Kapitel 16

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Der Mann meiner Lehrerin tritt neben meinen Vater, der ihm die Hand schüttelt und Platz macht, damit dieser sich zu seinem verkündeten Aufstieg im Unternehmen äußern kann: „Ich weiß garnicht genau, was ich nun sagen soll, da ich mich nicht auf diesen Moment vorbereiten konnte. Allerdings kann ich von Herzen sagen, dass ich dankbar bin ein Teil dieses Unternehmens zu sein und nun ebenfalls nach jahrelanger Zusammenarbeit unseren Chef verabschieden zu dürfen. Sie waren mir stets ein großes Vorbild, der uns mit Rat und Tat zur Seite stand. Ich denke, dass es keine Diskussionen über ihre Bedeutung für das Unternehmen bedarf und Sie eine große Lücke hinterlassen werden. Weiterhin bin ich Ihnen allen dankbar, dass ich diesen Moment nun als Vize Präsident erleben darf und danke meiner Frau, Joanna, da sie mir stets Rückenwind gegeben hat und an mich geglaubt hat. Danke!" Mein Herz schlägt heftig gegen meinen Brustkorb, als nun auch meine Lehrerin nach vorne gerufen wird, um neben Tomas Platz zu nehmen und ein gemeinsames Foto für das Unternehmen aufzunehmen. Mein Blick ist auf Joanna fixiert, die einen beigen Hosenanzug trägt und stolz in die Kamera blickt. Ihre Haare sind geglättet und fallen locker über ihre Schultern, was mich noch schwerer atmen lässt. Ganz in Gedanken bei dieser wunderschönen Frau bekomme ich nicht mit, dass nun auch meine Mutter und ich nach vorne gerufen werden, um neben meinem Vater Platz zu nehmen. Mit jedem Schritt den ich Joanna näher komme, schlägt mein Herz schneller und schließlich muss ich meinen Blick wieder heben, dieser gleich den ihren trifft. In diesem mache ich ebenfalls Überraschung aus, doch ihr Lächeln spricht Bände. Ich erwidere dieses demnach schweigend und lasse das Foto sowie die weiteren Minuten über mich ergehen, um anschließend alleine auf die Terrasse zu gehen, diese zum Glück unbesetzt ist und demnach ausreichend Ruhe für mich bietet.

Wieso erfahre ich erst jetzt, dass Tomas ein enger Kollege meines Vaters ist? Ausgerechnet auf diesem Weg... Ich starre in die Dunkelheit und lausche meiner eigenen Atmung, die nach wie vor viel zu unruhig ist. Schweigend schließe ich meine Augen und versuche die wohltuende Stille in mich aufzunehmen, um eventuell auf diesem Wege meine Gefühle und Emotionen wieder sortieren zu können, doch dieser Versuch bleibt zwecklos. „Da habe ich doch tatsächlich geglaubt, dass wir uns mal eine Woche nicht sehen.", höre ich eine weibliche Stimme sagen und merke sofort, wie mein Puls erneut in die Höhe steigt und sich augenblicklich ein Lächeln auf mein Gesicht schleicht. Langsam drehe ich mich daher um und treffe auf die grünen Augen von Joanna, die in der Dunkelheit förmlich zu strahlen scheinen. „Das Universum hatte wohl andere Pläne.", erwidere ich und entlocke ihr damit ein kurzes Schmunzeln. Sie kommt mir noch ein Stückchen näher, wodurch mein Herz noch ein wenig schneller schlägt. „Sieht ganz danach aus.", beginnt sie und lässt kurz ihren Blick über den Himmel gleiten, ehe sie fortfährt: „Tatsächlich bin ich dem Universum aber dankbar. Du siehst wirklich sehr gut aus." Ich lächle sie lediglich an, da mir diese Situation äußerst merkwürdig erscheint und spiele nervös mit meinem Armband, was sie noch im selben Moment registriert und ihre Hand nach meiner ausstreckt. Augenblicklich jagen tausende Blitze durch meinen Körper und hinterlassen eine wohlige Gänsehaut, diese heute zum Glück unbemerkt bleibt. „Du Amelia, ich musste in den letzten Tagen wieder öfter an meine damalige Professorin denken und an deine damit verbundene Frage; ich habe nie darüber nachgedacht, dass ich sie jemals nochmal vermissen würde und doch tue ich es nun. Sie bedeutet mir, verständlicherweise, auch heute noch viel und das, obwohl ich wirklich glücklich mit Tomas bin." Verwirrt erwidere ich weiterhin ihren Blick und versuche angestrengt zu verstehen, warum sie mir das erzählt. Anstatt sich aber zu erklären, lässt sie ihre Hand über meine Wange streifen und verweilt auf dieser, weshalb sich diese nun sicherlich rot verfärbt und an Wärme zunimmt. In mir wächst das Verlangen, ihre weichen rosafarbenen Lippen zu küssen und möchte mich zurückziehen, doch sie hält mich fest. „Ich liebe Tomas." „Das weiß ich Joanna.", antworte ich ihr und doch sagt ihr Blick so viel mehr aus, was ich nicht wage zu definieren. „Manchmal möchte das Herz etwas, was der Verstand einfach nicht zulassen möchte." Wiedermal spricht sie mir aus der Seele und das, obwohl ich die derzeitige Situation nicht einzuordnen weiß. Sie spricht in Rätseln und doch verstehe ich sie irgendwie. „Was ist, wenn ich mit der Hochzeit einen Fehler begangen habe? Wäre es möglich, dass Tomas und ich garnicht für die Ewigkeit bestimmt sind? Zumindest nicht als Mann und Frau.", spricht sie weiterhin ihre eigenen Gedanken aus und scheint allmählich garnicht mehr wirklich Teil der Kommunikation zu sein. Stattdessen führt sie einen Monolog der Stimmen in ihrem Inneren, die nicht widersprüchlicher sein könnten. Doch was sagt ihr Herz denn eigentlich? „Joanna, du weißt ganz genau was gut für dich ist und was nicht. Tomas liebt dich, sehr sogar und würde alles mit dir gemeinsam durchstehen. Er hat dich damals nicht fallen gelassen und tut es auch jetzt nicht, wo du ihn sicherlich erneut mit deinen Aggressionen an die Grenzen bringst. Du hast solch ein Glück in diesem Mann gefunden, der dich bedingungslos liebt und es immer tun wird. Ja, wohlmöglich würde er dich sogar lieben, wenn du dich für jemand anderen entscheiden würdest, weil er dich so sehr schätzt.", rede ich ihr entgegen und sehe nun dabei zu wie ihre Augen verdächtig glänzen. Daher lege ich nun meine Hand an ihre Wange und streiche die Träne weg, die soeben den Weg über diese eingeschlagen hat. Auch mir setzt diese Situation sehr zu, wohingegen meine eigenen Worte mir beinahe den Rest geben und ich mir selbst das Herz mit diesen breche. „Ohhh Amelia, wenn du nur wüsstest wie sehr er mich wirklich liebt. Ich habe mich diese Woche für eine Krankmeldung entschieden, weil ich wieder ausgerastet bin und ihm wirklich weh getan habe; nicht nur physisch, sondern auch mental. Deswegen habe ich mich dazu entschieden, zuhause zu bleiben und gemeinsam an seiner Seite wieder zur Ruhe zu kommen. Aber es scheint nicht besser zu werden und das möchte ich ihm nicht antun, weil er eben so ein toller Mann ist. Ich verdiene seine Liebe nicht.", erwidert Joanna und wirkt äußerst verzweifelt, was ich ihr keinesfalls absprechen kann. Schließlich kann ich mich in diese Art von Gefühlen und Gedanken perfekt hineinversetzen. Gerade als ich erneut auf sie eingehen möchte, ertönt Tomas stimme plötzlich: „Joanna, du bist die Liebe meines Lebens. Ich habe dir versprochen, an deiner Seite zu sein. In guten wie in schlechten Zeiten, bis das der Tod uns scheidet. Diese Worte meinte ich ernst und werden niemals an Bedeutung verlieren." Ich nehme meine Hand von der Wange meiner Lehrerin, diese sich zu ihrem Mann dreht und mir damit keinerlei Beachtung mehr schenkt. Sie gehört an seine Seite, auch wenn es mich schmerzt. „Wenn jemand meine bedingungslose Liebe verdient, dann du Joanna Charlotte Smith."

Joanna Charlotte Smith hallt es durch meinen Kopf während ich mich langsam zurückziehe und den Weg zu meinen Eltern einschlage, die sich angeregt mit einem anderen Paar am unterhalten sind. Ich geselle mich trotzdem dazu und folge teilnahmslos der Unterhaltung, was aber keinem auffällt. Wie sollte ich auch jemanden erklären, was sich gerade in meinem Kopf abspielt? Meine Mutter wollte mich davor bewahren, dass mein Herz gebrochen wird und dennoch wurde es vor wenigen Minuten in viele kleine Stücke zerbrochen. Im Grunde war es aber lediglich eine Frage der Zeit, denn Joanna ist nicht dafür bestimmt an meiner Seite zu sein. Möglicherweise ist sie für mich bestimmt, doch ich einfach nicht für sie. Ist das möglich? „Hey, ist bei dir alles okay?", werde ich plötzlich von einer fremden jungen Frau aus meinen Gedanken gerissen und starre diese verwundert an, weshalb sie sich gleich erklärt: „Naja, bis eben dachte ich, dass du an dem Gespräch teilnimmst. Nachdem du jedoch einfach zurückgeblieben bist, ist mir aufgefallen, dass du gedanklich ganz woanders bist." Überrascht drehe ich meinen Kopf und stelle fest, dass meine Eltern und das vermeintliche Paar bereits verschwunden sind. Wie doof habe ich hier bitte rumgestanden? „Normalerweise könnte ich mich jetzt perfekt erklären, aber gerade möchte mir einfach nichts einfallen. Davon abgesehen gibt es da auch nicht allzu viele Ausreden.", gehe ich nun auf das Gespräch ein und lächle verlegen, was die junge Frau nun lachen lässt. „Du brauchst dich mir gegenüber auch garnicht zu erklären. Ich bin Josephine, du kannst mich aber auch einfach Josie nennen." Sie hält mir ihre Hand hin, diese ich bereitwillig entgegen nehme: „Amelia." Nun schenkt sie mir ein freundliches Lächeln, welches ich schweigend erwidere. „Also Tagträumerin, magst du vielleicht einen Drink annehmen und mir von deinen tiefgründigen Gedanken erzählen?", bietet sie mir gleich an, weshalb ich nun meine Augenbraue hebe: „Wieso sollte ich einer wildfremden Person etwas von dem erzählen, was sich in meinem Kopf abspielt?" „Naja, weil wir uns nicht kennen und diese dich ja ziemlich aus dem Konzept bringen. Du hast schließlich nichtmal gemerkt, dass du alleine im Raum standest." Punkt für Josie. Ich nehme ihr Angebot des Drinks also an, weshalb sie uns beiden ein Glas Wein holt und mich mit nach draußen zieht, wo keine Spur mehr von Joanna und Tomas ist. Zum Glück. „So, dann erzähl mal." Josie nippt an ihrem Weinglas und schaut mich neugierig an, was mich kurz schmunzeln lässt. „Oh nein Josie, auf keinen Fall. Ich habe zwar dem Drink zugestimmt, aber ich werde dir nichts von meinen Gedanken preisgeben.", sage ich ernst und erwidere ihren Blick, der sich allmählich verändert. Sie hebt eine Augenbraue und schaut mich unbeeindruckt an: „In Ordnung. Ich war mir nicht sicher, was für ein Typ Frau du bist, weiß es nun aber. Du bist zweifellos in jemanden verliebt, der deine Gefühle nicht erwidert und musstest ihn freigeben, weil er eine andere liebt. Wenn ich dir jetzt erzähle, dass ich genau weiß, wer dein Herz gestohlen hat, würdest du dich vor mir fürchten. Ich tue daher einfach mal so, als würde mein Blick dir nicht schon seit dem Moment folgen, als ich dich das erste mal an dem heutigen Abend erblickt habe." Überrascht, ja beinahe schon geschockt, schaue ich mein gegenüber an und habe so viele Fragen, die ich nicht zu sortieren weiß und entscheide mich einfach fürs Schweigen. „Frag mich ruhig." Wie kann sie bitte genau wissen, was sich hinter meiner Maske versteckt? „Du weißt also, wer der Grund für meine intensive Grübelei ist?", erkundige ich mich ungläubig, obwohl sie mich bereits durchschaut hat. „Ja, das sagte ich doch und ich muss dir eins lassen; du hast einen tollen Frauengeschmack." Sie weiß es. Sprachlos leere ich meinen halben Wein und stelle das Glas anschließend wieder auf dem Tisch ab, um ihrem Blick erneut zu erwidern. „Gut, du hast mich also durchschaut. Aber wieso hast du mich beobachtet?" „Hm Amelia... weil du mir positiv aufgefallen bist. Ehrlich gesagt gefällst du mir sogar ein bisschen und ich musste irgendwie herausfinden, ob du noch zu haben bist." Das ist doch gerade ein ganz schlechter Film. „Keine Sorge Hase, ich lasse die Finger von dir. Dein Herz scheint buchstäblich schon verschenkt zu sein, auch wenn sie verheiratet ist." Zustimmend nicke ich, denn was habe ich überhaupt noch zu verstecken? Sie hat bereits Informationen, die kein anderer Mensch in Monaten herausgefunden hat. „Wie dem auch sei. Meld dich gerne bei mir, wenn du quatschten möchtest." Sie hält mir einen Zettel entgegen, auf diesem ihre Nummer steht und zwinkert mir zu, ehe sie mich draußen zurücklässt. Anstatt ihr zu folgen, speichere ich ihre Nummer ohne jegliche Bedenken ein und betrachte anschließend den Himmel, der noch immer in unzählige Sterne getaucht ist. Ein wunderschöner Anblick. „Joanna Charlotte Smith.", wiederhole ich die Worte von Tomas ganz leise und lasse meinen Tränen nun freien Lauf, wodurch sich der Schmerz nun tatsächlich bemerkbar macht. Dieser breitet sich in meinem ganzen Körper aus und legt damit jede einzelne Faser meines Körpers lahm.

Unerreichbar nah / {txs}Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt