Wenn der Wahn dich ruft

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Es ist Nacht. Die Melodie der Kassette, die er sich zur Nacht einlegte, spielte schon lange nicht mehr und eine kühle Szenerie umgibt ihn, dass er seinen eigenen Herzschlag vernimmt, rasend und schwer. Ein weiterer von vielen vergangenen Albträumen. Eben hochgeschreckt blickt er sich nun um, nichts besonders zu sehen. Die kleine Kommode zur linken seines Bettes war leer, nur die sich sonst darauf befindlichen Sachen liegen dort, einige Bücher und Skizzenhefte, der große Schrank zur anderen ist noch zu. Das Regal über ihm ist noch immer verkramt, an seinen Wänden hingen keine verzogenen Fratzen der eigentlich herzhaften Familienportraits und auch sie selbst waren frei von den üblichen Schattenspielen der Schauergestalten, die es sich sonst in den vorderen Ecken seines Zimmers nahe der mittlerweile verwelkten Zimmerpflanze neben der Tür bequem gemacht hatten und ihn nun grinsend dabei zusahen, wie er sich vergebens selbst zum Aufwachen zwang. Seine häufigste Gesellschaft: Kleine, gräuliche Umrisse dürrer Gestalten, nicht größer als das Nachtlicht auf seinem kleinen Tisch, der neben seinem Bett stand, dass ihn vor jenen schützen sollte, in sich zerfallend mit langen willkürlich wuchernden Auswüchsen von dem, was einmal Glieder hätten werden sollen, breiten Mäulern und leeren Augen. Stumm sind sie und beobachteten ihn seit einigen Wochen. Wenn nicht sie, dann jemand anders. Ob Flüstern oder Knurren, Schleichen oder Knarzen, sichtbar oder nicht, seine Nächte teilte er sich bereits seit längerer Zeit mit den Ängsten seines Unterbewusstseins. Es nagt an seiner Kraft. Jede Nacht das gleiche. Manchmal geht es schnell vorüber, manchmal aber fühlt es sich an, als hätte er eine Ewigkeit gewacht. Langsam steht er auf und schleicht zu seinem Fenster. Behutsam fasst er an die Gardinen, noch zugezogen vom Abend, um ihn vor jenem zu verbergen, was auch immer dort lauern mag. Einen Moment zögert er, reißt sie jedoch, auf alles gefasst was ihn erwarten möge, im nächsten weit auf. Nichts. Es ist noch verriegelt. Er schaut hinaus. Nicht weit entfernt von dem kleinen Haus, in dem er mit seinem Vater lebt, führt die Straße, die er jeden Tag abläuft, um seinen Bus zu kriegen. Längst ein vergebener Versuch. Selbst wenn er dann mal nicht seinen Wecker verschläft. Die goldbraun gefärbten Blätter der Bäume und des Gebüsches rauschen leicht im Wind. Einige fallen zu Boden. Er spürt wie sein Herzschlag sich beruhigt. Es scheint alles gut zu sein. Um sicher zu gehen, begibt er sich zur Tür, die ihm sonst verschlossen war. Er hatte es mehrfach versucht, doch jedes Mal wenn er eine Flucht antrat, war sie wie festgeschweißt und bewegte sich keinen Millimeter. Er legt seine Hand auf den Türgriff, vorsichtig und tatsächlich, sie lässt sich bewegen. Behutsam drückt er die kühle Klinke herunter und öffnet seine Tür, die sein Zimmer vom kleinen mit wohligem Beige ausgekleideten Flur des oberen Stockwerks trennt, in dem kleine Lämpchen und die fein gemalten Gemälden, die seine Mutter früher in aller Sorgfalt anfertigte, hängen. Abbilder bereits vergangener Frühlingstage, farbenfroher als jeder Blumenstrauß es je hätte sein können. Oft sah er ihr dabei zu wie sie in aller Ruhe jedes einzelne Blütenblatt, dass ihr die Blumenpracht ihres kleinen Gartens darbot, in ihrer Kunst einfing. Tulpen, Veilchen, Osterglocken und Narzissen, selbst den unscheinbaren Margeriten waren ihr ihre Farben nie zu schade. Versunken in seinen Erinnerungen hellt ein gequältes Quietschen auf und wird immer lauter, dann wieder leiser, bis es verstummt. Er blickt nach vorne, langsam macht sich ein ungutes Gefühl in ihm breit, bis ihn die Anspannung wieder völlig starr zurücklässt. Die sonst beige Wand war nun karg weiß und behangen mit alten von roten Schirmen gezierten Wandlampen, die einen weiten gelben Lichtschein warfen und erst die wahre Gestalt des Ganges enthüllten. Langsam musterte er seine neue Umgebung. Zu seiner linken war ein langer Korridor mit dunklem Boden, beinahe endlos, doch in der Ferne unterbrochen durch einen weiteren Gang und letztlich abgeschlossen durch eine dunkel schimmernde Tür. Rechts von ihm eine weitere. Dort, wo sich einst eine Reihe musischer Bilder erstreckte, war nun in Abwechslung mit den Lichtern eine regelrechte Ballung von Türen, hölzern und mit braunem Lack verziert. Sie lassen sich von seiner kaum unterscheiden, abgesehen von einem, die seine ist bereits etwas abgesplittert. Einen kurzen Moment steht er wie festgenagelt und schaut einfach auf das vor ihm Liegende. Seine Gedanken kreisen in ihm, war er doch noch in einem seiner Träume? Nur wenige Augenblicke blieben ihm, bis er schlagartig aus seinen Gedanken gerissen wird. Mit seinem letzten Wimpernschlag erdröhnte ein dumpfer, beinahe schmerzverzehrter Schrei, zu weit entfernt, um seinen Ursprung zu orten, und zog durch die Hallen des Hauses. Für einen kurzen Moment hält er inne. Seine Fingernägel krallen in eine Handflächen als er sie fest zusammenballt. Keinen Muskel wagt er zu bewegen. Einige Sekunden später ertönt ein zweites Geräusch, nun vielmehr einem Gebrüll gleichend, aggressiver und deutlich näher. Nah genug, um zu wissen, dass was auch immer das war, bald bei ihm sein und ihn finden würde, würde er weiter an der Türschwelle verharren. Wie von selbst macht sein Körper einen hektischen Schritt zurück, greift die Tür und lässt sie zurück in die Angeln knallen. Selbst erschreckt vom lauten Hall dieser dreht er sich um und flüchtet zurück in sein Zimmer. Panik macht sich in ihm breit. Er rennt zu seinem Fenster, um es zu öffnen, doch es ist fest verschlossen. Er schaut noch einmal genauer durch die Gläser, welche der Beschlag langsam wieder freigab. Weder Straße noch Bäume standen an ihrem Platz, nur eine ewige Fläche erstreckte sich weiter und weiter, wilde Pflanzen wucherten überall und der Horizont in einem Wald mündend, der so finster schimmert, dass nicht einmal das Mondlicht es wagt, ihn zu durchdringen, war kaum noch zu sehen. Er greift seinen Kopf, seine Atmung wird schwerer. Mit einem kurzen Ruck schlägt er sich selbst gegen den Kopf, erst leicht, doch irgendwann so stark, dass es ihm noch lange nach dem Aufprall Schwindel bereitet. Befreien konnte er von diesem perfiden Streich seiner Fantasie sich damit allerdings nicht. In seiner Verzweiflung eilt er zu seinem Schreibtisch herüber und greift einen der Stifte, die sich auf ihm befanden. Kurz zögert er, doch dann rammt er ihn in seinen Handrücken. Wie ein Pfeil durchbohrt ihn der Schmerz, dass ihm der Stift aus der Hand fällt und ein verzweifeltes Geschrei entweicht. Schließlich ist er wieder an der anderen Seite seines Zimmers angekommen, wo er zuvor behutsam schlief. Sein Rücken drückt gegen die Wand, während er sich langsam niederlässt und letztendlich zusammengekauert seinen Kopf zwischen die Arme drängt, mit denen er fest seine Beine an sich zieht. Doch seine Augen vermag er dennoch nicht zu schließen. Mit einem Ruck schlägt er seinen Hinterkopf gegen die Wand, immer und immer wieder. Kurz darauf schaut er an seinen Körper herunter. Der Schweiß läuft ihm bis zur Fußsohle hinunter. Es ist eiskalt, so kalt wie nie zuvor. Er greift sich an die Brust, sein Herz drückt unregelmäßig schnell gegen seine Handfläche, sei es dem Stress oder seinem Atem zuschulden, den er krampfhaft versuchte zu kontrolliere. Nun holen auch die Tränen seine Schmerzen immer mehr ein, erst eine, dann zwei, bis sie schließlich über seine Wange laufend auf seine Knie abprallen. Langsam wird es wieder still. Hoffnungslos schaut er auf seine Hand. Diesmal scheint er nicht aufzuwachen, egal was er versucht. 

Die Echos der TraumfalleWo Geschichten leben. Entdecke jetzt