Kapitel 5: Das Anwesen am Fluss

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„Wir sollten umziehen", als sich Mitsuri heute Morgen mit dieser Aussage neben mich gesetzt hatte, da hatte ich einige Sekunden gebraucht, um es zu verstehen. „Bitte?" „Versteh mich nicht falsch. Ich liebe das Haus wirklich, aber ich habe das Gefühl, dass du es hier nicht wirklich magst." „Aber ich wohne doch garnicht...", versuchte ich zu wiedersprechen. Sie grinste sarkastisch: „Sicher. Wann warst du das letzte Mal daheim? Du wohnst doch eh schon so gut wie bei mir." Da war was dran. Wann war ich das letzte Mal bei mir gewesen, außer wenn ich frische Kleidung gebraucht hatte? Sie hatte meinen getrübten Blick bemerkt, denn sie fügte rasch hinzu: „Das hätte nicht gemein klingen sollen, wirklich nicht. Ich freue mich, dass du hier bei mir wohnst." „Weiß ich doch. Aber wie kommst du darauf, dass es mir hier nicht gefällt?", entgegnete ich schnell, damit es ihr nicht unangenehm war. „Na ja... Es scheint so, als würdest du dich fürchten, dass hinter irgenteiner Ecke ein Monster hervorgekrochen kommt. Um es bildlich auszudrücken." Ich runzelte die Stirn. Machte ich wirklich einen so vorsichtigen Eindruck? Ich lehnte mich zurück: „Und wie sieht ein idiaeles Haus für dich aus?" Mitsuri fing an, zu beschreiben und ich schloss die Augen, um es mir vorzustellen: „Am besten ein schön helles Haus, dann ein großer Garten, ein Gewässer in der Nähe wäre schön, viele bunte Blumen." „Hört sich perfekt an", ich schlug die Augen wieder auf. „Dann schauen wir uns nach einem Haus um?" Ich legte ihr einen Arm um die Schulter und zog sie an mich: „Und was würde dann mit diesem Haus passieren?" Mitsuri blickte an den Horizont: „Ich kann es an meinen kleinen Bruder vermieten. Er sucht schon länger ein eigenes Haus und er betont immer wieder, wie schön er es hier findet." Ich hob einen Finger: „Ich habe genau EINE Bedingung. Und zwar möchte ich hier in der Nähe wohnen bleiben. Hier wohnen alle unsere Freunde. Dann hätten wir schon mal nette Nachbarn." Sie grinste: „Ich glaube, mit dieser Bedingung kann ich leben." „Na dann..."

Nach genau einer Woche ließ ich mich stöhnend auf Mitsuris Couch sinken: „Wieso gibt es keine geeigneten Häuser für uns?" Mitsuri sah mich zweifelnd an: „Vielleicht haben wir ja zu hohe Ansprüche. Können wir heute bitte die Suche sein lassen? Ich möchte jemanden besuchen." „Wer denn?" Sie gab mir einen Stupser auf die Nase: „Das erzähle ich dir nicht. Aber du wirst diese Person lieben." Ich fragte mich langsam inständig, was zum Teufel sie damit meinte, aber nachbohren wollte ich auch nicht. Vielleicht sollte ich Mitsuri auch mal überraschen... Aber wie? Meine Freundin hatte sich inzwischen schon in den Flur gestellt und die Schuhe angezogen. Dann sah sie mich amüsiert an: „Worauf wartest du denn?" Ein gequältes Seufzen entfuhr mir und ich schlenderte ebenfalls in den vorderen Teil des Hauses. Kaburamaru am meinem Hals zischte freundlich und ließ sich von Mitsuri den Kopf tätscheln, während ich meine Sandelen überstreifte. Dann nahm sie mich bei der Hand, zog mich aus dem Haus. Ich schaffte es gerade noch so, die Tür hinter mir zuzuschlagen. Erst führte mich Mitsuri zum Fluss. Dann schlenderte sie einen kleinen Feldweg am Ufer entlang. Schließlich kam ein Haus zwischen großen Kirschbäumen in Sicht. Mitsuri betrat das Grundstück und steuerte auf die Haustür zu. Wer wohnte hier? Sie klopfte und Stille legte sich über uns. Mitsuris Stimme klang ungeduldig: „Bitte sag mir jetzt nicht, dass sie schläft." Sie klopfte ein weiteres Mal. Schließlich tönte eine helle Stimme von hinten: „Bin im Garten!" Also wurde ich weitergeschleppt. Vor uns lichtete sich schließlich der Kirschwald und eine Wildblumenwiese kam zum Vorschein. Mitten darin saß eine kleine Frau. Sie schien um die 70 zu sein. Lange, graue Haare fielen über ihre Schultern. Als sie Mitsuri sah schlug sie die Hände vor dem Gesicht zusammen und sprintete – so schnell eine Frau in ihrem Alter es eben konnte – zu Mitsuri. Meine Freundin ließ meine Hand los und beugte sich ein wenig zu ihr hinunter: „Wie schön, dich wiederzusehen! Es ist schon länger her." „Ja, das ist es, Mitsuri Schatz. Du hast dich 2 Monate lang nicht gemeldet und ich habe mir schon Sorgen gemacht. Und... Oh!", die Alte blickte mich an und wackelte schließlich auf mich zu. Dann nahm sie meine Hännde und ich musste mich ein wenig zu ihr hinunterbücken. „Sie müssen Herr Iguro sein! Mitsuri hat manchmal pausenlos von Ihnen geredet. Sie passen wirklich wundervoll zu ihr." Mein Blick glitt zwischen der Frau und Mitsuri hin und her. Mitsuri war zartrosa angelaufen. Ich grinste: „Vielen Dank. Das bedeutet mir viel. Aber vielleicht will Mitsuri uns erst einmal vorstellen?" „Sorry, also diese nette Dame hier ist Hina. Wir sind schon lange Nachbarn. Sie hat ein Talent dafür, schöne Decken zu stricken." Die alte Dame sah Mitsuri freundlich an: „Aber nicht doch! Ich habe eine Idee! Ich setze jetzt Tee auf und wir reden ein wenig, ja?" Ich beäugte den Garten genauer: der Fluss, welchem wir gefolgt waren, floss hier durch den Garten weiter, eine kleine Brücke führte auf die andere Seite. Es war wirklich idyllisch hier. Mitsuri zog mich zum Haus weiter. Wir setzten uns auf die Terrasse und warteten auf Hina. Bald darauf kam sie mit einem Tablett mit Keksen und drei Teetassen zurück. Dann ließ sie sich seufzend nieder: „Ich werde dieses Haus hier vermissen..." Mitsuri, welche gerade von ihrem Tee getrunken hatte, prustete den Inhalt ihres Mundes in die Luft. Sie musste husten und starrte Hina verwirrt an: „Wie bitte? Du wirst umziehen? Wieso? Wann? Wohin?" Ich legte meine Hand auf ihre und sah die alte Dame ebenso erwartungsvoll an. Sie räusperte sich: „Ich werde zu meinem Sohn in die Stadt ziehen. Ich liebe dieses Haus zwar wirklich, aber es allein in Schuss zu halten ist anstrengend. Außerdem würde ich gerne in Ginkos Nähe sein." Dann hob sie wieder zum reden an: „Und weil ich weiß, dass ihr ein Haus sucht, will ich, dass ihr es bekommt. Ihr würdet von mir ein gut leistbares Angebot bekommen." Ich fuhr hoch: „Das ist ein wirklich großzügiges Angebot. Danke." Die Alte rutschte näher zu mir und nahm sanft meine Hand: „Aber gerne doch. Ich würde mir wünschen, dass wieder eine nette Familie hier einzieht. Der Garten eignet sich gut für Kinder..." Ich verschluckte mich an meinem Tee. Mitsuris Gesicht war knallrot angelaufen. Ich kam wieder mühsam zu Atem: „Bitte was!?" Meine Stimme klang dezent schrill und ich hatte alle Mühe, nicht ebenfalls völlig beschämt in mich zusammenzusinken, wie es Mitsuri gerade tat. Die alte Dame sah mich vielsagend an: „Na ja, ihr macht einen sehr, wie soll ich sagen... vorausblickenden Eindruck." Was sollte das denn bedeuten? Machte ich wirklich den Eindruck, ich hätte so schnell vor, eine Familie zu gründen? Mitsuri stand auf und legte mir eine Hand auf die Schulter: „Ich muss mal kurz verschwinden." Also war ich mit Hina allein. Sie schien zwar nett zu sein, machte mir aber auch ein wenig Angst. Die alte Dame sah mich noch immer freundlich an: „Ich hätte da eine Bitte..." „Ja?" Sie hob an: „Bitte geben Sie Mitsuri nicht auf. Sie ist ein so liebes Kind und ich möchte nicht, dass ihr Herz gebrochen wird." Ich lächelte sie an: „Das werde ich nicht. Niemals." Als Mitsuri wiederkam, verabschiedeten wir uns und gingen den Feldweg wieder entlang zur Hauptstraße. Die Sonne ging schon unter, lange Schatten zogen über uns hinweg. Ich atmete einmal tief aus: „Mann! Und ich dachte schon, sie würde unser Tod sein..." Mitsuri lachte: „Das genieße ich so an älteren Leuten. Viele von ihnen sind so erfrischend ehrlich und scheren sich nicht um die Meinung anderer." Wir schlenderten weiter. Keiner von uns sagte etwas. Das einzige Geräusch waren die zirpenden Grillen und das Plätschern des Baches. Irgentwann erreichten wir wieder das Haus und ich stellte mich in die Küche, um einen Tee zu kochen. Mitsuri kam dazu und legte mir von hinten die Hände um die Taille, verschränkte sie vor ihrem Bauch, drückte sich fest an meinen Rücken. Sie seufzte und murmelte halb in meinen Rücken hinein: „Darf ich auch einen Tee haben?" „Sicher, welche Sorte?", inzwischen kannte ich dieses Haus genauso gut, wie das Haus, in welchem ich früher gewohnt hatte. „Kamille", Mitsuri hatte ihr Gesicht noch weiter in meinen Rücken gedrückt, dass ich sie kaum noch verstand. Also versuchte ich mich zu strecken, um aus einem Hängeschrank über uns eine Teepackung herauszuholen. Aber Mitsuri klammerte sich noch immer an mir fest und machte auch keine Anstalten, mich loszulassen. Also drehte ich meinen Kopf und blickte über die Schulter zu ihr: „Wenn du einen Tee willst, dann musst du jetzt bitte etwas lockerlassen." Sie drückte ihre Nase an meine Wirbelsäule: „Sowas zieht nicht. Ich bin doch kein Kind mehr. Wärme geht vor Tee." Ich drehte mich um und gab ihr einen Nasenstupser: „Aber Tee ist auch warm." „Verdammt, du hast mich erwischt", Mitsuri lächelte.

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