Kapitel 32: Schritte aus dem Loch

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Die Tage schienen schwer und endlos zu sein, als ob die Dunkelheit in meinem Kopf mich gänzlich verschlingen wollte. In den stillen Momenten, wenn niemand in meiner Nähe war, wurde das Chaos in mir lauter, die Panikattacken häufiger, die Gedanken dunkler. Es fühlte sich an, als ob ich auf einem schmalen Grat balancierte, ständig bereit, in die Tiefe zu stürzen.

An einem dieser besonders düsteren Tage klopfte Carlisle leise an meine Tür. „Fjella?" Seine Stimme war ruhig, sanft, und doch klang ein Hauch von Sorge darin mit. „Willst du mit mir spazieren gehen?"

Ich sah ihn an, unfähig, die Last in meinem Inneren in Worte zu fassen, aber irgendetwas an seiner Art ließ mich nicken. Vielleicht würde ein Spaziergang mir helfen, wenigstens für eine Weile aus meinem Kopf zu entkommen.

Wir verließen das Haus und gingen auf den vertrauten Pfaden durch den Wald. Die frische Luft fühlte sich gut an, aber das Gewicht in meiner Brust blieb. Carlisle ging schweigend neben mir, und nach einer Weile begann er leise zu sprechen.

„Weißt du, Fjella, manchmal sind die einfachsten Dinge die, die uns am meisten bedeuten. Die Natur... die Stille... Es gibt eine Kraft darin, sich auf das zu konzentrieren, was um einen herum geschieht. Es kann helfen, den Lärm in uns zu beruhigen."

Ich schaute ihn an, überrascht über die Tiefe seiner Worte, die so einfach schienen und doch genau das ausdrückten, was ich brauchte. „Es ist schwer, den Lärm zu ignorieren," sagte ich schließlich, meine Stimme schwach.

Carlisle nickte. „Ich weiß. Aber ich habe gelernt, dass der Schlüssel darin liegt, ihn nicht zu ignorieren, sondern ihm zu begegnen. Manchmal müssen wir uns dem stellen, was in uns brodelt, um es zu überwinden."

„Aber wie?" fragte ich leise. „Wie soll ich mich dem stellen, wenn es mich so überwältigt?"

„Indem du Schritt für Schritt gehst," sagte er, und ich spürte, wie seine Hand sanft über meinen Rücken strich. „Du bist nicht allein, Fjella. Du hast uns alle um dich, die dich unterstützen. Aber am wichtigsten ist, dass du dich selbst unterstützt. Glaube an deine eigene Stärke. Selbst die dunkelsten Momente werden irgendwann heller."

Ich blieb stehen und sah ihn an. „Es fühlt sich aber nicht so an."

Carlisle legte sanft eine Hand auf meine Schulter und sah mir tief in die Augen. „Es ist schwer, wenn man mittendrin steckt, das verstehe ich. Aber du bist stärker, als du denkst. Und du hast mehr Kontrolle, als du dir bewusst bist."

Seine Worte berührten etwas in mir. Sie waren nicht einfach nur hohle Phrasen, sondern kamen aus einem tiefen Verständnis, einer Erfahrung, die ich spüren konnte. Er sah mich nicht als zerbrochen, sondern als jemand, der in der Lage war, sich wieder aufzurichten.

Langsam ließ ich die Spannung in meinen Schultern nach und seufzte leise. „Danke," sagte ich schließlich, leise und aufrichtig. Bevor ich es realisierte, hatte ich mich zu ihm geneigt und ihm einen sanften, liebevollen Kuss auf die Wange gedrückt. Dann lehnte ich mich an seine Brust, suchte Trost in seiner Nähe, und spürte, wie sich seine Arme schützend um mich schlossen.

Wir standen eine Weile so da, eng umschlungen in der ruhigen, stillen Welt um uns herum. Zum ersten Mal seit langer Zeit fühlte ich etwas, das ich fast vergessen hatte: Frieden. Ich blickte zu ihm auf und lächelte - ein Lächeln, das nicht von Schmerz oder Unsicherheit getrübt war, sondern von reiner Liebe und Freude.

Carlisle erwiderte mein Lächeln, und wir blieben so, genossen einfach die Stille und die Wärme der Umarmung. Ich spürte, wie ich langsam wieder etwas von meiner verlorenen Kraft zurückgewann. Es war, als ob seine Worte und seine Nähe mich erdeten, mir halfen, mich selbst wieder zu finden.

Die Tage danach waren besser. Die Panikattacken kamen seltener, und wenn sie kamen, waren sie nicht mehr so überwältigend. Ich begann wieder zu trainieren - zuerst zögerlich, aber mit jeder Sitzung gewann ich mehr Vertrauen in meinen Körper und meine Fähigkeiten zurück. Die Albträume schienen weniger ausweglos zu sein, und ich fing an, aktiv zu üben, in ihnen aufzuwachen oder sie in etwas Positives zu verwandeln.

Dank Carlisle schaffte ich es, mich langsam aus dem tiefen Loch herauszukämpfen. Doch ich wusste, dass die Dunkelheit immer ein Teil von mir bleiben würde - ein ständiger Begleiter, aber einer, den ich lernen konnte, im Hintergrund zu halten.

Eines Abends saßen wir alle gemeinsam im Wohnzimmer, als Alice plötzlich eine Frage aufwarf, die mich überraschte. „Fjella," begann sie, „wann hast du eigentlich Geburtstag? Du hast uns das nie verraten."

Ich blinzelte verwirrt und zuckte mit den Schultern. „Am 25. Mai," sagte ich schließlich. „Aber ehrlich gesagt... ich habe meinen Geburtstag seit Jahren nicht mehr gefeiert. Es ist mir irgendwie egal geworden."

Alice zog überrascht eine Augenbraue hoch. „Egal? Geburtstage sind wichtig! Du kannst nicht einfach so tun, als wäre das nichts Besonderes."

Ich lächelte schwach. „Es ist einfach... irgendwann verliert es an Bedeutung."

Alice schüttelte energisch den Kopf. „Das nächste Mal feiern wir, ob du willst oder nicht!"

Ich seufzte und hob die Hände in einer Geste der Kapitulation. „Okay, okay, du hast gewonnen."

Jasper, der die Szene beobachtet hatte, grinste schelmisch. „Ich wette, es wird eher eine Hochzeit als eine Geburtstagsfeier."

Meine Wangen wurden heiß, und ich sah nervös zu Carlisle, der sich räusperte und verlegen wegsah. Bevor die Situation unangenehmer werden konnte, sprang Alice ein und wechselte geschickt das Thema. „Die Werwölfe wollen mit uns über das Abkommen sprechen," sagte sie plötzlich, und die Aufmerksamkeit aller richtete sich wieder auf wichtigere Dinge.

Die Leichtigkeit, die vor wenigen Augenblicken geherrscht hatte, verschwand und wich der Schwere der Realität.

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