Kapitel 54: Drei Hornstöße

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Während die Frauen und Kinder in der Krypta eingesperrt waren, herrschte auf ganz Winterfell eine unbeschreibliche Anspannung. Jeder wusste, was kommen würde und doch wollte es niemand wahrhaben. Würden sie gewinnen, würden ihre Namen in die Geschichte eingehen und noch in hunderten von Jahren würde man sich ihrer erinnern. Wenn nicht, dann gäbe es sowieso niemanden mehr, der sich an sie erinnern und ihr Schicksal weitergeben würde. Die Schicksale der Menschen von ganz Westeros lagen in den Händen der wenigen tapferen, die sich in Winterfell dem Nachtkönig und seiner Armee an lebenden Toten stellen wollten.

Jede Fackel, jede Feuerschale und jeder Kaminofen wurde entzündet, um die lange Nacht zu erleuchten. Die Wärme und der Schein des Feuers spendete Trost in dieser Zeit der Ungewissheit. Manche Männer verbrachten die wenigen Minuten, die ihnen noch geblieben waren, damit, sich ein letztes Mal vor einem der vielen wärmenden Feuer zu versammeln, aufeinander anzustoßen und Lieder zu singen. Anderen reichte ein letzter Blick auf die, die sie mit Stolz ihre Brüder nennen konnten. Sie alle hatten aber eines gemeinsam. Sie warteten darauf, dass das Horn dreimal ertönte und damit die entscheidende Schlacht begann. Vielleicht war es deshalb auch so still, damit niemand es verpassen konnte.

Für den Fall, dass sie ihre Heimstadt nie wieder sehen würde, schlich Lyanna durch die Gänge. Ab und an lief sie bekannten Gesichtern, wie dem von Sandor Clegane über den Weg. Sie sah vom Wehrgang ein letztes Mal auf Winterfell hinab, bevor sie sich gemeinsam mit Lyanna Mormont und einer Hand voll Nordmännern im Burghof traf. Während die meisten vor den Mauern kämpfen sollten, war es ihre Aufgabe, das Tor von innen zu beschützen.

Jeder Atemzug in der eiskalten Winterluft war selbst im schwachen Schein der unzähligen Fackeln als sanfter Nebel zu erkennen. Einige zitterten, entweder vor der unbeschreiblichen Kälte, die seit Sonnenuntergang aufzog, oder aus Angst.

„Wenn der Schnee fällt und die weißen Winterwinde wehen, stirbt der einsame Wolf, doch das Rudel überlebt", versuchte Lyanna die Situation ein wenig zu entspannen.

Das Rudel überlebt - hoffentlich hatte Vater mit dieser Weisheit Recht. Auch wenn nicht nur unter dem Banner der Schattenwölfe von Winterfell gekämpft wurde, war die Ähnlichkeit zu einem Wolfsrudel unbestreitbar. Vielleicht würde ihnen das ja helfen.

In der Ferne war ein Horn zu hören. Jeder Wachposten auf der Mauer gab seinen Klang wieder, sodass ihn alle hören konnten. Ein Hornstoß für Freunde. Der zweite Hornstoß für das Freie Volk. Mit dem dritten Hornstoß begann die Schlacht.

Das Echo des letzten Alarmsignals verstummte in der dunklen Winternacht. Jeder stand auf seinem Posten bereit und es war wieder unheimlich still. Kurz darauf hörte man die Schreie der Dothrakis, die auf ihren Pferden in die Finsternis ritten. Sie waren so laut, dass man sie auch noch in der Ferne hören konnte, doch dann schwieg die Nacht wieder.

Lyannas Herz raste vor Angst, wie sie es noch nie erlebt hatte. Jede Sekunde, in der sie kampfbereit mit ihrem Dolch aus Drachenglas wartete, sollte Stunden dauern. Langsam stieg die Kälte der Erde durch ihre Stiefel in ihre Füße und Beine, weil sie sich nicht bewegte. In einem Versuch sich selbst zu beruhigen, atmete sie tief ein und aus, doch das allein half nichts mehr.

Der Nordwind machte sich auf und blies durch die Burg. Die Flammen tanzten durch seine Kraft und er trieb mit seinem eisigen Biss Tränen in manche Augen. Die Banner flatterten in seiner Melodie. Im Himmel waren Flügelschläge zu hören, die versuchten, seine zerstörerische Macht zu bändigend. Mit ihm trug er ein Kreischen, das die Knochen bis aufs Mark erschütterte, denn es war weder menschlich noch von einem Tier. Es stammte von einer Bestie und es wurde immer lauter.

Schreie von Männern setzten ein. Schreie der Angst und des Todes, Stimmen, die nach und nach verstummten. Hier und da hörte man Eisen auf Eisen treffen, doch die pure Angst der tapferen Männer überlagerte alles. Kurz darauf wurde es hell, sodass man einen von Daenerys Drachen in den Lüften sehen konnte. Es roch nach verbranntem Holz und Öl, was bedeutete, man hatte die Gräben entzündet. Innerhalb der Burg wusste niemand, wie weit die Wiedergänger bereits vorgedrungen waren, doch das große Feuer war alles andere, als ein gutes Zeichen.

Als die Schreie der Lebenden und der Toten immer lauter wurden, hörte man zwischendurch Pfeile zischen. Wenn die Bogenschützen ihren Beschuss bereits starteten, konnten die Wiedergänger höchstens zweihundert Meter entfernt sein, was bedeutete, nicht einmal die brennenden Gräben konnten sie aufhalten.

Die Geräusche wurden irgendwann viel lauter. So laut, dass sich Lyanna sicher war, dass sie die Außenmauern bereits berühren konnten. Sie sah um sich und merkte sich jede einzelne Möglichkeit, von der aus man sie angreifen konnte. Sie bereitete sich darauf vor, dass aus jeder Tür und aus jedem Durchgang eines dieser Monster kommen konnte.

Sie hörten immer mehr Schreie und immer öfter wurde der Himmel durch Feuer erhellt. Dann klopfte es an dem großen Tor. Von draußen baten die Menschen verzweifelt um Einlass, ein Rückzug war nötig. Soldaten öffneten ihnen das Tor und sie stürmten hinein. Sie drangen immer weiter in die Burg vor und verschanzten sich auf den Mauern oder schlossen sich der Truppe von Lyanna Lannister und Lyanna Mormont an. Die Unbefleckten sammelten sich vor dem Tor und befahlen, es wieder zu schließen.

Während die Nacht von Qualen erfüllt war, dachte Lyanna, es wäre vorbei. Trotzdem würde sie nicht aufgeben, denn würde sie es tun, würde sie mit Sicherheit sterben. Sie mussten Stand halten, sie musste Stand halten. Doch bereits kurze Zeit nach dem Rückzug überwanden die ersten Wiedergänger die Mauer. Damit wurde nun auch innerhalb der Burg gekämpft. Wie eine Flutwelle strömten die Lakaien des Nachtkönigs über die Mauern, wo sie selbst das Drachenglas auf den Zinnen nicht mehr aufhielt.

Mit zwei Schlägen durchbrach schlussendlich ein untoter Riese das Tor, was bedeutete, dass er und seine Gefährten auf Lyanna und ihre Truppe zukam. Lyanna Mormont war vermutlich die mutigste unter ihnen, denn sie stellte sich dem Riesen, auch wenn er sie an die nächste Wand schlug, als wäre sie nichts. Die menschlicheren Wiedergänger stürzten sich indes auf die anderen, womit Lyanna die Gelegenheit bekam, sich zu wehren.

Einem der lebenden Skelette stach sie mit ausgestrecktem Arm direkt in die Brust, ein anderes erwischte sie am Schädel. Als der dritte zu Boden ging, bemerkte Lyanna die unglaubliche Willensstärke ihrer Namensvetterin, die trotz schwerer Verletzungen erneut den Riesen angriff. Doch der nahm sie in seiner Hand nur hoch, bevor er sie so fest zusammendrückte, dass er diese junge, tapfere Mädchen zerdrückte. Bevor sie jedoch starb, stach sie ihm ihren Dolch aus Drachenglas in sein trübes, blaues Auge, womit sie ihn tötete.

Immer mehr Untote liefen in den Burghof. Auch wenn mittlerweile mehr Menschen dort kämpften, wurden sie regelrecht überrannt, weshalb Lyanna auch zu Boden stürzte. Ein Untoter stolperte und landeten auf ihr, doch da sie noch ihren Dolch bei sich hatte, tötete sie ihn sofort. Als sie wieder aufstehen wollte, erkannte sie, wie wenig Kraft sie noch übrighatte und wie schwer dieser Haufen Knochen war. Sie beschloss deshalb, für einen kurzen Moment liegen zu bleiben, um ihre Kraft wieder zu sammeln, aber als sie wieder aufstehen wollte, war es auf einmal still. Unheimlich still, wie zuvor. Schnell warf sie vom Adrenalin getrieben die Knochen von ihrer Brust und floh tiefer ins Innere der Burg.

Als sie weglief, bemerkte sie plötzlich, dass ihr Dolch noch in der Brust des einen Wiedergängers steckte, weshalb sie in der kleinen Waffenkammer neben dem Tor zum Götterhain ein neues Stück Drachenglas holen wollte.

Leise schloss sie die Tür auf und fing vorsichtig an, im Dunkeln nach Drachenglas zu suchen. Als sie draußen Schritte hörte, lugte sie durch den Türspalt. Sie konnte erkennen, wie Männer mit blauen Gesichtern den Götterhain betraten. Einem wuchsen spitze Hörner aus dem Kopf, weshalb ihn Lyanna als den Nachtkönig selbst erkannte. Schnell zählte sie zusammen, dass er Bran töten würde, weshalb sie sich an das Versprechen erinnerte, das sie ihrem Vater einst in einem Verließ im Roten Bergfried gab. Ihr wurde klar, sie musste ihren Bruder beschützten. Wenn es sein musste, dann sogar mit ihrem Leben.

The Red Wolf of the NorthWo Geschichten leben. Entdecke jetzt