Kapitel 10: Von Wolf und Löwe

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Die nächsten Tage verbrachte Lyanna Großteils in ihrem Bett, nur zu Mahlzeiten wagte sie sich hinaus an den runden Tisch, wo sie mit ihren Schwestern, ihrem Vater und der Septa gemeinsam speisten. Viel aß Lyanna jedoch nicht, nur Haferbrei, denn alles andere konnte sie nicht lange bei sich behalten, was im Umkehrschluss wieder dazu führte, dass sie noch schwächer wurde. Erst durch ein Elixier von Großmaester Pycelle kam Lyanna langsam wieder auf den Weg der Besserung, wenn auch noch nicht genug, um bei dem großen Turnier zu Ehren der Ernennung ihres Vaters zur Hand des Königs zusehen zu können. Im Nachhinein war das sicherlich eine gute Entscheidung, denn nachdem was mit Ser Hugh passiert war und dem Zwischenfall zwischen Ser Loras Tyrell und Ser Gregor Clegane, war es besser, dass sie im Roten Bergfried blieb.

In Anbetracht von Lyannas Umstand war auch Robert Baratheon gezwungen, seine damals im Affekt getroffene Entscheidung, Ser Jaime und Lyanna miteinander zu vermählen, anzupassen. Besser gesagt, setzte er eine königliche Order auf.

„Folgende königliche Order gilt einzig und allein für diesen Fall:

Sämtliche Kinder aus der von König Robert Baratheon befohlenen Ehe zwischen Ser Jaime aus dem Hause Lannister und Lyanna aus dem Hause Stark sind trotz dem Ehe- und Zeugungsverbot der Königsgarde in sämtlichen rechtlichen, sozialen und politischen Belangen einem legitimen Kind gleichgestellt.

Solange Ser Jaime Lannister dem König der Sieben Königslande als Ritter seiner Königsgarde dient, ist es ihm verboten, Ländereien, Titel oder Reichtümer jeglicher Art zu erben oder zu vererben. Sollte sich jedoch ein Erbfall ergeben, ist er selbst nicht berechtigt, Ländereien, Titel oder Reichtümer jeglicher Art zu erben, solange er in der Königsgarde dient. Das Erbe kann stattdessen direkt an die Kinder der von König Robert Baratheon befohlenen Ehe mit Lyanna aus dem Hause Stark weitergegeben werden. Erst nach dem Ausscheiden aus der Königsgarde darf der Ritter selbst Ländereien, Titel und Reichtümer erben und im vollen Umfang seine Rechte als Erbe wahrnehmen.

Die Kinder dieser Ehe haben alle Rechte und Pflichten, die mit ihrem Status als legitime Nachkommen verbunden sind, einschließlich des Rechts auf Erbschaft und der Pflicht zur Loyalität gegenüber ihrem Haus und dem Königreich."

Eigentlich war dieses Schriftstück nur Roberts Versuch, sein Handeln und seinen Befehl zu rechtfertigen und dabei sowohl Tywin Lannister als auch Eddard Stark zu befriedigen. Doch ein solcher Schriftsatz garantiert nicht immer dessen Umsetzung und Anerkennung. Wie oft kämpften Familien allein seit Aegons Eroberung untereinander wegen solchen Dokumenten oder Schwüren?

Einige Zeit nach dem Turnier der Hand ging es Lyanna wieder so gut, dass sie Robert tagtäglich zu sich holen ließ. Meistens lag sie entweder auf einem Tagesbett oder sie saß auf einem Stuhl und las. Sie studierte Bücher aus der großen Bibliothek über die Geschichte von Westeros und Essos, über die Ära der Helden, Geschichten, die von Zeiten vor den Andalen erzählten. Insbesondere befasste sie sich mit den Westlanden und der Geschichte der Lannisters. Die Erzählungen über Lann den Listigen und über den vergleichsweise erst kürzlich geschehenen Regn-Tarbeck-Aufstand faszinierten sie besonders. Während Lyanna in sämtlichen Werken schmökerte, reichte Robert einzig und allein ihre Anwesenheit, die ihn an eine Liebe erinnerte, die in ihm einen Sturm freigesetzt hatte.

Von Frühstück bis Mittag verlangte Robert nach Lyannas Anwesenheit, während der er seinen Regierungsgeschäften nachging. Einzig wenn er sich mit anderen Frauen vergnügte, schickte er Lyanna vor die Tür, wo sie auf einer extra dafür aufgestellten Holzbank wartete, bis Robert mit seinen Huren fertig war. Immerhin hatte er dieses Maß an Anstand, Lyanna nicht zum Stillen seiner Lust zu missbrauchen, mit ihr versuchte er, sein durch Rhaegar Targaryen gebrochenes Herz zu heilen. Während also durch die Tür allerlei Gestöhne und Gelächter drang, herrschte zwischen Jaime, der die Tür bewachen musste, und Lyanna peinliche Stille. Als er sie einmal fragte, wie es ihr ginge, antwortete Lyanna nur mit „den Umständen entsprechend".

Die restliche Zeit verbrachte Lyanna bei ihrer Familie, wobei Vater meist sehr beschäftigt war und Arya ungewöhnlicherweise am liebsten Tanzunterreicht nahm. Eine recht außerordentliche Art des Unterrichts, wie man meinen konnte, denn anstatt bestimmte Schrittfolgen oder Drehungen zu üben, wurde Arya aufgetragen, Katzen im Verließ des Bergfrieds zu fangen, was dazu führte, dass sie einen Geheimausgang fand und zwei mysteriöse Gestalten im Dunkeln belauschen konnte. Einzig ihre Rückkehr in den Turm der Hand stellte sich als Herausforderung heraus, denn niemand glaubte ihr, die Tochter der Hand zu sein. Einerseits sah sie mit ihrem schmutzigen Gewand nicht wie das Kind eines Lords, sondern eher wie das eines Bettlers aus und andererseits konnte man sie leicht mit einem Jungen verwechseln, weshalb die Hausgarde der Starks auch einen ganzen Tag nach Arya suchen musste.

Auch Vater benahm sich nach einem Besuch in der Stadt seltsam, als hätte er einen Geist gesehen. Er war angespannt und fast schon paranoid, als würde er wie der Irre König selbst hinter jeder Ecke einen Verräter wittern. Seinen Höhepunkt erreichte dieses Verhalten, als er eines Tages erneut den Roten Bergfried verließ, um in die Stadt zu gehen und daraufhin von der Stadtwache und Lord Petyr Baelish, dem Meister der Münze, mit einer schweren Verletzung im Bein bewusstlos zurückgebracht wurde.

Königin Cersei stürmte gerade aus der Kammer, als Lyanna aus Sorge um ihren Vater zu ihm gehen wollte. Cerseis Augen waren wie Messer, die Lyanna durchbohrten und in dem kurzen Moment, als sie sich begegneten, bemerkte Lyanna die gerötete Wange der Königin. Dann war sie auch mit schnellen Schritten wieder verschwunden, einzig das Geklapper der Rüstungen ihrer Leibgarde war in den Steinkorridoren noch zu hören. Lyanna fürchtete sich vor dem, was sie erwarten würde, sie wusste nicht genau wie es um Ned stand und diese Ungewissheit machte sie beinahe wahnsinnig. Mit ihrem ganzen Mut zusammengefasst öffnete sie die Tür, wo sie zu ihrer Erleichterung Lord Stark und König Robert antraf.

„Es geht mir gut, Lyanna. Es ist nur eine Fleischwunde, halb so schlimm wie es aussieht", beruhigte er seine Tochter.

Sein rechtes Bein war um das Knie herum in Verbände eingewickelt und auf ein Kissen gebettet und in seiner Hand hielt er die Anstecknadel mit dem Siegel der Hand. Lyanna begriff nicht, was geschehen war, denn sie hätte nicht mitbekommen, dass sich Vater seit ihrem Eintreffen in Königsmund oder bereits davor irgendwelche Feinde gemacht hätte - im Gegenteil. Lord Eddard Stark galt in ganz Westeros und vielleicht auch über die Meerenge hinaus als der ehrenwerteste Mann, der jemals gelebt hatte. Auch für Lyanna und ihre Geschwister war er in dieser Hinsicht immer ein Vorbild gewesen, weshalb sie sich wunderte, wer ihrem Vater so etwas hätte antun können, zumal er immer ein guter Schwertkämpfer war und selten ohne eine scharfe Klinge unterwegs war. Außerdem hätte der Angreifer möglicherweise zuvor einen Teil der Hausgarde der Starks überwinden müssen, oder waren es gar mehrere Täter?

Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss, als Robert das Zimmer verließ, so laut, das Lyanna zusammenzuckte und fürchtete, der Raum würde gleich einstürzen. Sie nahm sich einen Stuhl und setzte sich an ihres Vaters Seite, auf seinem Gesicht waren tausende Schweißtropfen und seine Hand war glühend heiß. Als sie nach Pycelle schicken wollte, hielt sie ihr Vater zurück und sah sie mit besorgtem Blick an. Ned erzählte Lyanna von dem Brief, den Catelyn in Winterfell von ihrer Schwester Lysa Arryn erhielt, in dem diese die Lannisters für den Tod ihres Mannes Jon Arryn verantwortlich machte. Er berichtete von dem Haar, das ihre Mutter im Zerstörten Turm fand und von dem Attentäter, der versucht hatte, Bran zu ermorden. Er informierte sie außerdem darüber, dass ihre Mutter deshalb kurz in Königsmund war und auf dem Rückweg Tyrion Lannister in der Herberge am Kreuzweg gefangen genommen und nach Hohenehr gebracht hatte. als wäre das alles nicht schon genug zu verarbeiten gewesen, musste Ned ihr von dem Kampf zwischen ihm und Jaime Lannister erzählen, bei dem einige der Stark-Männern, unter ihnen auch Jory, im Kampf gegen Lannister-Soldaten starben.

„Befinden wir uns jetzt im Krieg mit den Lannisters?", fragte Lyanna entsetzt, denn sie konnte nicht fassen, was ihr Vater ihr mitgeteilt hatte.

-"Solange Robert König ist, wird er den Frieden in Westeros wahren, aber du musst besonders auf dich und dein Kind Acht geben, denn sollte es Krieg zwischen unseren Familien geben, werdet ihr beide - und vielleicht auch Sansa - zwischen den Fronten stehen und möglicherweise einer Seite zum Sieg verhelfen", mahnte Eddard.

The Red Wolf of the NorthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt