Maya war rastlos seit van Gardes süße Stimme mitten in der Nacht gefährliche Fragen an sie gestellt hatte. Die größte Frechheit war, dass er aufgelegt hatte, ohne ihr irgendeine weitere Erklärung zu liefern. Sie konnte sich zusammenreimen, was passiert war. Genug, um nicht mehr schlafen zu können und die Flamme nicht aus den Augen zu lassen. Der Widerschein des übernatürlichen Feuers, das Caz Kristall herstellen konnte, brannte sich in ihre Netzhaut ein. Das Becken aus geweihtem Kristall in der Kuppel strahlte eine solche Hitze ab, das Maya jedes Mal durchgeschwitzt war, wenn sie wieder herunterkam. Es fühlte sich an wie Läuterung. Wenn van Garde einen Ableger der Flamme außerhalb der Türme gefunden hatte, war sie dran. Die Hinrichtung war eine Sache, die Flamme eine ganz andere. Es war noch nie geschehen, dass das Feuer außerhalb der Palastmauern gebrannt hatte. Vor allem nicht in den Narben. Maya versuchte nicht einmal, sich zu beruhigen. Was auch immer geschehen war, der Kronprinz war involviert, die Flamme war involviert und sie würde das hier nicht überstehen. Nicht in diesem Amt, nicht ohne Prozess. Sie wusste zu wenig, um zur Hohen zu gehen, zu viel, um nichts zu tun. Maya schrieb mit zitternden Händen einen Brief an eines der Mitglieder aus Julian Alessandrinis innerem Zirkel. Nichts geschah, bis sich Oliver Bernadotte, der Exiladlige, der Maya bei ihrem IQ-Test in der Atheneumsvorauswahl geschlagen hatte, sich beiläufig neben ihr an die Wand lehnte. Sie standen am Nordtor des Parks. Maya hatte ihren täglichen einen Spaziergang gemacht, van Garde sah aus, als käme er von einem Brunch, oder zumindest hatte er einen Weinkelch in der Hand. Er trug keine Uniform und war kleiner als sie, aber das waren die meisten Männer bei Hofe. Drei feine Goldketten um den Hals und die Nase hoch erhoben. Es war ein offenes Geheimnis, dass viel Geld aus den Truhen der Bernadottes an die Krone floss. Spezifischer, an den Alessandrini Erben. Maya glaubte nicht für eine Sekunde, dass es Zufall war, dass sich der brünette Akademiker zu ihr verirrt hatte, weil sie beide die Sonne genießen wollten.
„Schickt Euch van Garde?"
„Spielt es eine Rolle?"
Maya war genervt von den Gegenfragen, die sich wohl alle im Kreis des Prinzen als favorisierte Kommunikationsstratgie angeeignet hatten.
„Die Flamme wurde gestohlen", sagte er leise. „Oder zumindest ein Teil von ihr. Darum ging es gestern Nacht, falls das nicht offensichtlich war."
Sie wandte langsam den Kopf und sah Berandotte an, der gerade einen Schluck aus einem Weinkelch trank als wäre die Welt vollkommen in Ordnung.
„Ist das ein Scherz?"
„Nein."
„Das ist unmöglich, ich hatte sie die ganze Zeit unter meiner Aufsicht. Sie brennt in diesem Moment in meinem Zimmer."
„Nun, es muss trotzdem jemand geschafft haben, einen Ableger zu stehlen. Oder eine neue zu entzünden."
Er schnaubte. Die Flamme war älter als die Stadt und der Krieg. Laut Ordenslehre auch älter als alle anderen Elemente. Maya holte zitternd Luft. Wenn es stimmte, was der reiche Idiot sagte, dann ... dann war sie in noch größeren Schwierigkeiten, als ohnehin schon. Und wieso sollte er lügen? Van Garde hatte sie in der Nacht angerufen und war für seine Verhältnisse aufgewühlt gewesen. Nicht, dass sie ihm zugestand, besonders viel emotionale Bandbreite zu haben. Das alleine hatte Maya den Rest der Nacht wachgehalten. Wenn van Garde beunruhigt war, dann war das ein Anzeichen dafür, dass hinter geschlossenen Türen Dinge in Bewegung waren. Dinge, die auch den Orden betrafen. Und noch unmittelbarer: Maya.
„Was soll das heißen?", fragte sie Bernadotte.
„Die Flamme hat einen alten Bunker in den Narben ausgebrannt, wo mit ihr experimentiert wurde. Details sind unwichtig. Der Orden hat denke ich ein besonders Interesse an ..."
„Das müsst Ihr mir nicht sagen. Wer weiß davon?"
„Im Orden? Ihr. Und der Dieb."
„Natürlich geht ihr davon aus, dass es ein Ordensmitglied war."
Bernadotte zog die Augenbrauen nach oben. Seine Attraktivität machte Maya noch wütender.
„Aber Protektorin ... hätte denn sonst jemand eine Chance, in den Türmen unbeobachtet genug zu sein, um sich an die Flamme heranzuwagen?"
Maya knurrte etwas unverständliches. Der junge Adel hatte die Finger im Spiel in Dingen, die sie nichts angingen und die Konsequenzen begannen alle auf Maya zurückzufallen. Der Alessandrini Erbe hatte ihr versprochen, ihren Ruf wiederherzustellen, aber es schien mehr, als wolle er sie in eine Gefängniszelle bringen.
„Ich werde herausfinden, wer es war", sagte sie.
„Wenn ihr das schafft, sorgen wir dafür, dass die Person niemandem gefährlich wird. Euch nicht, uns nicht."
Maya trat auf Bernadotte zu und schüttelte langsam den Kopf. Er lächelte sie freundlich an, obwohl seine Worte alles andere als das waren. Es waren keine leeren Drohungen. Hochmütig und blutjung waren sie alle, aber es war nicht unmöglich, dass Menschen auf Wunsch des Prinzen verschwanden. Dass Julian Alessandrini Einfluss auf den Orden ausüben konnte, stand außer Frage. Sie war der lebende Beweis. Ob er kaltblütig genug wäre, jemand gesalbten zu ermorden, um dieses schreckliche Geheimnis zu beschützen ... Maya schauderte.
„Was ihr hier tut, wird in einer Katastrophe enden", sagte sie leise.
„Nun, wir haben die Flamme nicht gestohlen", entgegnete der junge Mann trocken. „Wir sind diejenigen, die sie gefunden haben. Der Orden sollte uns dankbar sein."
„Sprecht leiser", knurrte Maya. Bernadotte sah sich um, doch es war niemand nah genug, um mitzuhören.
„Der Punkt ist, Protektorin: wir müssen zusammenarbeiten. Euer Name steht genauso sehr auf diesem Debakel wie der des Prinzen. Wir müssen wissen, wer die Flamme gestohlen hat. Denn wer auch immer es war, ist zu mehr fähig, als es jeder arme Assassine aus den Narben wäre."
„Ich brauche keine Nachhilfe in Politik, Bernadotte, ich brauche eine Erklärung."
„Nun", sagte er. „Ich fürchte, ich bin auf der Suche nach der exakt gleichen Sache zu Euch gekommen."
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Skythief - Gefallene Sterne [2024 Version]
Ficção CientíficaIn den Narben, tiefen Schluchten am Rande der Hauptstadt eines Imperiums in der Zukunft, ist Cress Cye als rechte Hand eines Verbrecherfürsten gefürchtet. Die alten Monster, die dort in den Tiefen leben, kennt sie gut. Doch als eines davon so viel S...