Halt - Paul

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Er war kaum noch anwesend.
Man bekam ihn kaum noch zu Gesicht.
Es waren bereits 6 Wochen vergangen, in denen sich Richard einsperrte.
Er reagierte kam auf Nachrichten und Anrufe.
Bis jetzt.
Morgen stand unser Konzert in Chorzów, Polen an. Wir fuhren gleich über Nacht mit unserem Tourbus nach Katowice. Dort waren wir für einen kurzen Halt in einem Hotel untergebracht.
Wir rechneten garnicht damit, dass Richard mit uns im Tourbus fährt. Eher gingen wir davon aus, dass er auf den letzten Drücker mit dem Flugzeug anreiste.
Es war traurig, und keiner war begeistert von seiner Abwesenheit der letzten Zeit. Jedoch waren wir alles eigenständige Menschen.
Wir konnten es ihm nicht verbieten.
Und wir kannten es auch von Till.
Wenn ein neuer Songtext entstand, brauchte er Ruhe.
Daher hatte dieser auch am meisten Verständnis für unseren Gitarristen.
Ich war traurig. Fast enttäuscht.
Denn neben den Konzerten hatte auch ich mit privaten Problemen zu kämpfen.
Meine Tochter befand sich in psychologischer Behandlung und lernte, zum Glück, innerhalb kürzester Zeit schon, ihre Sexualität zu akzeptieren.
Vor 3 Tagen outete sie sich ganz freiwillig von selbst.
Ihr ging es damit gut.
Wäre Richard für mich da gewesen, wäre die Situation anders gekommen?
Ich war immerhin auch für ihn da.
Glücklicherweise halfen mir die anderen Jungs in der Zeit.
Wir stiegen allesamt in den Tourbus ein.
Ohne Begrüßung seitens Richard. Dieser telefonierte wütend mit Juliet, wie man dem Gesprächsverlauf entnehmen konnte.
„Ich habe ein Recht auf dem Umgang! Es ist mein Sohn, verdammte Scheiße!"
Brüllte er in den Hörer.
Ich seufzte.
Ich wusste, dass es so kommen würde.
Till streckte seine Hand zu Richards Hand, in der sein Handy lag, aus und legte den Kopf schief.
Richard starrt ihn an, gab ihm dann aber das Handy ohne Widerworte.
„Juliet, Ich bin's, Till".
Er ging in Richtung Schlafzimmer und sperrte die Tür hinter sich zu.
Unser Nightliner war aufgebaut wie eine kleine, luxuriöse Wohnung.
Im hinteren Bereich befanden sich die Hochbetten, davor ein kleiner Flur mit Badezimmer, und davor unsere Lounge mit kleiner Küche, in der wir die meiste Zeit verbrachten.
Die Innenkabine war vom Busfahrer nicht einsehbar, geschweige denn, konnte man etwas hören. Wir waren komplett allein.
Ich genoss solche Touren mehr, als welche, die wir mit dem Jet zurücklegen mussten.
„Ist alles in Ordnung?" fragte ich Richard besorgt.
Er lachte lautlos auf.
„Sie weigert sich, mich zu sehen, fordert aber jetzt schon eine ganze Menge Kohle." sagte er.
„Das war ja klar." Olli rollte mit den Augen.
„Warum willst du sie sehen?" bohrte Flake nach.
„Ich möchte gern über die Schwangerschaft auf dem laufenden gehalten werden. Ich möchte wissen, ob es unserem Sohn gut geht. Und ich bin auch an einem guten Verhältnis interessiert". Seufzte Richard.
Wir hörten uns seine Sorgen ruhig an.
„Sie trinkt so viel Alkohol. Ich hoffe, dass das keine negativen Auswirkungen auf die Gesundheit meines Sohnes hat."
Er schaute zu Boden.
Ich wollte gern etwas sagen, wusste aber, dass Alkohol in der Schwangerschaft nicht gut zu reden war.
Till kam zurück mit Richards Handy in der Hand.
„Keine Chance. Sie will sich nicht treffen."

„Ich geh pennen" sagte Schneider.
Flake und Olli folgten ihm gähnend Richtung Schlafabteil.
„Schön dich wieder zu sehen" sagte ich und schaute Richard in die Augen.
Er grinste und holte aus seiner Gesäßtasche einen gefalteten Zettel heraus.
„Lies mal."
Er gab mir den Zettel und ich faltete ihn auseinander.
Ich begann zu lesen.
Ich verlor mich in den Zeilen und mir stand die Kinnlade offen, als ich am Ende des Liedes angekommen war.
Till riss mir den Zettel aus der Hand und tat meinesgleichen.
„Richard, das ist brillant!" feierte er euphorisch.
Mit einem Mal war die Enttäuschung über die verlorenen sechs Wochen verloren.
Richard war fertig und wieder ganz der alte.
Es würde ein guter Song werden. Da waren wir uns sicher.

#Paulchard - Mein Herz brennt! Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt