Während die Soldaten draußen bluteten, färbte Lyanna in ihrem Zimmer das Bettlaken rot. Zwar machte die Geburt Fortschritte, doch es ging nicht schnell genug. Shae fürchtete, bald wäre es für Lyanna und vielleicht auch für das Kind zu spät, weshalb sie überlegte, Sansa auf die Suche nach Pycelle zu schicken. Draußen könnte es aber zu gefährlich sein und der Großmaester war vermutlich mit den vielen Verletzten der Schlacht beschäftigt, weshalb die Zeit ihn zu holen, nicht genug war.
„Wenn Ihr nicht mit dem Kind sterben wollt, dann müsst Ihr es jetzt gebären!"
Lyanna schien den Ernst der Lage zu verstehen. Sie richtete sich auf und nahm all ihre Kraft zusammen. Ihre Schreie waren so laut, dass man sie wohl bis zur Mauer hören würde, doch anscheinend halfen sie ihr. Wie auch schon die ganze Zeit zuvor, hielt Sansa ihrer Schwester die Hand, als würde sie ihre Kraft mit ihr teilen. Mit jeder Wehe drückte Lyanna ihr Kinn auf ihre Brust und presste, so stark sie nur konnte.
„Ich kann den Kopf sehen", vermeldete Shae nach einiger Zeit erfreut, „Ihr dürft nicht aufgeben, Lyanna".
Dann, kurz darauf, war ein Geräusch zu hören. Wie ein Flutschen. Danach ein Schrei. Lyanna hatte es geschafft, sie hatte ein gesundes Kind zur Welt gebracht - einen Sohn. Doch damit war es noch lange nicht vorbei. Shae rieb den Jungen mit einem feuchten Lappen ab und wickelte ihn in eine sauberes Tuch. Geschickt band sie mit einem Faden die Nabelschnur ab und schnitt sie mit einer Schere durch. Den Jungen legte sie in der Zwischenzeit in Sansas Arme, während sie sich weiter um Lyanna kümmerte. Sie drückte auf Lyannas Bauch herum bis sie feststellte, dass dort kein Kind mehr war. Trotzdem ließ auch nach mehreren Minuten die Nachgeburt noch auf sich warten. Stattdessen kam immer mehr Blut. Lyanna begann zu zittern und ihre Haut und Lippen wurden immer blasser. Der Händedruck um Sansas Hand, der zuvor noch so fest war, war locker und kraftlos. Lyanna schien durch den Blutverlust und die Anstrengung im Sterben zu liegen. Shae sah Sansa hilflos an, danach betrachtete sie das Bild, das sich vor ihr bot. Ihre Hände waren voller Blut, das Bett und Lyannas Unterhemd glichen den Flaggen der Lannisters.
„Dong, ding. Dong, ding", hörte man es in der Ferne.
Es konnte nur zwei Gründe geben, weshalb die Glocken läuteten, entweder als Zeichen der Kapitulation oder des Sieges. Auf alles gefasst griff Shae nach dem Dolch, den sie in einem kleinen Halfter an ihrem Oberschenkel trug. Sie war bereit, jeden anzugreifen, der durch die Tür kommen würde. Es war ruhig genug in dem Zimmer, sodass man eine Nadel fallen hören konnte, nur der Junge machte ab und an ein Geräusch. Langsam wurden Lyannas Augenlider schwerer und schwerer. Sie versuchte, sie offen zu halten, doch es gelang ihr nicht. Auf einmal war sie weg.
Erst am nächsten Tag wachte sie wieder auf. Sie fand sich in einem anderen Zimmer wieder, doch es war ein Zimmer und keine Zelle, was sie beruhigte. Lyanna sah sich um. Sie lag zugedeckt in einem Bett. Ihr Bauch sah noch immer aus, als wäre sie schwanger, was sie erschreckte. Draußen zwitscherten Vögel und ein leichter Wind bewegte die Vorhänge. Die Gemächer waren groß, vor allem für eine Person und das Bett hatte sogar einen Baldachin. Überhaupt sah der ganze Raum viel nobler und vornehmer aus, selbst als die Gemächer im Turm der Hand.
Zuerst dachte Lyanna, sie wäre allein in diesem Zimmer, doch dann erkannte sie in Sansa ein bekanntes Gesicht. Als ihre Schwester bemerkte, dass sie wieder wach war, umarmte sie Lyanna erleichtert.
„Sansa, wo ist mein Sohn? Ich will ihn sehen", fragte Lyanna kraftlos.
„Es geht ihm gut. Eine Amme kümmert sich um Julen", antwortete Sansa.
Tausende Fragen schossen Lyanna in den Kopf. Julen? Wer war Julen? Und wer hatte die Schlacht gewonnen? Doch Sansa kam ihr zuvor. Sie erzählte ihr, dass Tywin Lannister mithilfe der Tyrells Stannis bei der Schlacht am Schwarzwasser besiegt hätte und er auch derjenige war, der Lyannas Sohn - seinen Enkel - den Namen Julen gab. Sansa berichtete außerdem erfreut davon, dass Joffrey die Verlobung mit ihr gelöst hatte und stattdessen Margaery Tyrell heiraten sollte. Auch Shae, die nach Lyanna und Sansa sehen wollte, war glücklich, Lyanna vergleichsweise wieder so lebendig zu sehen. Sie sicherte der neuen Mutter dasselbe wie Sansa zu, dass es Julen gut gehe und dass er umsorgt werde, doch Lyanna gab sich damit nicht zufrieden.
Obwohl ihr ganzer Körper von den Strapazen der Geburt schmerzte, zwang sich Lyanna aus dem Bett. Sie musste Julen sehen und niemand würde sie aufhalten können. Dass man mit dieser Sturheit, für die die Nordmänner berüchtigt waren, nicht verhandeln konnte, bemerkte Shae schnell. Sie schaffte es nur, Lyanna davon zu überreden, einen Morgenmantel anzuziehen. Man merkte, dass Lyanna große Anstrengungen hinter sich hatte und noch immer von Schmerzen geplagt war, denn sie schaffte es nicht mehr als zwei Schritte ohne Hilfe zu gehen. Wieder appellierte Shae an ihre Vernunft, musste sich aber geschlagen geben, weshalb ihr nichts anderes übrigblieb, außer Lyanna regelrecht mit Sansas Hilfe aus dem Zimmer zu schleifen. Vor der Tür befahl sie einer der zwei Wachen in Lannisterrüstung, ihr zu helfen. So waren sie einige Minuten unterwegs, bis sie vor einer Tür standen, die ebenfalls von zwei Rotröcken bewacht wurde.
„Aufmachen, die Mutter will ihr Kind sehen", orderte Shae, woraufhin die Wachen die Tür öffneten und wegtraten.
Auch dieser Raum war groß und hell. Als sie eintraten, bemerkte Lyanna zuerst die Ammen, die brav vor ihr einen Hofknicks machten. Shae steuerte derweil einen gepolsterten Sessel an, auf den sie Lyanna setzte. Dann ging sie zur Wiege, nahm Julen heraus und legte ihn in Lyannas Arme. Er war unerwartet schwer, weshalb sich Lyanna anstrengen musste, um ihn zu halten. Doch das schien er nicht mitzubekommen, er schlief ungestört und friedlich, was Lyanna zu Tränen rührte. Der Wachmann, der geholfen hatte, Lyanna hierher zu bringen verließ den Raum, als Tywin Lannister durch die Tür kam. Während Lyanna Julen betrachtete, schickte Tywin Shae und die Ammen aus dem Zimmer, was Lyanna nicht einmal mitbekam, so sehr hatte sie Julens kleines, rundes Gesicht in seinen Bann gezogen.
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The Red Wolf of the North
FanfictionMein Name ist Lyanna, älteste Tochter des Lord Eddard Stark und Lady Catelyn Tully. Das ist meine Geschichte, die Geschichte des Roten Wolfes des Nordens."