Kapitel 78

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Früh am Morgen habe ich den Olympiapark beinahe vollkommen für mich und nur einige andere Jogger laufen mir entgegen. Mittlerweile kann ich Chris wieder ohne Bedenken noch schlafen im Zimmer lassen und meine Runden am Morgen laufen, damit ich mit genügend Energie in den Tag starten kann. Ihn muss ich ja nicht fragen, ob er mitkommen will, da er sich noch daran erinnern kann, wie es letztes Jahr im Hamburg für ihn lief.

Die Einfahrt zum Hotel liegt vor mir, ich gehe die ersten Schritte wieder entspannt und schaue einmal auf meine Uhr runter, damit ich das Training stoppen kann. Dabei sehe ich auch die ersten Nachfragen, die von Martyn jetzt kommen, da er ab jetzt immer bei mir sein wird, solange Kyra ausfallen wird. Ihr geht es zwar ganz okay, aber sie erholt sich noch vom Bruch, bevor es nach Ostern für sie in die Reha gibt. Mit der Schule ist da auch schon alles abgesprochen und die Prüfung macht sie nächstes Jahr im März. Ätzend, aber die Hauptsache ist, dass mit ihr wieder alles gut wird. Die paar wenigen Fragen von Martyn sind schnell geklärt und dann komme ich auch wieder bei der Tür an und gehe rein. Die Flure, Gänge und der Fahrstuhl erinnern mich an schlechte Momente, als mich Chris im letzten Jahr hier hat sitzenlassen, aber irgendwie versuche ich dieses Gefühl immer wieder zu verdrängen, da er das jetzt niemals mehr machen würde. Auf den Weg zu unseren Zimmer höre ich den letzten Song noch zu Ende und suche die Schlüsselkarte wieder raus, um dann auch die Tür aufzubekommen. Als ich ein paar Schritte ins Zimmer gehe, sehe ich auch, dass Chris nicht mehr im Bett liegt und als ich meine Kopfhörer wieder in die Schachtel packe, höre ich das Wasser der Dusche und weiß daher, wo er ist. Ich hingegen lasse mich nochmal aufs Bett fallen, hänge etwas am Handy und versuche so die Zeit rumzubekommen, die er noch im Bad braucht.

Als ich gerade wieder ein Video weiter bin auf TikTok, wird die Tür geöffnet und Chris kommt mit raus. Offenbar hatte er auch vorhin gleich mitbekommen, dass ich wiedergekommen bin, schaut sich daher gleich um, wo ich abgeblieben bin und lächelt, als er mich wieder sieht.
Chris: Da bist du ja schon wieder. Willst du auch eben?"
Mit der einen Hand zeigt er auf unser Badezimmer, da er in der anderen noch ein Handtuch hält, womit er sich das Haar trocknet. Damit wir nicht mehr Zeit als nötig zu spät kommen werden, nicke ich und gehe einmal zu meinen Sachen, um mir meine Arbeitsklamotten gleich mitnehmen zu können. Dieses Wochenende habe ich auf den Pullover mit, auf den July steht, da seiner leider in der Wäsche gewesen ist.
Juliette: Hatte Andreas die Pläne geändert?"
Chris: Die der Tontechniker? Wer zu welcher Zeit wo arbeiten muss?"
Als ich aufstehe, mich umdrehe und zu meinem Freund wieder schaue, nicke ich einen Augenblick und umfasse meine Sachen etwas fester. Irgendwo hoffe ich, dass sie bleibt und zugleich will ich sie gerade nicht mehr sehen. Allerdings kann ich nicht immer und für den Rest meines Lebens immer vor allem und jeden weglaufen.
Chris: Andreas hatte sich geweigert und sie konnte ihn keinen triftigen Grund nennen."
Und auch ich nicke nur stumm, gebe keinen weiteren Kommentar dazu ab und verabschiede mich ins Badezimmer. Seitdem sie mir vor knapp einen Monaten genau das an den Kopf geworfen hat, was meine Eltern immer wieder zu mir gesagt haben, habe ich kein Wort mehr mit ihr gewechselt...und es wird wohl kaum besser werden...

Nach dem Duschen habe ich mir meine Haare zusammengebunden, den Armreif meines Bruder wieder umgelegt und mir natürlich wieder meine Arbeitsklamotten angezogen. In der Zeit hatte Chris seine Tasche gepackt, die Schlüsselkarte eingesteckt, damit wir zeitig loskommen konnten. Durch den Olympiapark und über die kleinen Wege kommen wir der Arena auch immer näher, laufen an Passanten und einer kleinen Bühne vorbei, die aufgebaut wird am See und erreichen auch fast pünktlich die Arena. In den Moment trennen sich unsere Wege auch wieder, da er zu seinem Bruder bestellt wurde und ich werde am FOH von Martyn gebraucht.

Bevor ich mich auf meinen Platz setzen konnte, habe ich den Pullover wieder ausgezogen, da es einfach zu warm dafür schon ist. Ein wenig habe ich das Wetter doch falsch eingeschätzt und bin froh, dass ich darunter noch das normale Crew Shirt angezogen hatte, was mich jetzt gerade rettet.
Martyn: Ich sollte alles schon so vorberietet haben, wie du es mir letztes gezeigt hattest."
Juliette: Danke dir."
Ich lächle ihn an und setze mich endlich, schaue einmal über mein Mischpult und fahre meinen Mac hoch, damit ich den auch wieder damit verbinden kann. Martyn sitzt in der Zeit auf den Platz von Kyra kontrolliert die Mechanismen, die ich ihm ansage und ist mir eine gute Hilfe. Auch als ich ihn einmal nach vorne zur Bühne schicken musste, um etwas für mich zu checken, tat er das ohne Widerworte und verließt kurz das FOH. Ein leerer Platz ist es nun, was Levi und mich voneinander trennt. Dieses Mal habe ich aber nicht das Gefühl, dass sie mich kalt und wütend beobachtet, da ich, als ich einmal ihren Blick einfange, bei ihr wirklich so etwas wie Reue beobachten kann. Allerdings schenke ich dem nicht lange meine Aufmerksamkeit, da ich nur darauf warte, dass Martyn sich meldet.
Levi: Juliette..."
Mit dem Sender in der Hand wende ich mich an Levi, schaue sie ruhig und emotionslos an, wohingegen sie auf ihrer Lippe kaut und nicht so recht mit dem rausrücken kann, was sie wohl sagen wollte. Ihre Stimme klang eben auch nur wie in leises Hauchen.
Levi: Ich..."
Martyn: Hörst du mich, Juliette?"

Als unser Kollege sie quasi unterbricht, verlässt sie augenblicklich ihren Platz und geht vom FOH weg. Kurz klebt mein Blick beinahe noch an ihr, bis ich mich dazu bringen kann, wieder auf mein Mischpult und den Bildschirm zu schauen, den ich brauche. Die Proben beginnen bald und danach die Show, ich sollte mich nicht von ihren Spielereien ablenken lassen und mich konzentrieren.
Juliette: Klar und deutlich. Problem gefunden?"
Martyn: Gefunden und ich glaube, dass es wieder gehen sollte. Willst du es checken?"
Zwei kurze Bewegungen später ist klar, dass der besagte Mechanismus wieder einwandfrei funktioniert und dass Martyn auch wieder an seinen Platz zurückkehren kann. Seine Frage, wohin Levi gegangen ist, konnte ich ihm nicht beantworten und sie hatte auch den Beginn der Probe verpasst, um den ich mich dann gekümmert habe. Andreas war danach bei uns hinten, hatte ein wenig was mit uns allen geklärt, aber ist gegangen, als Chris ihm wieder ein klares Signal gegeben hatte. Sonderlich begeistert wirkte sein Bruder nicht gerade und ich hoffe, dass das nicht auch noch einen Streit zwischen den Geschwistern auslöse würde. Für den Tag schiebe ich die Sorgen und Gedanken nach hinten, damit am Abend wieder eine Show von Diamonds über die Bühne gehen kann...

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