Kapitel 53: Sünden der Vergangenheit

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Nach ihrem Gespräch mit Jon in der Krypta verabschiedete sie sich von ihm und ging zu Bett. Die kommenden Tage würden ihr viel Kraft abverlangen und deshalb wollte sie sich ausruhen. Am nächsten Morgen wurde sie früh von einer Magd auf Ser Garrets Befehl hin geweckt. Sie sagte Lyanna nur, dass sie so schnell wie möglich in den großen Saal kommen sollte, während sie ihr dabei half, sich anzuziehen. Als sie in ihre Kleider geschlüpft war, entwirrte Lyanna ihre Haare nur ein wenig mit den Fingern, während sie beinahe durch die Gänge rannte. Schon von draußen konnte sie Daenerys scharfe Stimme hören, weshalb sie in Anbetracht ihrer Unterhaltung mit Jon nervös wurde.

Als Lyanna mit Ser Garret den Saal durch eine Nebentür betrat, bemerkte es fast keiner. Sie fragte einen der Ritter, was vor sich gehe und er antwortete ihr, dass Cersei Lannister den Norden betrogen hätte. Anstatt sich mit ihrer Armee dem Kampf gegen den Nachtkönig anzuschließen, schickte sie Euron Graufreud lieber nach Essos, damit er ihr ein Heer von Söldnern mitbringen konnte. Lyanna kämpfte sich durch die Menschenmassen, bis sie Daenerys mit Jon an dem großen Tisch sitzen saß. Ein Mann, den Lyanna nur zu gut kannte, stand vor ihnen. Es war Jaime, der ohne jeglichen Schutz und ohne Begleitung von Königsmund nach Winterfell geritten war. Gerade als Daenerys für die Verbrechen der Lannisters an ihrer Familie und dem Verrat von Cersei seinen Kopf forderte, schritt Lyanna ein.

„Wenn ihr die Sünden der Vergangenheit, von anderen Generationen, bestrafen wollt, sollte ich nicht dann auch Euren Kopf fordern, für das, was Euer Vater meinem Großvater und Onkel angetan hat?"

Einige aus der Menge schienen Lyannas Vorschlag zu befürworten, was Daenerys überhaupt nicht gefiel. Nachdem dann auch noch Brienne für Jaime bürgte, kochte sie innerlich vor Wut, doch selbst wenn Cerseis Männer sie nicht unterstützen würden, brauchte die Armee des Nordens jeden Mann, der kämpfen konnte, vor allem, wenn er ein Schwert aus valyrischem Stahl mit sich führte. Widerwillig ließ die Drachenkönigin Jaime deshalb gehen.

Während sich der Saal langsam leerte, kam Jaime auf Lyanna zu, um sich für ihren Einsatz zu bedanken. Für Lyanna war es aber eine Selbstverständlichkeit, für ihre Familie einzustehen, außerdem schuldete sie Jaime für dessen Unterstützung im Kampf gegen die Boltons noch einiges. Wäre Lyanna nämlich damals mit den Lannisters und den Arryns Jon nicht zur Hilfe geeilt, hätte er nicht nur die Schlacht der Bastarde, sondern auch sein Leben verloren. Anstatt Jaime einzusperren, brachte sie ihn zu Julen.

Nach einem emotionalen Wiedersehen von Vater und Sohn, musste Lyanna ihn zu Brienne bringen, deren Kommando er für die Verteidigung von Winterfell unterstand. Den Weg dorthin nutzten die zwei aber, um über die Vergangenheit zu sprechen. Obwohl zu Beginn nur Julen ihre Beziehung zueinander zusammengehalten hatte, verstärkte mittlerweile eine Freundschaft dieses Band. Lyanna war eine der wenigen Personen, die von Jaimes und Cerseis Liebe zueinander wussten und mit denen Jaime auch darüber sprechen konnte.

„Meine Glückwünsche, ich habe gehört Julen könnte bald einen Cousin oder eine Cousine bekommen."

-"Um ehrlich zu sein, ich dachte immer, ich würde Cersei kennen, dass sie mich nie anlügen oder hintergehen könnte, aber mittlerweile bin ich mir nicht sicher, dass sie mir immer die Wahrheit erzählt hat. Soweit ich weiß, könnte es auch Eurons Kind sein, wenn sie überhaupt schwanger ist", gestand Jaime.

„Bist du deshalb hierhergekommen?"

-"Vielleicht. Andererseits habe ich versprochen, euch zu unterstützten und anders als viele glauben, liegt mir viel daran, mein Wort zu halten. Außerdem würde ich nie zulassen, dass dir oder vor allem Julen etwas zustößt."

Man mochte Jaime Eidbrecher oder Mann ohne Ehre nennen, doch für Lyanna erschienen diese Spitznamen zu übertrieben. Schon alleine, dass er sich Cersei widersetzt hatte und ohne ihr Einverständnis nach Norden geritten war, bewies für sie, dass Jaime sich im Laufe der Jahre zu einem besseren Menschen gewandelt hatte.

Als Lyanna Jaime zu Brienne brachte, sah sie, wie unermüdlich Gräben ausgehoben wurden. Pfähle wurden angespitzt und in den gefrorenen Grund getrieben. Die Abfallstücke der Schmiede, die unermüdlich Waffen aus Drachenglas herstellten, wurden an den Mauern angebracht, um die Untoten am Überqueren dieser zu hindern. Winterfell, das einst heimlich war, sah nicht mehr aus, wie eine normale Burg. Stattdessen war Winterfell die vermutlich am besten ausgerüstete Wehranlage, die Westeros in seiner Geschichte je gesehen hatte und trotzdem wuchs der Zweifel, dass all das nicht genug sein würde.

Als am Tag nach Jaimes Ankunft die Überlebenden der Nachtwache auf Winterfell eintrafen, berichteten sie von ihrem grausamen Fund. Der Nachtkönig hatte mittlerweile schon die Mauer überquert. Letzter Herd war sein erstes Ziel, wo er nichts als Leichen hinterließ. Bevor die tapferen Brüder der Nachtwache vor den Untoten nach Winterfell flohen, schafften sie, Letzter Herd und all seine toten Bewohner zu verbrennen, sodass der Nachtkönig sie nicht wiedererwecken konnte. Was sie erzählten, deckte sich mit Brans Visionen, die voraussagten, dass die große Schlacht nun unmittelbar bevorstand. Schnell wurde also ein Kriegsrat gebildet, um die Verteidigung von Winterfell zu planen.

Bran, der das Ziel des Nachtkönigs war, sollte von Theon und den Karstarks im Götterhain geschützt werden. Die Dothrakis sollten aufgrund ihrer Anzahl und ihrer Pferde den ersten Angriff führen, gefolgt vom Rest, der sich darauf konzentrieren sollte, die Untoten so lange wie möglich von den Mauern fernzuhalten, um Bran genug Zeit zu geben, um den Nachtkönig auszuschalten. Die, die nicht kämpfen konnten, sollten in der Krypta Zuflucht finden. Die war nämlich der einzige Ort in ganz Winterfell, deren Zugang durch eine schwere Holztür und mehrere Eisentore geschützt war. Auch Lyanna sollte mit Julen dort die Schlacht aussitzen, doch sie weigerte sich.

„Wir brauchen so viele wie möglich, die kämpfen können. Ich bin zwar nicht die beste, aber ich kann mit einer Waffe umgehen."

Jaime und Jon waren mit Lyannas Vorschlag überhaupt nicht einverstanden, doch sie beide kannten ihre Sturheit nur zu gut. Als Kompromiss sollte sie mit einigen anderen innerhalb der Mauern die Stellung halten, denn insgeheim wussten sie, dass die Schlacht verloren sein würde, würden die Wiedergänger die Mauer überwinden.

Ein ganzer Tag voller Anspannung verging, niemand wagte es auch nur, ein Wort über die kommende Schlacht zu verlieren. Als die Sonne nach und nach von ihrem Platz am Firmament wich, nahmen die Menschen auf Winterfell voneinander Abschied. Lyanna und Jaime verabschiedeten sich von Julen, der mit seiner Tante Sansa und seinem Onkel Tyrion in der Krypta ausharren sollte. Er wollte seine Eltern nicht gehen lassen, aber für ihn war es unter der Erde von Winterfell am sichersten.

The Red Wolf of the NorthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt