Er fühlte sich wieder, als stünde er zum ersten Mal in der Krypta unter dem Palast. Könige und Königinnen wurden dort in Steinsarkophagen bestattet. Sie alle lagen dort, wo vermutlich auch Julians Vater und er selbst liegen würden. Alle, bis auf einen. Vor Jahrhunderten war der zweite König der letzten Stadt nach dem Putsch gegen ihn an den Rand dieser Dunkelheit geführt worden. Und lebendig hinuntergestoßen. Der Abgrund war so dunkel, dass man in den Nachthimmel hätte springen können und dieser freundlicher gewesen wäre. Julian stellte sich einen Moment vor, dass es so war. Fliegen und fallen schienen ihm dasselbe zu sein, nur in einem anderen Kontext. Es half gegen die Angst. Er kämpfte sich zurück auf das Dach des Komplexes, schlug eine Schneise durch die Cyborgs hindurch, um Anlauf nehmen zu können. In jeder Hand einen Bisshaken, wie Nico die die optimierten Sicherungen nannte. Das dunkle Blut der Cyborgs tropfte davon auf den Boden, während er sich einen Orientierungspunkt suchte. Regen, Sturm und Untote um ihn her. Die Stimmen seiner Freunde hatte er zum Verstummen gebracht. Er zweifelte daran, dass er es ansonsten schaffen würde. Er spürte die kalte Luft in seinen Lungen, hörte das Blut in seinen Ohren rauschen, beides scheinbar unaufhaltsam. So unaufhaltsam, wie sich sein gesamter Körper auf den Abgrund zu bewegte. Er rannte. Regen spritzte unter seinen Stiefeln, Monster kreischten. Dann, als sein eigenes Gewicht an ihm zu ziehen begann, als er verschlungen wurde von der Schlucht, war er halb ohnmächtig vor Angst. Tiefer, immer schneller, ein winziges Projektil in der Schwärze.
Julians Fall war lang genug, dass er dachte, es würde niemals aufhören. Er hatte die Geistesgegenwart das globale Licht an seinem Anzug zu aktivieren, damit er etwas sah. Eigentlich war es gedacht, um auf sich aufmerksam zu machen in einer Notlage. Ein lebendiges Leuchtgeschoss. Nun sah er in dem gleißend weißen Schein, wie die Wände auf ihn zu kamen, weil die Schlucht schmaler wurde. In diesem Quadranten lief sie auf eine Engstelle zu. Sein Magen schien auf Höhe seiner Ohren zu hängen und er wurde nach wie vor schneller. Gefangen in einem seltsamen Zwischenzustand, in der Leere, irgendwo zwischen Leben und Tod. Gleichzeitig lebendig und tot. Die Wände kamen nah und näher, bis sie kaum noch einen Meter auseinander waren. Er machte sich auf den Schmerz gefasst. Und begann, seinen Fall zu brechen. Die Haken in die Wand zu rammen funktionierte nicht halb so gut, wie gehofft. So schnell, wie er war, dauerte es. Jede Unebenheit in der Wand jagte schmerzhafte Rucks durch seine Arme und Beine. Jedes bisschen Schutz, das er trug landete an der Wand, bis seine Handschuhe, Stiefel, sein Knieschutz und seine Ellenbogen abgestoßen waren und der feuchte Fels anfing, seine Haut aufzuschürfen.
Doch er war langsam genug geworden und dann hielt er an, eingespreizt zwischen im Stein. Über ihm und unter ihm verloren sich die Wände in Dunkelheit. Er lehnte den Kopf gegen den Fels, wandte eine der Techniken an, die man ihm im Atheneum beigebracht hatte. Es gab keinen Unterschied zwischen verschiedenen Adrenalin Highs. Ob er im Getümmel eines Kampfes stand oder in die Narben sprang, die Chemie in seinem Kopf war die gleiche. Er wusste, wie er sie unter Kontrolle bekam und seinen Fokus zurückforderte, aber es dauerte einige Momente. Momente, die er vielleicht nicht hatte.Der Tracker lotste ihn nach Westen durch die Dunkelheit. Er bildete sich ein, Wasser in der Ferne zu hören, aber wahrscheinlich war es nur seine Fantasie. Die Erinnerung daran, dass sie ihn gefragt hatte, was sich am Boden der Schluchten befand. Sie waren wahrscheinlich näher an der Antwort, als Menschen es seit Jahrhunderten gewesen waren. Julian bemühte sich, leise zu sein. Er vertraute der Stille nicht und jetzt hatte er nicht einmal mehr die Möglichkeit, sich per Harpune aus der Affäre zu ziehen, wie zuvor mit den Cyborgs, während Cress im Komplex gewesen war. Dafür war nicht genug Platz in der klaustrophobischen Enge hier unten.
Es gab wohl kein gewaltigeres Grab auf der Erde. Keines, das sich Könige und Monster teilten.
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Skythief - Gefallene Sterne [2024 Version]
Science FictionIn den Narben, tiefen Schluchten am Rande der Hauptstadt eines Imperiums in der Zukunft, ist Cress Cye als rechte Hand eines Verbrecherfürsten gefürchtet. Die alten Monster, die dort in den Tiefen leben, kennt sie gut. Doch als eines davon so viel S...