Kapitel 6

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Meine Kopfschmerzen sind der Grund dafür, dass ich aus meinen weniger erholsamen Schlaf erwache. Ein lautes Klirren ertönt, als ich versuche meine Hände zu bewegen, um meine Augen zu reiben, die bei dem Versuch sie zu öffnen, schmerzen. Allein bei dem Gedanken daran, quillt Übelkeit in mir auf. Meine Kehle ist staubtrocken und nur widerwillig öffne ich meine Lider, um dann festzustellen, dass wo auch immer ich sein mag, es stockdüster ist.

Ein weiteres mal ziehe ich an meinen Händen und bleibe erfolglos. Hartes Eisen, dass meine Gelenke aneinanderbindet, hindert mich daran, meine Hände zu bewegen. Der Schmerz schwillt nicht nur mein Kopf an, sondern zieht sich über meine Handgelenke und Arme, die in der Luft hängen. Und als ich versuche mich an den Ketten hochzuziehen, stockt mein Atem.

Stöhnend versuche ich mich daran zu erinnern, wie ich hierhergekommen bin und was ich tun soll, um hier wieder herauszukommen. Mein Kopf dreht sich und alles sickert in mich hinein, wie Treibsand. Ich erinnere mich daran, dass ich entfesselt und in ein Riesenanwesen mit vielen Portraits verschleppt wurde, um einen Mann das Leben zu retten.

Stimmt.
Die Schusswunde.

So danken sie es mir, dass ich einen den wichtigen Menschen das Leben gerettet habe. Verzweiflung keimt in mir auf und reißt mich mit sich. Statt erholt von dem Tiefschlaf zu sein, habe ich das Gefühl nur schwächer geworden zu sein. Außerdem spüre ich, wie mir mein Magen schwer im Bauch hängt, weil ich seit Ewigkeiten nichts mehr gegessen oder getrunken habe – das würde meinen trockenen Mund erklären.

Ich hebe meinen Kopf und versuche meine Augen an die Dunkelheit zu gewöhnen. Doch egal wie sehr ich mich anstrenge, es bleibt dunkel. Aus Frustration brennen Tränen in meinen Augen und zum ersten Mal seit meiner Entführung erlaube ich sie laufen zu lassen. Die Erschöpfung breitet sich, wie ein Feuer, durch meinen gesamten Körper aus und lässt mich die Lider erneut schließen.

Wie es wohl Maleah geht? Vermutlich sitzt sie auf der Couch, guckt eine Doku und isst genüsslich Eis, während sie auf meine harsche Anweisung hin ihr Bein hochgelegt hat und ihr Knöchel kühlt. Sie fehlt mir. Und meine Arbeit als Assistenzärztin.

Ich lehne meinen Kopf an die kalte Steinwand und schniefe. Meine spröden Lippen bleiben verschlossen. Mit ruhigen Atemzügen versuche ich mich unter Kontrolle zu bringen, denn ich darf nicht zu lassen, dass das Gefühl um meine Brust enger wird und mich zerfrisst. Das Letzte, was ich gebrauche, ist, Panik.

In den nächsten Minuten oder Stunden, in denen ich da hänge, konzentriere ich mich auf meine Atmung und darauf, meine Gedanken zu befreien. Einige Male bin ich weggedöst und dann wieder aufgewacht mit noch dolleren Kopfschmerzen. Aber schon bald werde ich zurück in die Realität geholt, als ein lautes Klicken ertönt und ein Lichtstrahl den Raum erblickt.

»Du bist wach«, stellt eine männliche Stimme fest und bewegt sich auf mich zu. Seine schweren Schritte bringen einen Knoten in meinen Magen und Unbehagen, welches sich um meinen Brustkorb schnürt.

Ich schaue auf und versuche durch den schmalen Lichtstrahl zu erkennen, um wen es sich handelt. Meine Ohren fühlen sich taub an, um ihn an den Klang seiner Stimme zu entlarven. Aber als seine Finger meine Wange streifen, auf der die Tränen getrocknet sind, dämmert es sich mir. Es ist der breitere, der, der mich Miezekatze nennt und denkt, dass es lustig wäre.

Seine sanfte Berührung bringt mich kurz aus dem Konzept, wodurch ich vergesse nach Luft zu schnappen. Sie ist so ungewöhnlich sanft, fast schon angenehm und vorsichtig.

Erst, als er seine Hände zu meinen Fesseln bewegt, öffnen sich meine zerrissenen Lippen. »Was ...« Es fällt mir schwer ein Wort über die Lippen zu bringen, wenn mein Mund trockener als die Wüste ist. In meinem Hals kratzt und schmerzt es, dass ich bezweifle, überhaupt einen anständigen Satz hervorzubringen. »... soll das?«

Als ich es endlich geschafft habe, weiterzusprechen, spüre ich, wie sie die Fesseln lockern und meine Handgelenke freigegeben werden. Schlaff fallen sie in meinen Schoß und sofort umfasse ich die rote, angeschwollene Haut.

Ist es das nun? Ist er hier, um mich zu holen, weil sie mich töten werden? Oder etwa, weil ich nach dem Mann sehen soll, um zu checken, ob er noch lebt, bevor sie mich wieder einsperren und krepieren lassen?

Ich zucke zusammen, als seine Hände unter meine Achseln greifen und mich auf meine Füße heben. Rasch suche ich an seinen Oberkörper halt, als ich zitternd und dehydriert zum Stehen komme. Mein Blick schnellt hoch, zu seinem markanten Gesicht und seinen stechend braun-grünen Augen. Ich muss schlucken. Er ragt um eineinhalb Köpfe über mir und zum Vergleich vor einigen Stunden, geht er zärtlicher mit mir um.

Es möchte nicht in meinen Kopf rein, warum er plötzlich so fürsorglich ist und darauf achtet, dass ich nicht über meine Füße stolpere. Auch als wir uns auf die Tür zu bewegen, schweigt er und stützt mich. Ich bin hin und hergerissen von dem, was ich fühle und dem, was ich sehe. Eine Art der Wiedergutmachung?

Dafür braucht es jedoch mehr, als nur eine Stütze, um einigermaßen gerade zu laufen und den Weg außerhalb des Kerkers zu finden.

Mein Herz schlägt mir bis zum Gaumen und mein Magen macht ein freudiger Hüpfer, als ich aus dem angsteinflößend dunklen Raum steige und nicht länger gefesselt bin. Ehrlich gesagt habe ich Angst vor düsteres und engen Räumen, denn sie rufen in mir etwas hervor, das ich versuche zu ignorieren.

Kurz kneife ich meine Augen zusammen, weil das Licht mich erreicht und es sich anfühlt wie ein Schlag ins Gesicht. Ich schmiege mich unbewusst an den Prachtkörper des Mannes, der mich anschweigt. Weil seine Arme um meine Taille gelegt sind, fühlt es sich an, als würde ich über den Boden schweben und meine Beine nur so zum Spaß bewegen.

Mein Brustkorb hebt sich und die Luft, die ich einatme, ist wie Balsam für meine Lunge. Es hat sich angefühlt, als hätte ich vergessen, wie man richtig atmet; wie Luft eigentlich riecht.

Wir erreichen Treppen, steigen sie empor und erreichen eine Tür, die weit offensteht. Dahinter befindet sich ein Raum. Inmitten dieses Zimmers befindet sich ein großer Tisch aus Eichholz und Personen, die hinter jenem Tisch stehen. Ihre Blicke sprechen mehr als tausend Worte und brennen sich, wie erhitzter Stahl auf meiner Haut.

Hart schlucke ich. »Was wird das? Eine ... Familienversammlung?«, scherze ich, aber bereue es sofort. Nicht nur, weil sich meine Halsschmerzen dadurch verschlimmert haben, sondern auch, weil der, der mich hierhergebracht hat, mich in die Knie zwingt und alle auf mich herabsehen, als wäre ich der Bettler.

Mit einem Zischen fallen meine Knie auf den rauen Boden, der mit einem kratzigen Teppich ausgelegt wurde. Sterne sammeln sich vor meinen Augen, die ich versuche wegzublinzeln, während ich mein Kinn recke und versuche taff zu wirken.

»Du darfst dich freuen, wir haben uns entschieden was mit dir passiert, doçura.«

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doçura ⇝ süße

Hell's heartWo Geschichten leben. Entdecke jetzt