Kapitel 30:

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So kam ich also in mein neues Heim.
Mein ursprünglicher Plan war es, so viel wie möglich, über meinen Großvater herauszufinden. Seine Gewohnheiten, sein Tagesablauf, seine mehr und weniger zwielichtigen Geschäfte und vor allem, wie und mit wessen Hilfe er meine Schwester überwachte.
Das alles hatte nur einen Haken und der kam in Gestalt einer kleinen Chinesin, die mir ohne es zu versuchen das Leben adäquat zur Hölle machte. Jedenfalls für eine gewisse Zeit.

Im Übrigen bezog sich der Begriff „klein" wirklich auf ihre Körpergröße, auch wenn ihr ganzer Stil - oder vielmehr ihre ganze Person - das Gegenteil schrie.
Mein Großvater verlangte nicht viel von mir, seit ich in dieses Haus gekommen war, aber jeden Tag für vier Stunden sollte ich trainieren. Ich konnte nicht genau sagen, was ich alles trainierte, denn zu Beginn durfte ich irgendwie alles machen. Normale Matial Arts aus verschiedensten Bereichen, gepaart mit Übungen für Kraft, Gleichgewicht und innere Ruhe.
Letzteres fand ich noch ganz okay.

Als ich am ersten Tag am „Trainingsgarten" ankam, stand meine Trainerin auf einem wackeligen Stein in mitten des künstlich angelegten Bächleins und vollführte eine Yoga-Pose auf einem Bein, von der ich schon beim Zuschauen einen Krampf bekam.
»Hallo!« sagte sie fröhlich, jedoch ohne mir die geringste Aufmerksamkeit zu schenken.
Ihre Haare waren zu zwei lustigen Zöpfen gebunden, die von schwarz in ein etwas schlecht gefärbtes, grelles Pink übergingen und ihre Kleidung wirkte zwar sportlich, aber ebenfalls keineswegs unauffällig mit pinkem T-Shirt auf dem mit glitzernder Schrift „Kitty-Cat" eingraviert war und passender Short, die am Beinende in Rüschen aufging.
Normalerweise achtete ich weniger auf die Mode anderer, es sei denn sie war sehr schön, oder... was immer das sein sollte.

»Ähm Hallo.« gab ich etwas misstrauisch zurück, während sie in einer langsamen und flüssigen Bewegung die Pose änderte.
»Willst du mich nicht fragen, wie ich heiße?« führte sie unseren etwas holprigen Kommunikationsaufbau fort.
»Wie heißt du?« fragte ich wunschgemäß.
»Muss man dir eigentlich alle Fragen aus der Nase ziehen?« entgegnete sie dann, ohne die Frage einzugehen.
»Muss man dir die Antworten rausziehen?« konterte ich.
Sie kicherte.
»Nur, wenn die Leute nicht eigenständig auf die Idee kommen mit mir zu sprechen, obwohl sie mich schon eine ganze Weile stumm anstarren.«
»Ach, passiert dir das häufig?« fragte ich etwas sarkastisch und unterzog sie einer erneuten Musterung.
Jetzt drehte sie ihren Kopf zu mir, grinste und tappte in einer mühelosen Bewegung vom Stein auf mich zu.
»Heute bist du die Erste, Misaki Hashiwara.«

»Oho, du kennst meinen Namen, also schon.« stellte ich fest und war mir nicht sicher, ob das was Gutes war.
»Jeder kennt deinen Namen.« sie streckte den Zeigefinger aus und tippte mir spielerisch auf die Nase. »Aber ich bin jetzt eine der wenigen, die auch das Gesicht dazu haben.«
»Gruselig.« bemerkte ich abweisend und machte vorsichtshalber einen Sicherheitsschritt nach hinten.
»Ach, mach ich dir jetzt schon Angst? Dabei sehe ich doch so harmlos aus.«
Sie legte beide Hände flach an ihre Wangen, als wolle sie dadurch niedlich aussehen. Nur war da irgendetwas an ihrem Gesicht, dass ihr diese Geste nicht so ganz abnahm.

»Du bist meine Trainerin, nehme ich an. Ein wenig Angst darf ich wohl haben.« entgegnete ich daher.
Diese Aussage schien sie zu belustigen.
»Na schön, na schön, Mimi-chan!« Als sie meinen Namen so sagte, zuckte ich kaum unmerklich zusammen. Ist es Zufall, dass sie meinen Spitznamen von meiner Schwester nutzt? »Dann machen wir dir mal ein wenig Angst.«
Sie ging gerade in eine Angriffshaltung, da hob ich schnell abwehrend die Hand.
»Sagst du mir deinen Namen jetzt noch?«
»Wo wäre denn dann der Spaß, Mimi-chan?« sie kicherte. »Wie wärs damit: Triff mich und ich sage ihn dir?«
Und auch wenn ich mir beinahe sicher war, dass das nach hinten losgehen würde, nahm ich bedingungslos an und ahmte sofort ihre Haltung nach. Kaum eine Sekunde später, wurde ich in das Gras gedrückt und hatte nebenbei bestimmt auch noch fiese blaue Flecke kassiert.

Nur ein Mensch (Satoru GojoxOC)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt