Kapitel 8

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„Amelia, was ist denn los? Habe ich irgendwas erwähnt, das dich aufgewühlt hat?" „Nein, alles gut. Ich versuche nur gerade meine Gedanken zu sortieren. Wieso wollten Sie ursprünglich wissen, ob ich mal verliebt war?" Frau Smith scheint sichtlich besorgt zu sein und zudem verwirrt von meiner Ablenkung, geht darauf aber nicht länger ein. „Solche immensen Gefühle können auch zur Wut beitragen, wobei egal ist, ob diese erwidert werden oder nicht. Kein Gefühl ist stärker als Liebe und kann damit auch den meisten Schaden anrichten. Ich habe Tomas kennengelernt als er noch mit einer anderen Frau zusammen war und wusste davon anfangs nichts, weil er seine damalige Freundin nie erwähnt hat. Als ich es dann aber wusste, ist die Eifersucht buchstäblich mit mir durchgegangen und ich habe dadurch viel Leid erfahren. Daher ist es nicht verkehrt zu wissen, ob du eventuell Ähnliches erfahren könntest und ich würde dir diesen Schmerz gerne erspart lassen." Gerade als ich etwas auf die Worte meiner Lehrerin erwidern möchte, fällt die Tür ins Schloss und kurze Zeit später folgen Schritte, die Richtung Wohnzimmer kommen. Frau Smith und ich richten unseren Blick auf Tomas, der uns überrascht anschaut und mich anschließend begrüßt: „Hallo Amelia, schön dich wiederzusehen." Ich lächele lediglich und schaue dabei zu, wie er seiner Frau einen Kuss auf die Lippen haucht. Augenblicklich zieht sich mein Herz schmerzlich zusammen und ich muss an die letzten Worte meiner Lehrerin denken; ich würde dir diesen Schmerz gerne erspart lassen. Dafür ist es wohl zu spät. „Ich hoffe es stört dich nicht, dass Amelia wieder hier ist. Wir wollten nochmal ein bisschen quatschen und das kann man hier eben ungestört." „Quatsch Schatz! Wir haben das Thema ausgiebig diskutiert und du kennst deine Grenzen am besten. Davon abgesehen kann es nicht schaden, dass du dich nach all den Jahren mit einer anderen Person austauschen kannst. Insofern es in einem angemessenen Rahmen bleibt." Frau Smith nickt zustimmend und wendet sich anschließend wieder mir zu: „Soll ich dich fahren?" Kurz überrascht mich diese plötzliche Aufbruchsstimmung, doch gleichzeitig kann ich nachvollziehen, dass sie nun den restlichen Nachmittag mit ihrem Mann genießen möchte. Allerdings habe ich insgeheim Angst davor nun mit all meinen Gefühlen und neuen Erkenntnissen alleine zu sein. Trotzdem schüttel ich den Kopf: „Nein, ich werde den Bus nehmen. Aber danke für das nette Angebot und für Ihre Hilfe."

Wie erwartet holen mich zuhause die Ereignisse des Tages ein und ehe diese Besitz von mir ergreifen können, nehme ich eine meiner Beruhigungstabletten. Ich habe diese lange nicht mehr genommen und kämpfe einerseits mit dieser harten Erkenntnis, da ich langsam tatsächlich wieder in alte Muster falle. Wird es wieder wie früher oder gar schlimmer? Werde ich wieder zum Alkohol greifen, wenn meine Gedanken nicht schweigen wollen? Möglicherweise war es ein Fehler, dass ich meiner Lehrerin vertraut habe und sie in mein Leben gelassen habe. Hätte ich Gefühle dieser Art verhindern können? Habe ich mich wirklich im Frau Smith verliebt? Ja, ich habe Schmetterlinge im Bauch, mein Herz schlägt bei ihr um einiges schneller und es macht mich verrückt, dass sie einen anderen an ihrer Seite hat. Aber bin ich denn wirklich verliebt? Das kann und darf nicht sein. Sie selbst hat mir heute eröffnet, wie sehr man mit Liebeskummer kämpft und dieser würde auf mich zukommen, denn schließlich kann sie diese Gefühle nicht erwidern. Sie wird immer nur meine verheiratete Lehrerin sein. Während meine Gedanken immer weiter kreisen, bemerke ich wie mir nun Tränen über die Wangen laufen, die wohl Antwort genug sind; ich habe Gefühle für Frau Smith. Was wird nun aus dieser Tatsache resultieren? Was mache ich damit? Diese ganzen offenen Fragen, auf die ich keine Antwort finde und die Tatsache an sich sorgt dafür, dass nun trotz Tablette Wut in mir aufsteigt, die sich rasch steigert. Ich laufe also auf und ab durch mein Zimmer, versuche mich irgendwie abzulenken, scheitere jedoch kläglich. Jedesmal treffe ich auf die grünen Augen, die beim Lächeln so unglaublich schön strahlen und ehe ich mich versehe, schlage ich mehrmals gegen meine Wand und erschrecke, als diese allmählich einen roten Ton annimmt. Sofort schaue ich auf meine Faust, die nicht nur geschwollen, sondern auch blutig ist und fange nun auch an zu weinen. Was mache ich hier bloß. Weinend lasse ich mich auf den Boden senken und schaue erst wieder auf als sich meine Tür öffnet. „Oh Kleines, was ist denn los?", kommt es hörbar besorgt von meiner Mutter, die sich nun neben mich kniet und fest in den Arm nimmt. Anstatt ihr zu antworten, lege ich meinen Kopf auf ihre Schulter und lasse meinen Gefühlen freien Lauf, was mir erneut die klare Wahrheit vor Augen führt; es fängt nicht nur wieder an, sondern tritt auch noch in einer ganzen anderen Art und Weise auf. Auf eine schlimmere. „Komm mit ins Bad. Wir müssen uns um deine Hand kümmern.", sagt meine Mutter eine Weile später und begleitet mich kurzerhand, um meine Hand zu reinigen und anschließend zu verbinden. „Magst du mir den Auslöser verraten?" Während die Tränen noch immer über meine Wangen laufen, schüttel ich entschieden den Kopf und bin froh, dass sie es akzeptiert und mir deswegen nicht böse ist. Aber ich bin einfach nicht bereit darüber zu reden, was für solche Ausbrüche sorgt. Daher verabschiede ich mich nun ins Bett und kann, zum Glück, auch schnell in einem traumlosen Schlaf fallen.

Unerreichbar nah / {txs}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt