-25- Vom Finden und Verlieren II

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Während Asir redete, blieb ich nicht stehen, sondern lief weiter, Stufe um Stufe, ohne ihm den Rücken zuzudrehen. „Die nächste was?" Die Worte verließen meinen Mund stoßweise.

Auf der letzten Stufe blieb ich stehen und sah ihn an. Ich wusste, was er meinte, doch erlaubte mir den Gedanken nicht näher, schob ihn weg, bevor dieses neue Muster zu viel Raum einnahm. Zu vertraut wurde.

Er nickte nur. Auch er blieb stehen, richtete seine Aufmerksamkeit auf mich. Ich kannte diese Situation. Wir hatten schon einmal so dagestanden. Nein, ich würde nicht alles zu Staub zerfallen lassen. Ihn nicht und die Welten auch nicht. Ich würde Arokin nicht in sein Verderben rennen lassen. Auch, wenn ich noch immer nicht wusste, wie ich jemandem helfen konnte, der sich nicht helfen lassen wollte.

Ich blinzelte, schüttelte diesen unglaublichen Gedanken, der sich trotz allem schon so lange in meinem Hinterkopf befand, ab. Verstaute ihn wieder zu diesem Baum, bei dem ich es das erste Mal gefühlt hatte. Diese Macht. „Ich bin die, die fallengelassen wurde."

Er sah mich nur weiter an, bevor er langsam den Kopf schüttelte. Plötzlich war ich mir da nicht mehr sicher. Hatten sich meine Freunde von mir abgewandt oder ich von ihnen? Sowohl als auch. Ich hatte Angst gehabt, nach Olivias Tod wieder verlassen zu werden, also schütze ich mich, indem ich sie zuerst verließ. „Sie ... sie hat sich nochmal gemeldet. Aber ich habe nicht mehr reagiert..." Ich flüsterte und wagte nicht, ihren Namen auszusprechen. Vicky. Eine Freundin, die ich fast so lange wie Lina kannte. Ich hatte sie weggeschubst, als sie mir eine Hand hinhielt, um mir aus meinem Loch zu helfen. Ich hatte es verdrängt.

Jetzt erkennst du es. Auch, warum nur du Arokin zur Vernunft bringen kannst.

Weil ich auch Menschen verlassen habe, dachte ich. Pure Angst macht blind, genau wie Trauer. Lina war die Einzige gewesen, die sich nicht wegschubsen ließ. Und durch sie war ich zwangsläufig mit Henry und Ben in Kontakt gekommen. Wo wäre ich ohne sie gelandet?

Keine Zeit, Bedenken zu haben. Zu viel stand auf dem Spiel.

Ich machte einen Schritt. Auf Asir zu. Weitere folgten. Überwand die Stufen, die uns trennten. Die Euphorie gewann.

Ich musste damit aufhören, die Leute um mich herum von mir zu stoßen. Es brachte nichts, außer Einsamkeit. Wie hatte ich auch nur für eine Sekunde denken können, dass ich ohne ihn besser dran wäre? Das entsprach nicht der Wahrheit.

Ich wollte ihn nicht gehen lassen. Niemals wieder.

Eine Stufe über ihm blieb ich stehen, sodass unsere Augen fast auf einer Höhe lagen. Ein ganzes Universum lag darin, über und über ausgefüllt mit funkelnden Sternen. Eine Unendlichkeit, die mich in sich zog und ausfüllte. Von der ich jeden Winkel kennenlernen wollte.

Ich spürte ihn bereits mit jeder Zelle meines Körpers, bevor ich meine Arme um ihn schlang. Einen langen Herzschlag lang rührte er sich nicht, als habe er Angst, mich aufzuschrecken wie ein scheues Reh. Dabei wünschte ich mir nichts sehnlicher, als dass er die Geste erwiderte. Es passierte nicht.

Ein weiterer Herzschlag verging, der durch meinen Körper hallte, bevor Asir mich an sich zog. Ich schloss die Augen, während meine Wange an seiner lag. „Danke, dass du mich nicht aufgegeben hast und dafür, dass du mich gerettet hast." Ich klang kleinlaut.

„Gerne." Das Wort hallte sanft durch die Luft.

Das war keine Umarmung, die einen von uns stützen wollte. Dies hier war ein Einkehren an einen Ort, an dem wir schon immer sein wollten. Mir war egal, was alles schieflief. Meine Welt war in Ordnung. So in Ordnung, wie sie es noch nie gewesen war.

Eine ganze Weile standen wir so da und sagten nichts mehr. Bald glich sich unser Atemrhythmus dem des anderen an. Genau so sollte es sein. Eine Einheit. Das Puzzle, in das ich passte. Mit ihm konnte ich alles schaffen. Nichts und niemand würde uns davon abhalten, unser Ziel zu erreichen.

Lihambra - Geheimnis der RabenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt