In den entlegensten Winkeln des Drachenlandes wurden drei außergewöhnliche Wesen geboren, deren Schicksale sich eines Tages auf unerwartete Weise verflechten sollten.
Zuerst erblickte Rotfeuer das Licht der Welt. An einem heißen Sommertag schlüpfte er aus einem leuchtend roten Ei, das in den Tiefen eines schlummernden Vulkans verborgen lag. Seine Schuppen glänzten wie polierte Rubine, und als er zum ersten Mal die Augen öffnete, loderte in ihnen das unbändige Feuer seiner Heimat. Seine Mutter, eine mächtige Feuerdrachen-Matriarchin, betrachtete ihren Nachwuchs mit Stolz. «Du wirst der Stärkste deines Jahrgangs sein», flüsterte sie, während Rotfeuer seine ersten unsicheren Schritte auf dem warmen Vulkangestein machte.
Einige Monate später, als der Herbst seine goldenen Blätter über das Land streute, schlüpfte Schattenflügel aus seinem Ei. Tief in einer verborgenen Höhle, wo das Mondlicht nur selten eindrang, entfaltete er seine nachtschwarzen Schwingen. Seine Augen schimmerten wie Opale in der Dunkelheit, und sein Körper schien mit den Schatten zu verschmelzen. Sein Vater, ein weiser alter Schattendrache, nickte anerkennend. «Du trägst die Geheimnisse der Nacht in dir, mein Sohn», sagte er leise, während Schattenflügel neugierig die Dunkelheit um sich herum erforschte.
Der Winter hatte das Land fest im Griff, als Seeauge schließlich aus seinem türkisblauen Ei schlüpfte. An den Ufern eines kristallklaren Bergsees brach seine Schale, und zum ersten Mal spiegelte sich der Himmel in seinen großen, runden Augen. Seine Schuppen schimmerten wie Wassertropfen im Sonnenlicht, und seine Bewegungen waren so fließend wie die Wellen des Sees. Doch etwas war anders an diesem kleinen Drachen – seine Sicht war verschwommen, die Welt um ihn herum nur ein Wirrwarr aus Farben und Formen. Seine Eltern tauschten besorgte Blicke aus. «Er wird es nicht leicht haben», murmelte seine Mutter, während sie ihren Sohn sanft mit ihrem Flügel umschloss.
Die drei Drachenkinder wuchsen in ihren unterschiedlichen Welten auf, jedes mit seinen eigenen Stärken und Herausforderungen. Sie ahnten noch nicht, dass ihre Wege sich eines Tages kreuzen würden, und dass sie gemeinsam vor der Aufgabe stehen würden, nicht nur ihre eigenen Vorurteile zu überwinden, sondern auch die einer Welt voller Konflikte und Missverständnisse.
Rotfeuer wuchs in den feurigen Tiefen des Vulkanlands auf, umgeben von Hitze und brodelnder Lava. Schon früh zeigte sich seine impulsive und dominante Natur. Er liebte es, mit anderen jungen Drachen zu wetteifern, sei es beim Fliegen durch enge Lavatunnel oder beim Feuerspeien auf weit entfernte Ziele. Sein Ehrgeiz und seine natürliche Begabung machten ihn bald zum Anführer unter den Gleichaltrigen.
«Rotfeuer, mein Sohn», ermahnte ihn seine Mutter eines Tages, als er prahlend von einem gewonnenen Wettstreit zurückkehrte, «Stärke allein macht keinen großen Drachen aus. Wahre Größe zeigt sich im Umgang mit anderen.»
Doch Rotfeuer, berauscht von seinen Erfolgen, überhörte die weisen Worte. Er genoss es, im Mittelpunkt zu stehen und bewundert zu werden. Die Idee, dass es Wesen geben könnte, die anders waren als er, die vielleicht andere Stärken hatten, kam ihm nicht in den Sinn.
Währenddessen erforschte Schattenflügel die dunklen, verschlungenen Höhlen seiner Heimat. Anders als Rotfeuer war er ein stiller, nachdenklicher Drache. Er verbrachte Stunden damit, den Geschichten der alten Schattendrachen zu lauschen, Legenden von längst vergangenen Zeiten und fernen Ländern. Seine Fantasie blühte in der Dunkelheit, und er begann, die Schatten als Freunde zu sehen, nicht als etwas Furchterregendes.
«Du hast eine besondere Gabe, Schattenflügel», sagte sein Vater oft zu ihm. «Du siehst Dinge, die anderen verborgen bleiben. Nutze diese Gabe weise.»
Schattenflügel nahm diese Worte zu Herzen. Er übte sich darin, unbemerkt zu bleiben, zu beobachten und zu lernen. Doch je mehr er über die Welt außerhalb seiner Höhlen erfuhr, desto mehr wuchs in ihm der Wunsch, sie eines Tages mit eigenen Augen zu sehen.
Seeauge hatte indes mit ganz anderen Herausforderungen zu kämpfen. Seine Sehschwäche machte es ihm schwer, mit den anderen jungen Wasserdrachen Schritt zu halten. Beim Jagen von Fischen oder beim Navigieren durch die Unterwasserhöhlen des Sees war er oft der Langsamste und Ungeschickteste.
«Konzentriere dich, Seeauge», sagte seine Mutter geduldig. «Deine Augen mögen schwach sein, aber dein Verstand ist scharf. Nutze ihn.»
Ermutigt von ihren Worten, begann Seeauge, sich auf seine anderen Sinne zu verlassen. Er lernte, die feinsten Wellenbewegungen im Wasser zu spüren, die leisesten Geräusche unter der Oberfläche wahrzunehmen. Langsam aber sicher entwickelte er Fähigkeiten, die die anderen Wasserdrachen in Erstaunen versetzten.
Eines Tages, als Seeauge wieder einmal frustriert war, weil er bei einem Wettrennen verloren hatte, kam ein alter, weiser Wasserdrache zu ihm. «Junger Drache», sagte er, «ich habe dich beobachtet. Du denkst vielleicht, du bist schwach, aber ich sehe eine große Stärke in dir. Du hast gelernt, die Welt auf eine Art zu verstehen, die den anderen fremd ist. Das wird dir eines Tages von großem Nutzen sein.»
Seeauge blickte überrascht auf. Zum ersten Mal begann er zu begreifen, dass seine Andersartigkeit vielleicht keine Schwäche war, sondern eine einzigartige Stärke.Die Jahre vergingen, und die drei jungen Drachen wuchsen weiter heran, jeder in seiner eigenen Welt, mit seinen eigenen Herausforderungen und Triumphen.
Rotfeuer entwickelte sich zu einem beeindruckenden jungen Feuerdrachen. Seine Schuppen glänzten nun in einem tiefen Rot, und seine Flammen waren heißer als die vieler älterer Drachen. Er war stolz auf seine Kraft und seine Fähigkeiten, aber seine Arroganz wuchs im gleichen Maße. Oft prahlte er vor den anderen jungen Drachen und forderte sie zu Wettkämpfen heraus, die er fast immer gewann.
«Seht her!», rief er eines Tages, als er einen gewaltigen Felsblock mit einem einzigen Feuerstoß zum Schmelzen brachte. «Wer kann das schon?»
Die anderen jungen Drachen jubelten und bewunderten ihn, aber die älteren Drachen sahen ihn mit zunehmendem Missfallen. Sie erkannten, dass Rotfeuer zwar stark war, aber ihm die Weisheit fehlte, seine Kraft richtig einzusetzen.
Schattenflügel hingegen wurde immer geschickter darin, sich in den Schatten zu bewegen. Er konnte nun stundenlang unbemerkt bleiben und lauschte den Gesprächen der älteren Drachen. So lernte er viel über die Welt außerhalb seiner Höhlen, über andere Drachenarten und sogar über die Existenz anderer intelligenter Wesen wie Menschen, Elfen und Orks.
Eines Nachts wagte er sich weiter als je zuvor aus den Höhlen heraus und erblickte zum ersten Mal den Sternenhimmel. Überwältigt von der Schönheit und der Weite des Nachthimmels, spürte er eine tiefe Sehnsucht in sich. «Es muss noch so viel mehr da draußen geben», flüsterte er zu sich selbst. «Eines Tages werde ich es alles sehen.»
Seeauge hatte in der Zwischenzeit gelernt, seine Behinderung zu seinem Vorteil zu nutzen. Während die anderen jungen Wasserdrachen sich auf ihre Sehkraft verließen, hatte Seeauge seine anderen Sinne so weit geschärft, dass er Dinge wahrnehmen konnte, die den anderen verborgen blieben.
Er entdeckte verborgene Unterwasserhöhlen, spürte die Anwesenheit von Fischen lange bevor er sie sah, und konnte sogar kommende Stürme vorhersagen, indem er die kleinsten Veränderungen im Wasser und in der Luft wahrnahm.
«Seeauge», sagte eines Tages ein alter Wasserdrache zu ihm, «du hast eine Gabe, die weit über das Sehen hinausgeht. Du verstehst die Sprache des Wassers wie kein anderer.»
Diese Worte erfüllten Seeauge mit Stolz, aber auch mit einer gewissen Melancholie. Er wusste, dass er anders war als die anderen, und manchmal fühlte er sich einsam in seiner einzigartigen Wahrnehmung der Welt.
Während die drei Drachen heranwuchsen, begannen ihre Eltern und die älteren Drachen, von der «großen Welt» zu sprechen, von einem Ort, an dem junge Drachen aus allen Teilen des Landes zusammenkommen würden, um zu lernen und zu wachsen. Sie nannten es die Drachenschule.
Rotfeuer hörte diese Gespräche mit Ungeduld. Er konnte es kaum erwarten, seine Überlegenheit vor einem noch größeren Publikum zu demonstrieren.
Schattenflügel war sowohl aufgeregt als auch nervös. Die Drachenschule versprach all die Abenteuer und das Wissen, nach dem er sich sehnte, aber der Gedanke, seine vertrauten Schatten zu verlassen, machte ihm auch Angst.
Seeauge hingegen war unsicher. Würde er in dieser neuen Umgebung zurechtkommen? Würden die anderen Drachen ihn akzeptieren, trotz seiner Andersartigkeit?
Keiner von ihnen ahnte, wie sehr diese Drachenschule ihr Leben verändern würde und dass sie dort nicht nur neue Fähigkeiten, sondern auch den wahren Wert von Freundschaft und Verständnis lernen würden.
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Artisma - The Dragon Land
FantasyDrei Junge Drachen namens "Rotfeuer" Schattenflügel und Seeauge erblicken das Licht der Welt. Doch schon bald erkennen sie wie grausam die Welt doch ist. Alle Drei die unter verschiedenen Bedingungen geboren wurden sind nun vereint und reisen durch...