Kapitel 32: Patrizid

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Als Lyanna die Septe von Baelor betreten wollte, kam ihr gerade Cersei entgegen. Seit dem Tod ihres Vaters und Tyrions Flucht war sie noch gereizter als üblich, weshalb man ihr lieber aus dem Weg gehen sollte. Das tat Lyanna zum Teil auch aus Mitleid. Als sie die Septe betrat, roch sie den angenehmen und beruhigenden Duft der verschiedensten Kräuter, die zur Totenfeier verbrannt worden waren. Die Sonne, die durch eines der bunten Bleiglasfenster fiel, malte ein wunderschönes Muster auf den Boden der Septe. In der Mitte der Septe, umringt von den meterhohen Statuen der Sieben war Tywin Lannisters Leiche auf einem Altar aufgebahrt worden. Ringsherum waren Schweigende Schwestern in ihr stilles Gebet vertieft oder kratzten das von den Kerzen geronnene Wachs von den Kerzenständern ab. Jaime stand indes neben der Leiche seines Vaters, wo er die letzte Totenwache hielt, bevor man Lord Tywin bestattete.

Er war so in seinen Dienst vertieft, dass er sein gesamtes Umfeld ausblendete, stattdessen starrte er auf die Augensteine, die auf den Augen seines Vaters lagen. Sie hatten zwar dieselbe blaue Farbe, wie seine echten Augen, aber nicht annähernd den gleichen Ausdruck, es waren ja immerhin einfache bemalte Steine, wie sie in jedem Flussbett zu finden waren. Obwohl sich Lyanna bemühte, unnötige Geräusche zu vermeiden, schlich sie sich nicht sonderlich an Jaime an. trotzdem zuckte er kurz zusammen, als Lyanna ihre Hand tröstend auf seine Schulter legte. Er hatte wohl einfach zu diesem Zeitpunkt nicht mit ihr gerechnet.

Pflichtbewusst wie sie war, nahm Lyanna natürlich an der Totenfeier teil, die vor sieben Tagen stattfand, doch für diesen Tag wurde von niemandem die Anwesenheit verlangt. Bald würde man Tywin begraben und dann würde nur mehr sein Name und sein Vermächtnis existieren. Einst fürchtete jeder noch so kleine Lord und Edelmann diesen Mann und das Lied, das in seinem Namen die Knochen derjenigen erschüttern ließ, die es zu hören bekamen. Während andere Raben oder Boten schicken mussten, brauchte Tywin Lannisters nur einen Barden mit einem Lied schicken, um seine Feinde vor ihm knien zu lassen. Vor einer Leiche hatte nun aber niemand mehr Angst. Als neue Lady Lannister von Casterlystein lag es nun an Lyanna, sein Vermächtnis weiterzuführen.

Jaime sah Lyanna an und es war, als würde sie in ein offenes Buch blicken, so viel Ausdruck hatte sein Gesicht. Sie erkannte darin Verzweiflung und Vorwurf, denn da Jaime Tyrion befreit hatte, gab er sich selbst die Schuld an dem Mord seines Vaters. Hätte er es aber nicht getan, würde er wohl genauso über den Tod seines Bruders denken. Hätte er Tyrion nicht geholfen, würden sein Vater und Tyrions ehemalige Geliebte Shae noch leben.

"Es ist nicht Deine Schuld. Du hast getan, was du für das Richtige hieltest. Tyrion hat seine eigenen Entscheidungen getroffen, für die Du nicht verantwortlich sein kannst", ermutigte Lyanna Jaime.

Und sie hatte auch irgendwie Recht. Auch wenn Jaime das in seinem Inneren wusste, beschäftigte ihn seine eigene Schuldzuweisung noch viel mehr. Man hatte ihm schon viel zu oft vergeben, zu oft kam er ungeschoren davon, zu oft hätte er den Tod verdient und trotzdem war er noch am Leben. Wieso, fragte er sich selbst immer wieder. Eine Frage, auf die er keine Antwort fand. Vielleicht war all dieser Schmerz die Strafe für all das, was er getan hatte. Dabei war Jaime stets derjenige, der die Familie versuchte, zusammenzuhalten. Als der Irre König ihm befahl, ihm den Kopf seines Vaters zu bringen, tötete er lieber seinen König und was er nur alles für Cersei getan hatte...

Für Lyanna war nicht nur der Ort, sondern auch die ganze siebentägige Zeremonie fremd - von Totenfest über Totenwache bis zur Bestattung. Trotzdem blieb sie an Jaimes Seite, bis der Hohe Septon in seinen Zeremoniellen Gewändern durch die Tür des Vaters kam und sich dem Toten näherte. Auch die Schweigenden Schwestern traten an den Altar heran, was das Zeichen dafür war, dass Jaimes Dienst nun sein Ende haben sollte. Man würde Tywin ein letztes Mal im Angesicht der Götter segnen und ihn dann in der Gruft unter der riesigen Septe beisetzen. Neben Joffrey, Robert und der Asche von unzähligen Targaryens würde er seine ewige Ruhe finden. Ein letztes Mal verabschiedete sich Jaime von seinem Vater, bevor er mit Lyanna die Septe verließ.

Schweigend gingen sie nebeneinander die Stufen hinunter, wo zwei Soldaten die Pferde bewachten. Danach ritten sie zurück zum Bergfried. Auf halbem Weg von der Septe zum Bergfried brachte Lyanna ihr Pferd mitten auf der Hauptstraße zum Stehen.

"Glatze", flüsterte sie Jaime, der neben ihr ritt leise zu.

The Red Wolf of the NorthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt