Kapitel 6: Unausgesprochene Sehnsüchte

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Die drei Tage vergingen, und Carlisle kam mindestens zweimal täglich in mein Zimmer. Jedes Mal lächelte er sanft und notierte sich etwas, bevor er wieder ging. Am vierten Tag kam er früh und berichtete mir, dass ich am Nachmittag entlassen werden würde. Das EKG war endlich abgestellt, und auch die Infusion war entfernt worden. Das monotone Piepen des Herzmonitors, das meinen beschleunigten Herzschlag bei Carlisles Anblick verraten hatte, war verstummt. Ich hatte dieses Ding gehasst, aber Carlisle hatte das Piepsen immer nur mit einem sanften Lächeln kommentiert.

Langsam stand ich auf, wie schon in den letzten Tagen, und bemühte mich, tief durchzuatmen. Meine Sachen lagen ordentlich in einer Tasche gepackt bereit. Als ich aus dem Zimmer trat, musste ich schmunzeln. Zimmer 394 - wie passend, dachte ich. Das Zitat aus Harry Potter und der Halbblutprinz kam mir in den Sinn: "Turn to page 394." Ich war fast an den Aufzügen angekommen, als sich die Türen öffneten - und da stand Carlisle.

Er lächelte sanft. „Willst du noch einsteigen, oder lieber die Treppe nehmen?" Seine Stimme riss mich aus meiner Starre. Verlegen trat ich ein und stellte mich an die gegenüberliegende Wand. Die Türen schlossen sich langsam, und ich wünschte, sie würden sich schneller schließen, damit dieses seltsame Gefühl der Erwartung verging.

„Freust du dich, endlich rauszukommen?" fragte Carlisle mit einem Grinsen.

„Oh ja, sehr," antwortete ich. „Krankenhäuser sind nicht wirklich mein Ding. Der Geruch..."

Er nickte, und in dem Moment passierte etwas Seltsames. Seine Augen veränderten sich, wurden dunkler, intensiver, und sein Blick haftete an mir. Ohne zu wissen, wie, stand er plötzlich direkt vor mir. Sein Gesicht war so nah, dass unsere Nasen sich fast berührten.

Meine rechte Hand hob sich wie von selbst und strich über seine Haare. Seine Haare fühlten sich weich an, fast wie Seide. Unsere Blicke trafen sich, und für einen Moment vergaß ich alles um mich herum. Es war, als würde uns eine unsichtbare Kraft zueinander ziehen. Ich konnte kaum atmen, so intensiv war die Spannung zwischen uns. Dann öffneten sich die Türen wieder, und der Moment war vorbei.

„Ich bringe dich nach Hause," sagte Carlisle schnell, als hätte er sich ebenfalls von diesem Moment erholen müssen. Wir gingen zu seinem Auto, einem schicken Mercedes AMG, der so beeindruckend war wie er selbst. Er öffnete mir die Tür, und ich stieg ein. Während der Fahrt herrschte Stille, nur durchbrochen von gelegentlichen Blicken.

Als wir schließlich bei mir zu Hause ankamen, hielt er mir wieder die Tür auf. „Wir sehen uns, aber hoffentlich nicht wieder im Krankenhaus," sagte er lächelnd.

„Versprochen," antwortete ich und schloss die Tür hinter mir, während er davonfuhr.

Die nächsten drei Tage durfte ich zu Hause bleiben, um mich vollständig zu erholen. In dieser Zeit dachte ich viel über Carlisle nach und darüber, was im Fahrstuhl passiert war. Ein Teil von mir sehnte sich nach ihm, wollte ihn wiedersehen, aber ich war auch verwirrt über diese intensiven Gefühle, die ich nicht einordnen konnte.

Als ich schließlich wieder in die Schule zurückkehrte, stürzte sich Marie sofort auf mich. „Na, wie waren deine letzten Tage im Krankenhaus?" fragte sie neugierig.

Ich erzählte ihr fast alles, ließ aber die Szene im Fahrstuhl aus. Sie hätte es sowieso nicht verstanden. Die Woche verging, und ich kämpfte mich durch den Alltag, abgelenkt von meinen Gedanken an Carlisle. In den Pausen saß ich oft allein an meinem Lieblingsplatz und versuchte herauszufinden, was genau ich fühlte.

Die Cullen-Kinder schienen mir besonders aufmerksam zu sein, was mich nur noch mehr verunsicherte. Was würden sie wohl sagen, wenn sie wüssten, was zwischen ihrem Adoptivvater und mir im Fahrstuhl passiert war? Wahrscheinlich wären sie nicht besonders begeistert, und die Vorstellung, dass ich eventuell eine Konkurrenz zu Esme, ihrer Adoptivmutter, darstellen könnte, machte mir Angst.

Aber trotz aller Sorgen konnte ich nicht aufhören, an Carlisle zu denken.

Bis(s) in die Ewigkeit Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt