Vier

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Vier (Samstag 14. September 2013, Wolverhampton, England)

Gina:

Ich liebe Samstage. Sie sind perfekt. Ich meine am Freitag muss man noch Schule hat und am Sonntag denkt man schon wieder an den Montag. Aber am Samstag kann man machen, was man will.

Schon beim Aufwachen am Morgen fühle ich mich anders, besser, als in meinem ganzen vorherigen Leben. Ich bin entspannt und zu Hause. Wirklich zu Hause, nicht in Ipswich bei meinen Adoptiveltern. Diese waren außer sich gewesen, als ich ihnen erzählt hatte, dass ich nach Wolverhampton fahren wollte. Nur nach einem heftigen Streit mit Mike hatte ich es geschafft, fahren zu können, Und auch diesen Streit hatte ich nur gewonnen, weil ich ihm alles vorgeworfen hatte, was er falsch gemacht hatte, weil ich so wütend gewesen war und einfach nur weg wollte. Weg aus Ipswich. Meinen Koffer hatte ich gepackt bevor ich Mike über meine Pläne in Kenntnis gesetzt hatte, wobei ich davon ausgegangen war, dass ich vielleicht etwas länger bleiben konnte. Ich hatte außerdem am Abend ein ziemlich informatives Gespräch mit meiner Familie, bei dem sie mir erklärt hatten, warum ich nicht bei ihnen groß geworden war.

Als ich gestern am Bahnhof ankam wartete jedoch, anders als gedacht, niemand auf mich, weshalb ich meine Mom anrief. Im Telefonat sagte sie mir, dass Nicola, meine älteste Schwester mich am Bahnhof abholen würde, aber Leider nicht auf die Zeit geachtet hatte, so dass ich ein paar Minuten auf sie warten musste. Als sie ankam nahm sie mich als erstes zur Begrüßung in die Arme und drücke mich. Schon bei ihr fühlte ich mich wohl und wenn das schon bei ihr so war konnte es ja bei meinen Eltern nicht anders sein. Das war zu diesem Zeitpunkt mein Gedanke.

Ich hatte nicht Unrecht, denn alleine das Haus, in dem sie wohnten hatte eine besondere Ausstrahlung. Insofern, wie Häuser Ausstrahlung haben können. Meine Mom und mein Dad empfingen mich, wie sie es am Telefon versprochen hatten, mit offenen Armen, was mich ziemlich freute. Ich fühlte mich sofort, wie ein Teil der Familie.

Der Abend verlief ziemlich gut, bis ich meine Eltern darum bat mir zu erklären, warum sie drei Kinder behielten und mich nicht. Die darauf folgende Erklärung war ziemlich logisch, aber es tat dennoch etwas weh, dass ich die einzige gewesen war.

Sie erzählten mir, dass sie in dieser Zeit nicht viel Geld gehabt hatten und so dachten sie, dass wenigstens ich ein besseres Leben haben könnte. Sie erhofften sich das alle für mich, weil sie mich alle sehr geliebt hatten, vor allem Liam. Sie wollten einfach nicht, dass ich unter ihrer Finanziellen Lage leiden musste und hatten sich für mich einfach nur ein schönes Leben gewünscht, welches ich ja zumindest fast gehabt hatte. Als sie dann wieder mehr Geld hatten war ich bereits 13 und sie wollten mich nicht aus meinem gewohnten Umfeld reißen. Mein Leben wäre dann ja, genau wie jetzt, nicht mehr dasselbe gewesen. Sie hatten geglaubt, dass es einfacher für mich wäre, wenn ich es erst als Erwachsene heraus fand, es sei denn ich würde sie suchen, was ich ja dann auch getan hatte und so sind wir dann zu diesem Stand der Dinge gekommen. Ich hatte es von Mike heraus gefunden und war nach Wolverhampton gekommen.

Nach diesem Gespräch war ich auch relativ schnell ins Bett gegangen und habe bis jetzt sehr gut geschlafen. Ich bin gerade wach geworden, trotz der Müdigkeit, die sich in den letzten Tage angesammelt hatte, stehe ich auf, suche ich mir neue Klamotten aus meiner Tasche und gehe mit ihnen in der Hand ins Bad, um mich fertig zum machen. Ich trage eine Jeans und dazu ein etwas weiteres Shirt mit langen Armen.

 Danach gehe ich in die Küche, wo mich auch schon meine Mom erwartet. „Guten Morgen Süße, hast du gut geschlafen?" Ich fange sofort an noch stärker zu lächeln, als ich es eh schon den ganzen Morgen tue. „Ja habe ich. Kann ich dir noch irgendwie helfen?" Sie lächelt und nimmt mich erst mal in den Arm.„Ich habe dich so vermisst. Es tut mir so leid, ich habe dich doch so lieb." nuschelt sie irgendwo schräg über meinem Ohr. Ich bin den Tränen nahe, so etwas hat Isabelle nie zu mir gesagt. „Ich habe dich auch lieb, und ich-ich verstehe jetzt auch wieso ihr mich abgegeben habt." bringe ich mit zittriger Stimme hervor. Wir lösen uns voneinander und ich sehe, dass auch sie Tränen in den Augen hat. Um aus dieser Situation herauszukommen und damit ich nicht schon wieder anfange zu weinen, wende ich mich wieder an meine Frage zurück, ob ich ihr helfen könne. „Soll ich etwas raus tragen?" Frage ich sie sanft. Sie lächelt und gibt mir fünf Teller mit Besteck. „Decke bitte erst mal einfach den Tisch, Geoff ist gerade Brötchen holen und Nicola und Ruth schlafen noch, wenn du die Teller eingedeckt hast kannst du sie ja beide wecken gehen, wenn du möchtest." sagt sie und ich quittiere es mit einem Nicken, bevor ich die Teller raus bringe und den Tisch eindecke.

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