Sweat and Blood

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Hazel

Während die anderen duschen und ihre Betten beziehen, darf ich die 5 Minuten auf dem Laufband nachholen und danach noch das Seil hochklettern. 

Alle sind das Seil hochgeklettert. Alle haben es geschafft außer ich. 

"Ja los.", zickt Joshua Wilson mich an. 

Ich stelle das Laufband direkt auf 13kmh und beginne zu laufen. Mein Ausbilder sitzt hinter mir auf einer Bank und spielt entweder an seinem Handy oder schaut mir zu.

Ich hasse laufen. 

"Du hast keine Körperkontrolle.", merkt er genervt an. 

Danke, du Arsch, denke ich mir und laufe weiter. Mittlerweile ist es fast neun Uhr Abends. 

Vielleicht ist er auch nur angepisst, weil ich mich nicht bei ihm bedankt habe, dass ich was essen und trinken durfte.

"Sie.", erwidere ich.

"Was?"

"Sie haben keine Körperkontrolle.", korrigiere ich ihn. Im Spiegel sehe ich tatsächlich, wie seine Mundwinkel zucken. Es irritiert mich so sehr, dass ich stolpere und mich gerade noch so abfangen kann, bevor ich mit dem Gesicht auf dem Boden gelandet wäre. 

Von wegen keine Körperkontrolle. 

"Vorsicht.", räuspert er sich. 
Seine zuckenden Mundwinkel sind verschwunden. Habe ich mir das eingebildet?

"Das reicht, Miss Miller. Trinken Sie was und dann klettern Sie das Seil hoch. Drei Meter, wie alle anderen auch. Danach können Sie duschen und ins Bett.", wechselt er das Thema und steht von der Bank auf, auf der er sich ausgeruht hat.

"Ich schaffe das nicht. Nicht mehr heute.", schüttel ich den Kopf. 

"Dann nehme Sie ihre Sachen und fahren nach Hause. Sie können jetzt sofort wieder nach New York zurückkehren. Ich halte Sie nicht auf."

Ich sehe in seinem Gesicht, wie er darauf wartet, dass sich seine Annahmen über mich bestätigen. Aber diese Genugtuung gebe ich ihm nicht. Stumm stelle ich mich ans Seil. Bereits bei meinem ersten Versuch rutsche ich ab. 

Das Seil brennt sich in meine Handfläche. 

"Aua, fuck.", zische ich. 

Ausdruckslos schaut er mich an.
"Ja nochmal."

"Sir, das tut weh. Meine Handflächen."

"Drei Meter werden Sie doch wohl schaffen."
Er zieht verärgert seine Augenbrauen zusammen.

Er provoziert mich. So sehr, dass mein Ego gewinnt. Ich greife erneut nach dem Seil, ziehe mich hoch. Einmal. Zweimal. 

Und rutsche ab. Diesmal bluten meine Handflächen, doch auch das interessiert ihn nicht. Ich habe Tränen in den Augen, kann kaum noch nach dem Seil greifen. Immer wieder provoziert er mich, hört nicht auf. 

"Frauen gehöre hier nicht hin. Verstehen Sie das jetzt?"

Ich hocke auf dem Boden, wischen meine blutigen Hände an meinen Beinen ab. Es brennt höllisch, meine Muskeln tun weh. Meine Beine schmerzen, meine Augen tun weh. Meine Sicht verschwimmt und mein schluchzen wird immer lauter. 

Er lässt mich nicht gehen. 

"Ich kann das nicht. Ich schaffe das nicht."

"Stehen Sie auf!", herrscht er mich an. 

Mühselig rappel ich mich auf.

"Und jetzt sehen Sie mich verdammt nochmal an!", wird er wütend.
"Glauben Sie, ich wäre da, wo ich jetzt bin, wenn ich aufgegeben hätte? Wenn ich mich verhalten hätte wie Sie? Glauben Sie das? Sie sind verdammt nochmal bei der Army! Mich interessiert nicht, was Ihnen wehtut oder was Ihnen gerade nicht in den Kram passt. Sie machen verflucht nochmal was ich Ihnen sage. Nicht mehr und nicht weniger.", schreit er mich an. 

"Es tut weh!", schreie ich verheult zurück. 

"Sie klettern dieses Scheiß Seil jetzt hoch!"

"Das ist nichts für mich. Ich bin niemand der sich daran aufgeilt Zivilisten getötet zu haben. Ich will das nicht. Das ist ekelig, ich bin nicht so!", brülle ich, während die Tränen über meine Wangen laufen. 

"Was haben Sie gerade gesagt?"

Schluchzend wische ich mir die Tränen weg und trete zurück, als er sich das Shirt auszieht.
"Drei Schüsse habe ich kassiert. Drei Schüsse, die Kugeln habe ich noch. Durchlöchert haben Sie mich im Irak! Und trotzdem habe ich 16 meiner Männer gerettet! 16 meiner Leute habe ich gerettet, obwohl ich kurz vor dem Tod stand. Glauben Sie, es hat jemanden interessiert, dass ich Schmerzen hatte? Glauben Sie, Sie können mir sagen, was Schmerzen sind?!", schreit er zurück. 

Ich schlucke. 

"Was bilden Sie sich ein, mir zu sagen, ich würde mich an dem Tod von Zivilisten aufgeile! Wer sind Sie, dass Sie sagen dürfen, es würde mir Spaß machen Unschuldige zu töten! Ich kenne den Namen jedes einzelnen Zivilisten, den ich getötet habe. Niemals werde ich diese Namen los, niemals! Ich träume nachts von den Unschuldigen, die ich getötet habe!"

"Ich-"

"Was ich? Hm? Was verflucht nochmal! Sie haben keine Ahnung! Keine Ahnung haben Sie. Ich habe Ihnen gesagt, dass sie scheiße nochmal die Klappe halten sollen! Und jetzt klettern Sie dieses dumme Seil hoch! Wenn ich mit drei Löchern im Oberkörper 16 Männer retten konnte, dann können Sie ja wohl diese drei Meter hochklettern!", schreit er noch immer. 

Weinend und zitternd vor Angst und Scham greife ich zum 6. Mal nach dem Seil, das bereits Blut verschmiert ist. 
Während er sich das Shirt wieder überzieht, ziehe ich mich am Seil hoch. 

Meine Willenskraft ist so groß, dass ich nicht aufgebe. Egal wie weh es tut. Die Tränen rollen über meine Wangen. Es kommt mir vor wie eine Ewigkeit, doch ich erreiche die drei Metermarke. Dann rutsche ich ab, die Hände über das harte Seil, bis ich auf dem Boden lande und erschöpft zusammenbrechen. 

Ich heule wie ein Kind. 

"Gott. Ich werde im Irak durchlöchert, rette 16 meiner Männer und als Dank schickt die Air Force mir 'ne Pazifistin.", spuckt er mir entgegen. 

Das Blut meiner Handflächen tropft auf den Hallenboden, doch all das interessiert ihn nicht. Joshua nimmt seine Sportsachen und verlässt die Halle. 

"Du musst deine Hände desinfizieren.", ruft er, bevor er das Licht ausmacht und mich alleine zurücklässt. 

Das Leuchten Der WüsteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt