23 - Türme, Heiligtum

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Julian Alessandrini kam zur Flammenschau. Jeden Morgen sammelte sich der Orden um die Feuerschale im Heiligtum, in der ein Ableger der Flamme brannte. Sie mussten gebührenden Abstand halten von der sengenden Hitze, die das weiße Feuer ausstrahlte. Kinder waren nicht erlaubt, die Gefahr war zu groß für sie. Der blaue Adel durfte teilnehmen, tat es aber in der Regel nur zu Hochfeiertagen. Nicht an einem gewöhnlichen Samstagmorgen. Während Maya die Riten rezitierte und der Rest des Ordens sie wiederholte, beobachtete der Prinz sie. Er sprach mit, wusste wann sie zu stehen und wann sie zu knien hatten. Die halbe Stunde verstrich und Maya entließ sie mit einem Segen, bevor sie nach der Glocke aus geweihtem Kristall griff und sie über die Flamme stülpte. Augenblicklich nahm die Hitze ab.

„Euer Name ist Maya Adelen, nicht wahr?", fragte jemand.

Der letzte Rest des aufgesetzten Lächelns verblasste von ihrem Gesicht, während er begann durch das Heiligtum zu schlendern und die Glasfenster in Augenschein zu nehmen.

„Ich fürchte, dass ich noch nicht in allen Dingen auf dem neusten Stand bin. Doch Euer Lebenslauf liest sich interessant. Ich gratuliere zum Protektorenamt."

Mayas Puls hämmerte so laut, dass er es eigentlich hören müsste. Sie erinnerte sich daran, wie er jünger gewesen war, ein verzogenes Gör an der langen Tafel. Von den Tränen und dem Heischen um Aufmerksamkeit war nicht viel übrig geblieben.

„Ich danke Euch, Hoheit."

„Ihr wirkt verängstigt", stellte er fest. „Ich bin nicht hier, um euch zu schaden."

„Nur überrascht, dass Ihr Euch schon so bald nach Eurer Rückkehr unter die Leute mischt."

Er nickte. Sein Blick war beunruhigend und Maya hatte das Gefühl, dass er das sehr gut wusste.

„Es liegt keine Schande darin, um Hilfe zu fragen", sagte er nach einer Weile. Jedes Wort war feinsäuberlich ausgewählt, wie aus einem Baukasten. Maya glaubte, sich verhört zu haben, doch er fuhr schon fort:

„Ihr habt eine der ältesten Lektionen gelernt, die ich kenne: Macht, egal wie groß, ist fragil."

Für jeden Mithörer musste es sich anhören, als sei sie zu ihm gekommen. Flehend, auf Knien.

„Was auch immer Ihr von mir wollt, ich bitte Euch, es fallen zu lassen", sagte Maya. Sie sah zu den Rängen hinauf. Wenn ein einziges Ordensmitglied noch herumschlich hier, dann war sie geliefert. Der Prinz legte die Fingerknöchel gegen die Glocke, die die Flamme erstickt hatte. Oder nur den Siegelring an seiner Hand möglicherweise, sonst wäre er unweigerlich zurückgezuckt vor der Hitze.

„Habt Ihr Angst, dass ich Eurem Ruf weiter schade?"

Er klang ein wenig höhnisch, aber nicht so bösartig wie van Garde. Tyrannen mit sanften Worten waren die schlimmsten. Maya wartete.

„Ihr braucht Hilfe", stellte der Reisende fest. „Es gibt nicht viele Menschen, die sie Euch anbieten können. Ich kann es."

„Eure Besorgnis ehrt mich, aber sie ist unnötig."

Kühle Augen flackerten über sie.

„Würdet ihr das wirklich denken, hättet Ihr es nicht sagen müssen."

Der Alessandrini Erbe senkte die Hand und kam auf sie zu. Sie fragte sich, ob der Orden so auf die Welt wirkte, wie sie neben ihm wirken musste. Verängstigt und wehrlos. Unwillkürlich straffte sie sich, aber Blickkontakt mit diesem Menschen zu halten war eine körperliche Kraftanstrengung.

„Ich spreche Euch nicht Eure Qualifikation ab, oder Eure Fähigkeit Konflikte zu lösen. Ich biete Euch nur eine Hand an für die Teile des Wegs, auf denen das nicht reicht."

Er wirkte abgeklärt, nicht schelmisch und provokant wie sein Cousin. Maya wusste nicht, was sie schlimmer fand. Für ihren Geschmack hatte sie deutlich zu viel Kontakt mit den jungen Adligen gehabt in letzter Zeit. Doch sie war nicht so dumm zu glauben, sie hätte wirklich eine Wahl, wenn Julian Alessandrini ihr ein Angebot machte. Wenn sie ablehnte, würde er auf anderen Wegen das bekommen, was er wollte. Er hatte van Garde als Vorhut geschickt, damit er seine Drohung nicht einmal aussprechen musste. Bei jedem anderen hätte Maya es für einen Bluff gehalten. Nicht, wenn es von diesem Mann kam.

„Wie sieht diese Hilfe aus?", fragte sie. „Beim besten Willen kann ich mir nicht vorstellen, wie ausgerechnet Ihr Einfluss auf meine Position nehmen wollt."

„Ihr braucht etwas, das Euch zurück in die Gunst der Hohen stellt. Möglichst schnell. Das kann die ganze Welt sehen."

„Ihr wollt mir nicht helfen."

„Aber was, wenn doch?", fragte er und tat dabei leicht getroffen. „Vielleicht tut Ihr mir Unrecht."

Maya ließ zu, dass sich die Idee in Ihrem Kopf entfaltete. Sich von ihm helfen zu lassen, war wie sich von seinem Feind in den Schlaf singen zu lassen. Niemand wusste, wie tief sein Einfluss in den Orden ging. Wäre das nicht eine Möglichkeit, zumindest dieses Mysterium zu lösen?

„Jemandem eine Wahl zu bieten, funktioniert nur, wenn die Person glaubt, sie hätte wirklich eine."

Ein melancholisches Lächeln tanzte über das Gesicht des Prinzen. Die Bemerkung war ein Fehler gewesen.

„Ah, nun gebt Ihr mir dir Politikstunden", machte er. „Hinreißend."

Alle Härchen in Mayas Nacken stellten sich auf. Sie hatte sich einen Moment lang zu weit vorgewagt und war erinnert worden, dass sie sich auf sehr dünnem Eis bewegte. Sie hatte ein hohes Amt im Orden inne, aber wenn das, was van Garde bei ihrem Tanz angedeutet hatte, stimmte, dann hatten sie die jungen Adligen am Nacken.

„Stehlt für mich", der Prinz sah ihr direkt in die Augen. „Niemand braucht das, was ich suche. Es liegt seit Jahren im großen Gedächtnis. Für mich ist es ein enormer Aufwand das zu bekommen, was ihr beinahe nebenbei erledigen könnt. Denkt pragmatisch, stehlt für mich und ich werde Euren Ruf wiederherstellen."

Sie hätte beinahe verächtlich reagiert. Sie wäre ihm gerne mit Empörung begegnet. Hätte ihn ausgelacht dafür, dass er dachte, sie würde den Orden verraten. Doch sie hatte es schon einmal getan, leise und egoistisch. Zu ihrem Pech fragte sich nun ihr Gegenüber: wieso nicht auch für mich? Maya wollte zumindest zeigen, dass er ein Lügner war. Oder wie auch immer Politiker das nannten, um dieses Wort nicht benutzen zu müssen.

„Wie wollt ihr das schaffen?"

„Meine Leute waren der Grund, wieso die Hohe nicht im Palast war während der Hinrichtung, Adelen. Ihr wollt nicht wissen, wie leicht es ist, Schritte zu lenken, wenn man die Variablen kennt."

Wieder dieses winzige Lächeln, das Herzen und Genicke brach. Ob es stimmte oder nicht war egal, sie traute es ihm zu.

„Wie ich Euren Ruf rehabilitieren will? Im Handumdrehen. Nachdem Ihr mir einen Gefallen getan habt."

Er nickte ihr zu, als hätten sie nur über das Wetter gesprochen.

„Einen schönen Tag, Protektorin. Habt keine Angst, dass ich euch noch oft belästige. Dafür bin ich zu beschäftigt."

Er warf sich seinen Mantel, den er über dem Arm getragen hatte, über die Schulter und ging davon Richtung Morgenlicht, ohne beim Verlassen des Heiligtums den Kopf vor der Laureline Statue zu neigen.

Skythief - Gefallene Sterne [2024 Version]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt