden Diener entgegen.
„Wie ist das passiert?", fragte er.
„Ich weiß es noch nicht."
Julian ließ seinen Blick über die Menge schweifen, diesmal nicht breit lächelnd, als würde er jedes Gesicht im Raum durchgehen und nach dem Schuldigen suchen.
„Du musst es ihnen sagen."
Julians Gesicht blieb unbewegt.
„Das kann ich erst, wenn es vorbei ist."
Nico machte den Mund auf, doch Julian fiel ihm mit funkelnden Augen ins Wort. Er sah aus wie sein Vater, fand Nico.
„Ich brauche jemanden, der etwas für mich tut. Ich brauche ihre Fähigkeiten mehr als ich das Mittleid der anderen brauche. Und leider brauche ich sie."
Nico schüttelte den Kopf. Er war nicht daran gewöhnt, dass sein Cousin pures Kalkül wallten ließ. Vor allem nicht in der Situation, in der er sich zu diesem Zeitpunkt befand. Egal, was er selbst behauptet hatte, das Exil hatte ihn verändert.
„Zu gut, dass man sie auf dich angesetzt hat, findest du nicht?"
Julians Stimme war Samt. Er konnte Armeen in seinen Bann ziehen, wenn er wollte. Ihre geschliffene Rhetorik war eines der Talente, die diese Dynastie nachhaltig auf dem Thron verankerten. Doch die Aussage traf Nico. Wenn Julian eine Wahl gehabt hätte, hätte auch er nicht erfahren, was sich momentan in der Villa am Stadtrand abspielte.
„Du bist gerade erst zurückgekommen und schon hältst du deine Hand ins Feuer. Die Kolonien sind eine Sache, aber dieser Palast hat viele Augen. Sie sind alle auf dich gerichtet."
„Danke für die Warnung, Cousin. Wirklich, ich weiß das zu schätzen."
„Ich unterstütze das nicht."
„Nein, ich weiß", gestand Julian, „deswegen wollte ich dich nicht miteinbeziehen. Die Entscheidung hat uns irgendjemand abgenommen."
Sie schwiegen einen Moment.
„Wie geht es dir damit?", fragte Nico letztendlich unangenehm berührt. Zur Antwort trank Julian sein Glas aus.
„Nicht jetzt", sagte er und stellte sich dann hoch aufgerichtet und ernst den nächsten, die den strahlenden Kronprinzen zuhause begrüßen wollten. Er wusste, dass eine Rückkehr unvermeidbar gewesen war, aber er wünschte sich zurück ans andere Ende der Welt, als die nächsten Fürsten sich vor ihm verneigten.
DU LIEST GERADE
Skythief - Gefallene Sterne [2024 Version]
Science FictionIn den Narben, tiefen Schluchten am Rande der Hauptstadt eines Imperiums in der Zukunft, ist Cress Cye als rechte Hand eines Verbrecherfürsten gefürchtet. Die alten Monster, die dort in den Tiefen leben, kennt sie gut. Doch als eines davon so viel S...