Kapitel 7: Das Gasthaus am Kreuzweg

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Der Königsweg von Norden nach Süden, die Östliche Straße ins Tal von Arryn und die Flussstraße in die Westlande - sie alle treffen sich an einem Punkt, dem sogenannten Kreuzweg. Der Ort ist damit also ideal für ein Gasthaus, ein Gasthaus, das bereits vor dem Tanz der Drachen an diesem Ort stand und über die Jahre aufgrund seiner Beliebtheit immer weiter ausgebaut und vergrößert wurde. Könige und Königinnen, Prinzen und Prinzessinnen, Lords und Ladys, Ritter und Edeldamen, sie alle kehrten in diesem Gebäude genauso ein, wie das gemeine Volk, Gesetzeslose und Banditen. Kein Wunder, dass weder König Roberts Anwesenheit noch die Menge der Menschen, die mit ihm aus dem Norden kamen, überraschten.

Dort angekommen ging es Lyanna immer noch nicht wirklich besser, vor allem im schlecht belichteten Wirtshaus hielt sie es kaum aus. Es stank dort nach allem Möglichen, von Bier und gutem Essen bis zu Erbrochenem. Dafür faszinierten Lyanna die verschiedensten Menschen, die an diesem Ort, in diesem Raum zusammenkamen. Manchmal konnte sie sogar hören, was geredet wurde. Diese Lebhaftigkeit, die unter den harten und grimmigen Nordmännern selten anzufinden war, gefiel Lyanna. Deshalb dachte sie auch, die Hauptstadt könnte ihr gefallen. Königsmund mit seinen kleinen Gassen und belebten Marktplätzen auf denen Menschen aus allen Ecken Westeros und Essos zusammenlebten - mehr oder weniger in Harmonie.

Gerne hätte sich Lyanna noch länger die Geschichten der vielen fremden Reisenden angehört aber ihr Magen schien ihr Vorhaben vereiteln zu wollen. Gerade rechtzeitig schaffte sie es ins Freie, um dort tief durchzuatmen. Sie beschloss, entlang des kleinen Baches - einem Ausläufer des großen Tridents selbst - Luft zu holen und sich die Beine zu vertreten. Immerhin waren sie schon seit ungefähr einem Monat unterwegs und hätten noch etwa genauso viele Meilen und Tage vor sich, bis sie den Roten Bergfried erreicht hätten. Mit dem Schiff wäre es um einiges schneller gegangen - etwas mehr als eine Woche von Winterfell nach Weißwasserhafen und dann etwas mehr als zwei Wochen mit dem Schiff direkt nach Königsmund. Für die Masse an Menschen und Gepäck war die Straße aber sicherer und auch logistisch einfacher und in Anbetracht von Lyannas Gesundheitszustand, war sie ebenfalls froh, auf dem Landweg unterwegs gewesen zu sein.

Die Vögel zwitscherten und das Wasser plätscherte im Fluss und der Wind rauschte in den Blättern der Bäume und Sträucher. Die Sonne schien mit ihren wärmenden Strahlen auf das saftig grüne Gras herab. Beim Ufer wuchs ein großer alter Baum, der mit seinen Wurzeln vermutlich das Wasser direkt aus dem Strom zog und deshalb so gut gedeihen konnte. Lyanna setzte sich auf die Wiese und lehnte sich an den Stamm der Esche und Silber kuschelte sich zu ihr. Die Käfer krabbelten auf ihren Fingern, als sie durch die Grashalme strich.

„Im gesamten Norden gibt es keinen so friedlichen, schönen Ort wie diesen hier", dachte sich Lyanna, während sie ihre Augen schloss und sich im Schatten des Baumes entspannte.

Plötzlich wurde ihre Ruhe gestört. Aufgrund ihres außerordentlichen Gehörs bemerkte Silber zuerst, das etwas im Gange war, Lyanna bemerkte es erst, als sie Sansa schreien hörte. Blitzschnell sprang sie auf und rannte Silber in die Richtung, aus der die Schreie kamen, nach. Als die beiden ankamen, sahen sie Schreckliches. Nymeria, Aryas Schattenwölfin, hatte eine Schnauze voller Blut und Joffrey, König Roberts ältester Sohn und Erbe, hielt sich seine blutige Hand. Es sah alles so aus, als hätte Nymeria Joffrey angefallen. Als Arya ihre älteste Schwester sah, holte sie weit aus und warf das Schwert, das sie in der Hand hielt, in den Strom und rannte weg. Sansa rannte zurück zur Herberge, um Hilfe zu holen und Lyanna verfolgte Arya mit Silber, konnte sie aber nicht finden.

Wenig später, als Joffrey bereits versorgt und Lord Stark gemeinsam mit seinen Männern aufbrach, um Arya zu suchen, fasste Lyanna Jory zur Seite. Jory Cassel war der Neffe von Ser Rodrik, dem Waffenmeister auf Winterfell. Ihm gehörte das Kommando über Eddard Starks Leibgarde, was ihn zu einem von Neds vertrauenswürdigsten und treuesten Rittern machte.

„Ich brauche dringend Eure Hilfe. Gibt es jemanden unter unseren Männern, denen Ihr einen Geheimauftrag von höchster Wichtigkeit anvertrauen würdet, Jory?"

-"Da gäbe es den einen oder anderen, weshalb fragt Ihr, Mylady?"

„Nymeria, Aryas Schattenwölfin, hat Joffrey verletzt. Arya ist zwar mit ihr weggelaufen aber ich fürchte, Silber oder Lady werden dafür bezahlen müssen - oder beide. Ich brauche also jemanden, der die beiden zurück bringt nach Winterfell, zu meinen Brüdern."

Jory schien zu verstehen und während die Soldaten - Lannisters und Starks - nach Arya suchten, nutzte einer der Nordmänner das dadurch entstandene Chaos und verschwand mit den beiden Tieren nach Norden. Es musste schnell und unauffällig geschehen, weshalb Lyanna weder Zeit hatte, sich selbst von Silber zu verabschieden, noch Sansa in ihren Plan einzuweihen. Lyanna konnte nur hoffen, dass die Männer ihres Vaters Arya vor den anderen finden würden und dass niemand die Abwesenheit der anderen beiden Schattenwölfe bemerken würde. Mit mulmigem Bauchgefühl legte sie sich in das Bett, das sie mit ihren Schwestern teilte und wollte eigentlich schlafen, immerhin war es bereits spät und draußen erhellte lediglich der Mond mit seinem milden Schein den Weg.

Die Nachtruhe sollte nicht lange dauern, denn kurz Sonnenaufgang stürmte ein Mann durch die Tür, der den Mädchen befahl, unverzüglich vor dem König zu erscheinen. Während der Nacht fanden die Rotröcke Arya und schliffen sie, ohne ihren Vater zu informieren vor Robert. Als die Schwestern nur in Nachthemden und Morgenmänteln vor Robert, Cersei und Joffrey traten, war Ned bereits da. Arya schrie herum und fuchtelte wild mit den Armen, als König Robert zuerst Sansa befragte, die angab, Nymeria hätte den armen, tapferen Prinz Joffrey ohne Grund angefallen. Natürlich musste sie so etwas sagen, Joffrey war immerhin ihr Verlobter und deshalb musste sie zu ihm stehen. Lyanna hingegen musste trotz ihrer Verbindung zu Joffrey - sie war zwar nur ein Jahr älter als er, aber immerhin seine angeheiratete Tante - nicht lügen, denn sie konnte nur von den Folgen und nicht vom Hergang berichten.

Selbst wenn sie etwas gesehen hätte, hätte es nichts daran geändert. Ein Schattenwolf hat den zukünftigen König der Sieben Königslande angegriffen und verletzt und das musste vergolten werden. Und König Robert beschloss daraufhin, dass die Schattenwölfe der Starks zu gefährlich sein und sie deshalb zu töten wären, womit sich Lyannas Bauchgefühl vom Vorabend bestätigte. Mit ihren Blicken suchte sie unter den Menschenmengen im Raum Jory, der ihr zunickte - Silber und Lady waren bereits wieder auf dem Weg nach Winterfell, wo sie vor Robert sicher sein würden.

Als der König erfuhr, dass die Bannertiere von Haus Stark nicht aufzufinden waren, wurde er so wütend, dass er mit seinem Gefolge sofort abreiste. Hätte er Ned nicht zu seiner Hand ernannt und wären sie nicht wie Brüder gemeinsam aufgewachsen, hätte er ihn wahrscheinlich töten lassen, so wütend war er. Ned wusste aber, dass er sich nach einiger Zeit wieder beruhigen würde und entschied deshalb, erst am nächsten Tag aufzubrechen, was Robert einen Vorsprung von einem guten Tag verschaffen würde, einer Dauer, die den Sturm in ihm wieder beruhigen würde.

Im Endeffekt wurden aus diesem einen Tag aufgrund eines gebrochenen Wagenrades und auch zumindest teilweise durch Lyannas Gesundheitszustand ganze zwei Tage, die zwischen Roberts Ankunft in Königsmund und der der Starks liegen würden. In Anbetracht dessen, dass die gesamte Reise zwei Monate dauerte und bisher ohne jegliche Zwischenfälle verlief, waren diese zwei Tage jedoch nicht weiter schlimm. Einzig die Stimmungen der Stark-Schwestern waren getrübt. Arya hasste Sansa, weil sie für Joffrey log und weil Arya Sansa hasste, hasste Sansa auch Arya. Sansa war auch auf Lyanna nicht gut zu sprechen, weil sie sich weder von Lady verabschieden konnte noch davor gefragt wurde. Lyanna hingegen hatte andere Probleme. Am Pferderücken war es zwar nicht so schlimm wie auf dem Wagen bei Septa Mordane und ihren Schwestern, ihre Übelkeit wollte aber trotzdem nicht weggehen. Lyanna vermutete, es könnte etwas mit dem Klima zu tun haben, mit der Luft und dem Wetter oder mit schlechtem Essen. Weil sie sich aber nicht sicher war, und es zwar zu manchen Stunden besser war, beschloss sie, in Königsmund Großmaester Pycelle aufzusuchen. Er könnte ihr sicher ein Mittelchen geben, mit dem es ihr besser gehen würde, so wie Maester Luwin es immer tat.

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