Kapitel 28: Von Schuldfrage und Fluchtinstinkt

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Ser Dontos führte die Schwestern geschickt durch das Heckenlabyrinth, wo er für sie zwei Kapuzenumhänge versteckt hatte. Er schnappte sie und reichte sie den Schwestern, während man in der Ferne Schreie hörte. Ser Dontos rannte noch schneller, woraufhin die Schwestern fast Schwierigkeiten hatten, ihm zu folgen. Er brachte sie zu den Verließen des Bergfrieds, wo Arya damals einen der mehreren unbewachten Ein- und Ausgänge entdeckt hatte. Auf einmal blieb Lyanna stehen.

„Sansa, ich kann hier nicht weg, ich kann Julen nicht verlassen. Du musst ohne mich gehen. Geh nach Hohenehr zu unserer Tante Lysa und bleib dort, bis ich dich holen komme. Versprich es mir, dass du auf die Ehr gehst und sie nicht verlässt.", verlangte Lyanna schweren Herzens.

-"Ich verspreche es."

„Dann werden wir uns wieder sehen, Schwesterchen."

Ser Dontos drängte darauf, dass sich die Schwestern beeilen sollten, denn sie hätten keine Zeit für solche Gespräche. Sansa fiel ihrer Schwester um den Hals und schwor ihr, auf ihren Rat zu hören. Dann drückte Lyanna ihr den zweiten Mantel in die Hand und kehrte ihr den Rücken. Sie dachte an das Versprechen ihres Vaters und hoffte, es durch Sansa zumindest zum Teil erfüllen zu können. Aber Lyanna hatte keine Wahl, niemals würde sie Julen allein lassen, weshalb sie darauf vertrauen musste, dass Sansa auch ohne sie auskommen würde.

Sie war gerade bei Julen, als Lannisters in das Zimmer platzten und sie des Hochverrats und der Verschwörung zum Mord an König Joffrey beschuldigten. Eigentlich wollten sie die Männer in eine der Schwarzen Zellen schliefen, doch um nicht verletzt zu werden, gab Lyanna Julen einen Kuss auf die Stirn und ging dann freiwillig mit. Die Männer warfen sie in eine Zelle, die genau so aussah, wie die, in die sie Vater gesteckt hatten. Es gab kein Holzbrett, welches man von der Wand klappen konnte, um dadurch beim Schlafen von den Ratten und Mäusen geschützt zu sein. Einzig ein Eimer stand in der Ecke und ein wenig Stroh lag am Boden. Die Zelle hatte keine Fenster, die Tür aber schon, weshalb ein dumpfer Schein der Fackeln, die den Gang zwischen den Zellen erleuchteten, in Lyannas Zelle schien. Nachdem sich ihre Augen an die Lichtverhältnisse gewöhnt hatten, hörte sie von draußen Stimmen. Eine dieser Stimmen konnte sie Tyrion zuordnen. Vermutlich hatte man ihn aus demselben Grund hierhergebracht.

Früher oder später schafften es die Schwarzen Zellen in den meisten Fällen, ihre Gefangenen zu brechen. Durch das fehlende Tageslicht verlor man schnell jegliches Zeitgefühl. Verschlimmert wurde es außerdem dadurch, dass die Mahlzeiten immer in unterschiedlichen Abständen ausgegeben wurden. Wenn man Glück hatte, konnte man sich mithilfe des Wachwechsels ein wenig orientieren, doch dafür wüsste man die Abstände wissen, in denen sich die Soldaten ablösten. Die Schwarzen Zellen erhielten ihren Namen also nicht nur wegen der völligen Dunkelheit, die in ihnen herrschte, sondern weil die Gefangenen in ihnen nicht lange nach ihrer Inhaftierung jegliche Hoffnung verloren. Nicht aber Lyanna. Im Gegenteil. Allein dass Sansa die Flucht gelang, brachte in ihrem Herzen eine Flamme der Hoffnung und Zuversicht zum Lodern, deren Licht durch Julen geschürt wurde. Für die beiden würde Lyanna niemals aufgeben, selbst wenn sie nie wieder das Sonnenlicht sehen würde.

Seit ihrer Gefangennahme mussten ungefähr drei oder vier Tage vergangen sein, schätzte Lyanna. Drei Mahlzeiten hatte sie nämlich erhalten. Jedes Mal einen Eimer Wasser und ein hartes Stück Brot, das darin schwamm und trotzdem nicht weicher wurde. Sieben oder acht Wachablösen hatte sie mitbekommen und auch in dem Moment näherten sich Schritte. Diese verblassten aber nicht in der Ferne, wie sonst immer. Dann hörte sie das Geraschel von Eisen, einem Schlüsselring, um genau zu sein. Jemand steckte einen Schlüssel in das Schloss ihrer Zellentür und drehte ihn darin um. Mit einem Knarren wurde die Holztür geöffnet und ein großer Mann mit einer Fackel kam in die Zelle. Lyanna hielt sich die Hände vors Gesicht, den das Feuer brannte in ihren Augen, als würde sie direkt in die Sonne starren.

„Ihr seid die Mutter meines Enkels und Erben, ich bin gewillt, Euch bis zur Gerichtsverhandlung anstelle der Schwarzen Zellen bewachten Arrest in seiner Kinderstube anzubieten, aber nur, wenn ihr mich von Eurer Unschuld überzeugen könnt", bot Tywin Lannister an, woraufhin Lyanna hellhörig wurde.

Natürlich war sie unschuldig. Die Frage, die sich ihr stellte, war aber, wie sie ihn davon überzeugen konnte. Zugegebenermaßen hätte sie nicht nur ein Motiv gehabt, sondern verhielt sich durch ihre Flucht auch äußerst verdächtig.

Um überzeugender zu wirken, stand Lyanna auf, klopfte sich den Staub aus dem Kleid und sagte: „Ich will ehrlich zu Euch sein, Mylord. Ich habe Joffrey für das, was er meiner Familie angetan hat, gehasst und ich habe mir oft vorgestellt, wie ich ihn mit meinen eigenen Händen erwürgen würde, doch ich habe es nicht getan. Nicht weil ich mich davor geziert hätte, sondern weil mich meine Mutter stets in Gedanken an die Worte ihres Hauses erzogen hat. Familie, Pflicht, Ehre. Und ob ich es will, oder nicht, Robert machte mich zu Joffreys Familie, mein Sohn machte mich zu einer Lannister. Seinetwegen bin ich noch hier und nicht mit meiner Schwester, die Joffrey genauso nicht getötet hat, wie ich, geflohen."

-"Und noch etwas, Ihr wisst nicht zufällig, wo sich Eure Schwester befindet?"

„Nein, Mylord. Ich weiß nicht, wo sie jetzt gerade ist."

Genau genommen log Lyanna Tywin hierbei gar nicht an, denn sie hatte wirklich keine Ahnung, wo sich ihre Schwester zu diesem Zeitpunkt befand. Dass sie aber mit ziemlicher Sicherheit wusste, was ihr Ziel war, behielt sie lieber für sich. Obwohl, in Anbetracht der Tatsache, dass Hohenehr im Volksmund als uneinnehmbar gilt und dort ihre Tante Lysa Arryn herrscht, war es vermutlich klar, dass dieser Ort Sansas Ziel sein könnte. Lyanna vermutete auch, dass Tywin das wusste, ihre Antwort schien ihm trotzdem zu reichen.

-"Gut. Wachen, bringt Lady Lyanna in die Kinderstube ihres Sohnes. Niemand darf hinein und niemand darf hinaus."

Gesagt, getan. Kurze Zeit später fand sich Lyanna im Zimmer ihres Sohnes, wo mittlerweile auch ein Bett stand, wieder. Für sie war es nicht schlimm, fast zwei Wochen, bis zum Gerichtsprozess hier eingesperrt zu sein, denn sie hatte frische Luft, Sonnenlicht, einige Bücher und Julen.

The Red Wolf of the NorthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt