Kapitel 61

13 3 0
                                    

Es ist zu lange her, dass ich mich derartig fertig machen musste. Zuletzt, als ich vor einigen Wochen mit Chris aus war, da habe ich mir nochmal derartig viel Mühe gemacht. Heute gehe ich zwar nur mit meinen Freundinnen weg, aber irgendwie waren das immer die Abende, wo man sich so zurecht gemacht hat, dass man sich mal wieder etwas wohler gefühlt hatte. Erst recht, wenn man die anderen Tage immer nur in irgendwelchen Arbeitsklamotten rumläuft, die jeder andere Handwerker auch trägt.

Ich stehe im Schlafzimmer vor meinem Spiegel, versuche mir meine vorderen Strähnen noch zurückzubinden, wobei mir einige immer wieder aus der Hand und den Zopf rutschen, sodass ich die einfach irgendwann so fallenlasse, wie sie wollen. Der Großteil ist immerhin aus dem Gesicht. Als das geschafft ist, ziehe ich von meinem dunkelblauen Kleid ein paar Haare ab, streiche mir einmal darüber, damit das wieder liegt und denke anschließend, dass ich fertig sein sollte. Ich würde darüber noch einen Mantel tragen, der Dezember ist mit den Temperaturen nicht sehr gnädig und ansonsten ziehe ich mir noch meine Chucks gleich an, der Rest wird passen, glaube ich zumindest.
Juliette: Chrissy?"
Wozu habe ich eigentlich einen Freund, wenn nicht gerade für diese Frage? Als ich aus meinen Schlafzimmer komme, muss ich noch wieder die Treppe runterlaufen und finde ihn unten im Wohnzimmer vor, wo er gerade an seinem Handy hängt, sich bequem hingelegt hatte, da er sich hier einen gemütlichen Abend machen wollte. Er trägt irgendeinen grauen Hoodie, bequeme Hose, der macht heute einen freien Abend ohne Arbeit. Von oben hatte er mich natürlich auch gleich schon gehört, hält sein Handy nun zur Seite weg und schaut zu mir hin, als ich in der Tür zum Stehen komme.
Chris: Was gibt es, July?"
Juliette: Findest du, dass ich so gehen kann?"

Keinen Moment wendet er seinen Blick von mir ab, allerdings kneift er seine Augen etwas zusammen, schaut mich misstrauisch an und das verunsichert mich etwas, was er mir auch in meiner Haltung ansehen kann.
Chris: Ob es allgemein okay aussieht, oder ob ich dich so gehenlassen würde?"
Mein verhaltenes Schweigen gibt ihm wohl gleich die Antwort, die er gar nicht haben wollte, wobei er nicht wissen kann, dass dahinter noch etwas ganz anderes steckt. Das, was er in der Hand hatte, legt er auf den Tisch ab, steht gleich auf und kommt auf mich zu. Erst dann schaut er mich einmal genauer an, lässt seinen Blick über mich wandern, bis er wieder zu mir sieht.
Chris: Warum fragst du das, July? Dich hatte es noch nie interessiert, was ich sage."
Unsicher kaue ich auf meiner Lippe rum, weil ich ja auch weiß, dass er recht hat. Dass es für mich noch nie von Bedeutung gewesen ist und dass ich bei sowas niemals fragen würde, außer heute und jetzt, wegen der Umstände.
Juliette: Bei der Firmenfeiern hatte Levi einen Kommentar dazu abgegeben..."
Mir ist es so unangenehm, dass ihre Aussage, die sie am Tisch mit den anderen geäußert hatte, mich so beeinflusst, aber was soll ich dagegen denn machen? Chris lässt für einen Augenblick seinen Kopf in den Nacken fallen, steckt seine Hände in die Taschen seiner Hose, bis er wieder zu mir runter schaut.
Chris: Ich weiß, sie ist deine beste Freundin, aber ehrlich, July...gib einen fick auf die Worte dieser Frau. Du fühlst dich wohl, dann ist es perfekt. Du willst das tragen, dann ist das genug und wenn du unbedingt meine Meinung haben willst, ich finde dich wunderschön. Ich liebe es, wenn du blau trägst."
Ich lache nur kurz, fange an zu nicken und greife mich mit den Händen dann etwas in seinem Hoodie fest, schaue dort zuerst auch noch hin, bis ich mich wieder wage, in seine Augen zu gucken. Chris lächelt wieder sanft, lässt mich auch wieder vergessen.

Auch wenn es lächerlich ist, ich versuche mich ein wenig größer zu machen, damit ich ihm zumindest ein wenig näher kommen kann. Dadurch fängt er wieder an zu grinsen, weil er es immer wieder als niedlich ansieht, dass ich eben genau das versuche, aber kommt mir dann immerhin auch näher, lehnt seinen Kopf etwas weiter runter. Einen Augenblick schauen wir einander noch an, müssen wieder grinsen und nachdem wir unsere Augen geschlossen haben, küssen wir einander nochmal. Und während solcher Momente, merke ich auch immer wieder, dass ich es gar nicht mehr so schrecklich finde, in der Gruppe heute Abend die Vergebene zu sein.

Im Flur ziehe ich mir meine Chucks noch an, binde die Schnürsenkel gerade zu und habe Chris dabei im Türrahmen stehen, wie er mich dabei beobachtet, um mich gleich zu verabschieden. Als ich wieder aufrecht stehe, greife ich nach meinen Mantel, ziehe mir den über und schließe die paar Knöpfe, bevor ich mich noch einmal im Spiegel betrachte.
Chris: Du meldest dich, wenn ich euch holen soll?"
Ich bin froh, dass wir heute nach Bielefeld fahren, dass mich Leonie abholt und dass ich somit Levi noch ein bisschen mehr aus den Weg gehen kann. Ich sollte so nicht denken, aber was sollte ich anderes denn machen? Reden hilf ja nicht mehr.
Juliette: Werde ich. Dich wird das wirklich nicht stören, Chrissy?"
Darüber kann er nur wieder lachen. Immerhin hatte er mich in den letzten Wochen oft in der Nacht wach gehalten, angerufen oder anderweitig vom Schlafen abgehalten, dass ich mir da jetzt wohl keinerlei Sorgen machen sollte. Trotzdem wollte ich das lieber nochmal klären, da ich auch mit einem Taxi nach Hause kommen würde, aber das will er nicht.
Chris: Ruf einfach nur kurz durch, sag, wen ich mitnehmen soll und dann mache ich mich auf den Weg, okay?"
Nun lässt er auch den Türrahmen hinter sich, kommt nochmal wieder auf mich zu, legt mir das Haar nochmal zurecht und gibt mir noch einen Kuss darauf, bevor ich wieder lächle.
Juliette: Werde ich machen, danke nochmal."
Chris: Dafür nicht. Habt viel Spaß, July."

Einen Schlüssel muss ich nicht mitnehmen, immerhin kann der dann nicht verloren gehen und als ich mein Haus verlasse, steht vorne auf dem Weg auch schon Leonie, wie abgemacht. Ein letztes Mal winke ich Chris noch zu, als ich zu ihr vorgelaufen bin und kurz darauf auch bei ihr einsteige.
Leonie: Hey ho, gut siehst du aus."
Juliette: Danke dir."
Sie lächelt, wartet, bis ich angeschnallt bin und macht sich danach auf den Weg nach Bielefeld, während ich erstmal wieder ankomme und mich gedanklich auf den Abend vorbereite, der hoffentlich gut werden wird.
Leonie: Ist er schon bei dir eingezogen?"
Juliette: Nein, aber er wollte uns später holen und bei mir bleiben."
Leonie: Das ist ja lieb von ihm. Dafür, dass Levi immer wieder meint, dass sie den arroganten Typen gar nicht ausstehen kann, habe ich das Gefühl, dass er dir gegenüber ganz anderes zu sein scheint."
Levi nimmt alles auch anders und verdreht auf, macht alles nur komplizierter, aber das will ich nicht gleich zu Beginn des Abends anschneiden, am liebsten gar nicht...

Never Less Than a LoverWo Geschichten leben. Entdecke jetzt