Kapitel 5: Die Alten Götter und die Neuen

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Lyanna war mittlerweile fast schon den Tränen nah, deshalb nahm sie Catelyn in ihre Arme, um sie zu trösten. Selbst Silber sprang zu den beiden aufs Bett und schmiegte sich an Lyanna. Silber war, wie die anderen Schattenwölfe, gerade erst ein paar Monate alt, aber bereits fast so groß wie ein gewöhnlicher ausgewachsener Hund, was darauf schließen ließ, dass sie und ihre Geschwister in nächster Zeit noch viel größer werden würden. Größer und gefährlicher - einem Wappentier wert.

Einige Momente später, als sich Lyanna bereits wieder ein wenig gesammelt hatte, klopfte es an der schweren Holztür. Bevor sie aufstand und die Tür öffnete, gab Catelyn Lyanna noch einen Kuss auf die Stirn.

Vater stand davor und bat, eintreten zu dürfen. Auch ihn übermannte der Stolz auf seine Tochter und seine Familie, als er Lyanna in ihrem Brautgewand sah. Er konnte sich jedoch nicht helfen, dabei nicht an seine verstorbene Schwester zu denken. Hätte sie damals Robert geheiratet, hätte sie damals vielleicht genauso ausgesehen, aber dazu kam es nie. Nein, stattdessen kam es zu einem Krieg, in dem tausende Soldaten und ebenso viele Unschuldige ihre Leben lassen mussten. Ach, hätte Lyanna damals nur Robert geheiratet, wer weiß, ob Rhaegar sein Handeln nicht überdacht hätte. Doch jetzt war nicht die richtige Zeit, um in Erinnerungen zu schwelgen. Im Götterhain warteten bereits die Leute - Starks, Lannisters und Baratheons.

Deshalb war Ned auch zu Lyanna gekommen, um sie abzuholen, sie unter den Wehrholzbaum zu bringen und sie dort ihrem zukünftigen Ehemann, Jaime Lannister, zu übergeben.

Der Blick, den sie Eddard zuwarf, war flehend und vorwurfsvoll zugleich, als ob sie von Ned verlangen würde, die Geschehnisse der letzten Tage einfach rückgängig zu machen. Ned blickte daraufhin entschuldigend und beschämt auf den Boden. Erst dann trat er ein und Catelyn ging. Ned trat einige Schritte auf Lyanna zu, als Silber anfing, ihn anzuknurren.

„Lyanna, es ist so weit."

Sie wischte sich die letzten Tränen von ihren Wangen und befahl Silber in ihrem Zimmer zu bleiben, während sie den Arm ihres Vaters nahm. Der Götterhain lag nicht weit entfernt von den durch die heißen Quellen geheizten Wohnräumen der Burg. Der Weg dorthin war trotz der Finsternis der Nacht durch die unzähligen Kerzen und Laternen gut beleuchtet. Das Tor, das den Innenhof mit dem Götterhain verband, war mit frischem Grün geschmückt, sogar mit einigen blauen Blumen, die Lyanna so sehr liebte. Vor dem Steinbogen waren bereits die vielen Bewohner der Burg und einige der Bewohner von Winterdorf, der kleinen Stadt vor Winterfell, versammelt. Dahinter standen auf beiden Seiten des Weges die Soldaten. In ihren Waffen und Rüstungen spiegelten sich die kleinen Flammen und halfen dabei, den Pfad noch mehr zu erhellen. Als Lyanna von ihrem Vater an ihnen vorbeigeführt wurde, erkannte sie manch bekannte Gesichter, unter ihnen das von Jon. Als Bastard hatte Catelyn ihm nämlich verboten, weiter vorne zu stehen. Mit traurigen Blicken sahen sich die Geschwister an, bevor sie beide ihre Blicke wieder zu Boden senken ließen.

Als Lyanna ihren Kopf wieder hob, erkannte sie vorne unter dem Wehrholzbaum bereits den Septon stehen. Plötzlich fing sie an zu zittern. Nicht von der Kälte oder der unheimlichen Atmosphäre, die dieser Ort um diese Stunde verströmen konnte, sondern aus Angst. Vater schien dies zu bemerken und flüsterte ihr ermutigend zu.

„Du wirst immer meine Tochter bleiben, Lyanna. Immer eine Stark und Winterfell wird immer dein Zuhause sein."

Lyanna atmete tief durch. Nur ein paar Schritte trennten sie mehr von ihrem Schicksal. Erst nur mehr vier Schritte, dann nur mehr zwei und dann hielt ihr Vater an.

Der Septon trat einen Schritt hervor. Er war derjenige, der die Ehezeremonie leiten würde. Während der Rest von Westeros bereits seit vielen Generationen an die Sieben glaubten, huldigte man nördlich der Eng immer noch den Alten Göttern. Catelyn war es, wegen der Ned zum ersten Mal in Winterfell eine Septe errichten ließ und abgesehen davon, dass überhaupt die Mädchen von Septa Mordane erzogen wurden, lehrte Catelyn sie über die Sieben - Vater, Mutter, Krieger, Jungfrau, Schmied, Altes Weib und Fremder.

„Wer tritt heute hier vor die Götter und was ist euer Begehr?", fragte der Septon.

-"Lyanna aus dem Hause Stark, Tochter von Eddard Stark und Catelyn Tully, eine Jungfrau von 17 Jahren und edlem Geblüt", antwortete Ned, „ist hier, um sich zu vermählen. Wer stellt Anspruch?"

-"Jaime, Sohn des Tywin, aus dem Hause Lannister. Ritter der Sieben Königslande und Ritter der Königsgarde. Mit meinem Segen und meiner ausdrücklichen Erlaubnis.", entgegnete Robert Baratheon selbst während Jaime hervortrat. Jaime trug kein besonderes Hochzeitsgewand wie Lyanna, vielleicht war es einfach nur ein schöneres Wams. Er sah jedenfalls nicht wie ein Bräutigam aus, das wollte er möglicherweise auch gar nicht.

„Nehmt ihr diesen Mann an?", fragte der Septon.

Lyanna zögerte kurz. Sie sah in die Augen ihrer Familie - Mutter, Robb, Sansa, Arya, Bran, Rickon und Theon und Onkel Benjen und atmete tief ein. Sie erinnerte sich an die Worte ihres Vaters, der sagte, dass man allein in dieser Welt nicht überleben könne. Lyannas Herz pochte, als sie ein Einfaches „Ja" hauchte. Daraufhin löste sie ihren zwischendurch immer fester gewordenen Griff um ihres Vaters Arm und trat auf Jaime, der ihr seine Hand entgegenstreckte, zu. Jaimes Hand fühlte sich rau und kalt an, selbst nach der Handfeste war sie noch kalt, ein übles Omen wie Lyanna befürchtete. Danach hätte Jaime Lyanna in einen roten Umhang mit goldenem Löwen hüllen sollen, aber da die Hochzeit so kurzfristig war, befand sich dieser besagte Umhang noch auf Casterlystein und ein gewöhnliches Banner musste stattdessen ausreichen.

Wenig später fanden sich die Hochzeitsgäste und das Brautpaar in der großen Halle von Winterfell wieder, wo bereits mit Musik und Unterhaltung ein Festmahl wartete. Für Lyanna war die Ehe ein bitterer Beigeschmack, eine deutliche Erinnerung an die Opfer, die ihr adeliges Geburtsrecht forderte. Die Ehe zwischen Lyanna Stark und Jaime Lannister, inszeniert von König Robert Baratheon als Versuch, seine eigene Sehnsucht nach der Frau zu besänftigen, die er niemals haben konnte. Doch der für Lyanna schlimmste Teil des heutigen Tages stand ihr noch bevor. Sie hoffte, das Festmahl würde nie vorbeigehen. Zwei Tage sollte es dauern. Einen ganzen Monat, bis zum nächsten Winter. Wunschdenken, denn je mehr sie sich das wünschte, desto schneller leerten sich die Becher, Teller und Fässer und ehe sie sich versah, sprach Robert den letzten Toast.

Als sie Königin Cersei, ihre Mutter und Sansa daraufhin auf ihr Zimmer begleiteten hoffte Lyanna, soviel Wein und Bier getrunken zu haben, dass sie sich an die nächsten Ereignisse nicht mehr erinnern würde können. Sie halfen ihr aus ihrem Kleid und Catelyn sprach ihrer Tochter noch einmal gut zu, bevor sie Lyanna in ihrem Unterhemd auf dem Bett sitzend zurückließen. Auch Silber, die während der Zeremonie im Götterhain hier auf ihre getreue Freundin und Gefährtin wartete, nahmen sie mit. So saß Lyanna also und wartete auf Jaime. Das Herz pochte in ihrer Brust wie verrückt, so stark, dass sie sich sicher war, man hätte es hören können. Sie saß auf den Fellen in ihrem Bett und spielte mit ihren Fingern. Sie zählte die Steine in der Wand gegenüber ihres Bettes und starrte in das Feuer im Kamin. Als es an der Tür klopfte, zuckte sie zusammen.

The Red Wolf of the NorthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt