Wie schnell sie in alte Muster verfallen waren erkannte man sofort, wenn man in Julians Suite kam. Sie tranken Schwarztee, dessen Aroma den ganzen Raum erfüllte, aber geraucht wurde nicht, wenn sie ernsthaft bei der Sache waren. Jeder saß auf seinem Stammplatz vor dem Kamin, dessen Sims von marmornen Frauenfiguren gehalten wurde. René kerzengerade, wie es ihr ihre Mutter eingeprügelt hatte, Oliver auf dem Boden mit einer Hand auf der Chaiselongue, auf der Will residierte, er selbst nach vorne gebeugt neben Julian und dieser mit in die Hand gestütztem Kinn auf seinem Lieblingssessel gegenüber der Flammen. Nur Finja fehlte. Nico wusste wieso, der Rest nicht. Sein Blick ruhte auf dem Arete Haus, das auf dem Miniaturmodell der Hauptstadt, um das sie herumsaßen, gerade so auf seiner Insel auszumachen war. Es war ein schönes Model, auf dem die Giebel und Türme des Palastes abgebildet waren. Es endete mit dem Wasserspeicher, die Brücken waren nicht mehr abgebildet und die Narben erst recht nicht. Ein Geschenk von einigen Ministern, die Julian zu seinem 18. Geburtstag das Vertrauen ausgesprochen hatten. Wäre es von seinem Vater gekommen, hätte er es nicht behalten. Oliver hatte später erst die Brücken als Modell organisiert und hinzugefügt.
„Das Gedankenspiel des abends, meine Lieben."
Julian legte die Situation dar: ein scheinbar uneinnehmbarer Gebäudekomplex, fünf Kilometer in den Narben. Eine Festung, der man wahrscheinlich in jedem anderen Jahrhundert nachgesagt hatte, dass dort der leibhaftige Teufel residierte.
„Unter Geheimhaltung, hast du gesagt?", Oliver rieb sich das Kinn. Julian nickte.
In der Stille, die sich gesenkt hatte, grübelten sie eine Weile konzentriert vor sich hin. Im Atheneuem waren ihnen häufig solche Strategiefragen gestellt worden. Komplexe Probleme, an denen Gremien monatelang kauen konnten. Nur hatten sie nicht so viel Zeit und bei allen Bemühungen doch eingeschränkte Informationen.
„Die Priorität wäre es, die Festung zu brechen", stellte Oliver stirnurnzelnd klar. „Nicht die Infiltration?"
„Wenn wir keinen Weg hinein finden, brechen wir sie sofort", nickte Julian.
„Spurlos?"
„Welche Ressourcen stehen uns zur Verfügung?"
„Alle üblichen", sagte Julian. „Alle, auf die ihr und ich Zugriff habt. Rechnet Finja mit ein."
Nico hielt sich zurück und beobachtete, wie seine Freunde in ihren Köpfen Soldaten, Material und entscheidende Figuren hin und her schoben.
„Vor Samhain, sagst du? Das sind drei Wochen."
Der General runzelte die Stirn. Es war radikal, selbst für den Prinzen, eine solche Aktion direkt unter der Nase seines Vaters zu starten.
„Der Komplex ist in den Fels gehauen. Wir kommen mit Feuerkraft nicht dran, auch wenn wir wollten."
„Du bist mit der klügsten Strategin verlobt, die das Atheneum in den letzten Jahren hervorgebracht hat, vielleicht fragst du mal sie", schlug Oliver vor und lächelte René süßlich an.
„Bevor ich antworte: existiert das wirklich?", fragte diese und wedelte nachlässig mit einem Finger über die Narben.
„Was denkst du? Wenn es existieren würde, würde man rankommen?"
René schob das Kinn vor, dann wiegte sie den Kopf hin und her.
„Nico hat Recht, das ist ... schwierig."
„Aber möglich?"
„Mit genug ausgebildeten Männern, aber das dauert Monate", warf Will ein.
„Oder wir jagen die Kalamit Brücke in die Luft", schlug René vor. Sie deutete auf eines der Wachgebäude, das sich über die Narben spannte. „Wir sprengen sie und lassen sie in den Abgrund stürzen. Die Trümmer werden ihnen den Weg versperren. Sie können sie genauso wenig von oben wegsprengen wie wir. Wir bekommen die Erinnerung nicht, aber wir ersticken das Problem."
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Skythief - Gefallene Sterne [2024 Version]
Science FictionIn den Narben, tiefen Schluchten am Rande der Hauptstadt eines Imperiums in der Zukunft, ist Cress Cye als rechte Hand eines Verbrecherfürsten gefürchtet. Die alten Monster, die dort in den Tiefen leben, kennt sie gut. Doch als eines davon so viel S...