Kapitel 11: Der ehrenwerteste Verräter

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Während Neds Wunde verheilte und die Stimmung im Roten Bergfried fast das Fass zum Überlaufen brachte, setzte sich Robert zur Jagd in den nahegelegenen Königswald ab. Mit den Worten ihres Vaters in ihrem Kopf und der reduzierten Anzahl an Nordmännern in der Stadt verbrachte Lyanna viel Zeit mit ihren Schwestern und Septa Mordane. Außerdem genoss sie es, nicht ständig unter Roberts Augen zu sein. Zudem musste draußen auf den Fluren nicht immer damit rechnen, jederzeit Jaime begegnen zu können, obwohl es ihr in Anbetracht der angespannten Lage wohl lieber gewesen wäre, ihm ab und an über den Weg zu laufen.

Wie so oft in letzter Zeit dachte sie an ihr unbeschwertes Leben in Winterfell zurück. Sie vermisste Robb und Silber, die hoffentlich in der Zwischenzeit gemeinsam mit Lady wieder die Burg erreicht hätten. So schön waren die Tage, bevor Robert Baratheon nach Norden kam. Schön und sicher- Sicher, wie sie sich seit dem Überqueren der Eng nicht mehr gefühlt hatte. Nach den Geschehnissen der letzten Tage fing sie immer mehr an, die Angst der Nordmänner, im Süden würde nichts als Unheil liegen, zu teilen. Während Robert Baratheon Wild und Huren nachjagte, regierte Ned an dessen Stelle als Hand des Königs die Sieben Königslande. Dabei machte er sich Tywin Lannister durch die Geschichte mit Jaime und Tyrion immer mehr zum Feind, vor allem, als er einen Raben nach ihm sandte, damit dieser nach Königsmund kommen und das Fehlverhalten eines seiner Bannermänner - Gregor Clegane - rechtfertigen sollte.

Anstatt dass der Rabe sein Ziel auf Casterlystein in den Westlanden erreichte, traf die Nachricht in den Flusslanden ein, wo Tywin und Jaime Lannister gemeinsam mit einem Großteil des Lannister-Heeres bereit waren, entweder gegen Königsmund oder Hohenehr zu marschieren.

Keine Woche nachdem Robert zur Jagd aufbrach, kam ein Diener in das große Vorzimmer im Turm der Hand gestürmt, das dort als Art Wohnraum diente. Der Mann nahm Lyanna mit zu den Gemächern des Königs, was eigentlich nicht ungewöhnlich war, wäre Robert im Roten Bergfried und nicht im Königswald. Als Lyanna dort eintraf, erwartete sie Erschütterndes.

König Robert war verfrüht von der Jagd zurückgekehrt, nicht aber aus eigenem Willen, denn ein Eber hatte den König schwer verletzt. Tödlich verwundet, weshalb er nach Lyanna schicken ließ. Er wollte sie ein letztes Mal vor seinem Tod sehen.

„Lyanna, sieh mich an. Ich bin nicht mehr der stattliche Ritter, der ich einst war. Ich bin alt und fett geworden, aber du hast dich nicht verändert. Du siehst noch so aus wie an dem Tag als er dich von mir geraubt hat. Eine Rebellion hat er ausgelöst und mit einem Hieb meines Hammers habe ich ihn dafür bestraft, was er dir angetan hat. Jede Nacht in meinen Träumen habe ich ihn für dich getötet, dort am Trident. Tausende Male schon und ich würde es noch mindestens genauso oft noch einmal tun, damit du und unsere Kinder sicher sind. Steffard, Cassanda, Bryndon und Rickon und dieses hier werden wir nach deiner Mutter Lyarra nennen", redete Robert in seinem Delirium von Schmerzen geplagt und durch Mohnblumenmilch vernebelt, während er auf Lyannas Bauch zeigte und die Hand nach ihr ausstreckte.

Mit diesen Worten war Lyanna komplett überfordert. Sie wusste ja, dass Robert sie wegen ihrer Tante und ihrer Ähnlichkeit zu ihrer Tante täglich zu sich holen ließ, aber das, was er gesagt hatte, war für den Moment zu viel für sie. Erst als sie den Ernst der Lage begriff, trat sie näher an Robert heran und nahm seine Hand, um ihn in seinen letzten Stunden so Trost zu spenden.

Robert hustete einige Male schwer, dann warf er einen letzten Blick auf Lyanna, die ihm zulächelte. Danach schloss er die Augen. Seine Brust bewegte sich immer weniger und weniger, bis sich das Blut bereits durch die Verbände zog und König Robert an den Folgen eines Jagdunfalls in Anwesenheit seines langjährigen Freundes Eddard Stark, der mit ihm wie ein Bruder aufwuchs, und dessen Tochter Lyanna, die für Robert eine Liebe, die ihm geraubt wurde, verkörperte, starb.

„Lyanna, geh zu deinen Schwestern und zu Septa Mordane und sag ihr, dass es nicht länger sicher ist. Packt was nötig ist und wir treffen uns am Drachentor, außerhalb der Stadtmauern. Aber seid vorsichtig. Nehmt unbewachte Gänge, wo euch niemand sieht, lasst euch nichts anmerken, niemand darf etwas davon wissen. Und jetzt geh!", befahl Ned mit Angst in seiner Stimme.

Lyanna befreite ihre Hand aus dem festen Griff des toten Königs und verschwand mit schnellen Schritten aus den Gemächern in Richtung Turm der Hand. Dabei wählte sie mehrere Umwege durch verschiedene Stockwerke und Komplexe, um jeder Wache, jedem Soldaten und jedem sonstigen Paar Augen zu entgehen, weshalb es auch eine Weile dauerte. Als Lyanna Septa Mordane endlich erreichte, verkündeten die Glocken bereits der ganzen Stadt von dem tragischen Ereignis, weshalb es schnell gehen musste. Während Sansa sich bereits im Turm befand, war Arya bei ihrem Tanzunterricht in einem anderen Teil des Bergfrieds, weshalb Lyanna und Sansa zurückbleiben und das Nötigste zusammenpacken sollten. Septa Mordane wollte in der Zwischenzeit Arya holen.

Nicht lange nachdem die Septa gegangen war, stürmten Rotröcke mit Schwertern, von denen das Blut tropfte, den Turm der Hand und schliffen die Mädchen regelrecht in den Thronsaal wo Joffrey auf dem Eisernen Thron sitzend, auf sie wartete. Rechts und links vor den Stufen hinauf zu dem Thorn aus den Schwertern der Eroberten waren Blutlachen, Arya war aber nirgends zu sehen. Sansa nahm Lyannas Hand und drückte sie fest, aus Angst vor der Ungewissheit. Joffrey lachte hämisch auf die beiden Schwestern hinab, als er sie damit konfrontierte, ihr Vater solle ein Hochverräter gewesen sein. Ein Verbrechen, das mit dem Tod bestraft wird. Selbstverständlich bedauerten die Schwestern die Unschuld ihres Vaters, aber das war nicht, was Joffrey hören wollte, denn laut Eddard wären er und seine Geschwister aus Inzest zwischen Cersei und Jaime Lannister entstanden und Stannis Baratheon, Roberts älterer Bruder somit der rechtmäßige König.

The Red Wolf of the NorthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt