Kapitel 7: Immer

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Als ich ein Auge aufschlug, wartete Dunkelheit auf mich. Na ja, fast vollständige Dunkelheit. Von draußen drang leicht das Licht der Sterne durch das Fenster herein, der Mond strahlte hell und voll auf mein Gesicht. Etwas sagte mir, ich sollte die geborgene Wärme des Bettes verlassen und nach draußen gehen. Also nahm ich vorsichtig Mitsuris Arm von mir herunter, welcher sich schützend um mich gelegt hatte und warf mir meine Jacke über. Ein letzter Schulterblick genügte mir um mich zu vergewissern, dass Mitsuri wohlig weiterschlief. Die Sterne folgten mir, als ich durch den Gang zum Dachboden lief und sie folgten mir auch noch, als ich aus dem Dachfenster auf das Dach kletterte. Komischerweise war es nicht kalt. Lediglich eine kühle Nachtbrise ließ mich frösteln. Selbst Kaburamaru war mir nicht hier hoch gefolgt. Auch er döste an seinem Lieblingsplatz – ein kleiner Bambuskorb. Ich blickte wieder nach oben. Die Sterne schienen in meine Seele hineinblicken zu können, alles von mir zu offenbaren. Ich überlegte, ob Kyojuro mir auch gerade von dort oben zusah. Irgentwie hoffte ich es. Wie sollte ich es denn sonst durch dieses Leben hindurchschaffen? Ein Poltern hinter mir ließ mich hochschrecken. Kurze Zeit später tauchte eine Mitsuri mit verschlafenen Augen durch die Dachluke auf: „Was machst du denn hier? Du hättest mich auch ruhig mitnehmen können..." „Sorry, ich wollte dich nicht wecken. Du hast so friedlich geschlafen", ich blickte wieder zu den Sternen hoch. Sie sah mich entschlossen an: „Ich möchte aber trotzdem immer wissen, ob es dir gutgeht. Das ist mir wichtig." „Das nächste Mal sage ich es dir, versprochen", flüsterte ich. Ihre grün leuchtenden Augen musterten mich weiter unbeirrt. Als könnte sie durch mich hindurchsehen. Wahrscheinlich war sie damit außer den Ahnen die einzige Person, welche dazu im Stande war. Mitsuri war meinem Blick nach oben gefolgt und unmerklich nähergerutscht: „Wieso bist du eigentlich hier oben?" Ihre Stimme zitterte leicht. Ich blickte sie an: außer ihre Schlafkleidung trug sie nichts. Mensch, sie würde sich den Tod holen! Der Abendwind frischte auf. Also nahm ich meine Jacke und gab sie ihr: „Hier, du brauchst sie wahrscheinlich dringender als ich." Mitsuris Augen leuchteten auf und sie nahm sie schnell an sich. Dann legte sie ihren Kopf auf meine Schulter und rückte noch näher heran: „Du hast meine Frage von vorher noch nicht beantwortet. Wieso bist du hier oben?" Ihr leises Flüstern klang in meinem Kopf unnatürlich laut. Ich zog die Beine näher an meinen Körper heran: „Das weiß ich selbst auch nicht... Es war ein Impuls..." „Denkst du, dass Kyojuro uns gerade beobachtet?", Mitsuris Augen starrten gebannt auf die Sterne. Ich blickte sie schräg von der Seite an: „Ich glaube, dass er immer da ist. Nicht nur jetzt, sondern das er in jedem Augenblick ein Auge auf uns hat." Mitsuris Augen waren geschlossen, ihre Stimme war nur noch ein Hauch: „Ich wünsche es mir..." „Wir sollten wieder runtersteigen, Schlafmütze", meine amüsierte Stimme ließ sie aufschrecken. Ihren Kopf bewegte sie aber keinen Millimeter von meiner Schulter weg: „Nenn mich nie wieder Schlafmütze! Ich bin garnicht m..." Ein Gähnen unterbrach ihre Berichtungspredigt. Ich drückte ihr schnell einen Kuss auf die Wange und stand auf: „Sicher, du bist die Königin des Wachseins." Meine Stimme triefte vor Sarkasmus.

Am nächsten Morgen wachte ich ziemlich zeitig auf. Allerdings entschied ich mich statt wie gestern Abend aufzustehen, einfach liegen zu blieben. Erst blickte ich einige Minuten – vielleicht war es auch eine Stunde lang – starr an die Decke. Schließlich drehte ich mich in Mitsuris Richtung, darauf gefasst, dass sie mit Sicherheit noch schlafen würde. Allerdings saß sie schon aufrecht an die hintere Wand gelehnt, ein Buch lag in ihren Händen. Was war hier los!? Mitsuri Kanroji war nicht nur früher als ich aufgewacht, nein sie laß sogar! „Guten Morgen...", grummelte ich und robbte etwas weiter zu ihr, um vielleicht sogar mitlesen zu können. Sie fuhr so abrupt hoch, dass das Buch fast aus ihrer Hand gefallen wäre: „Mensch, hast du mich erschreckt!" Von ihrer plötzlich schrill klingenden Stimme bekam ich Ohrenschmerzen, lenkte aber die Aufmerksamkeit um: „Was ist das?" Mitsuri gab mir einen liebevollen Nasenstupser: „Ein Buch, würde ich schätzen." „Willst du mich auf den Arm nehmen?", fragte ich gespielt beleidigt, versuchte vergeblich nach dem Buch zu schnappen, welches Mitsuri aber außer Reichweite hielt. Ihre Wangen verfärbten sich zartrosa: „Bitte lies es nicht. Das ist mir peinlich." Ich vergrub die Nase in ihrer Wange: „Nicht mal ein Satz?" Sie schüttelte mahnend den Kopf. Also zog ich einen gespielten Schmollmund: „Du bist echt fies." „Und du eine Nervensäge", Mitsuri hatte das Buch auf ihrem Nachtkästchen deponiert. Ich legte getroffen eine Hand auf mein Herz: „Oh, ich spüre den Schmerz." „Du Quatschkopf!", sie lachte und warf ein Kissen nach mir, welches unglücklicherweise in meinem Gesicht landete. Aber ich flüsterte ihr nur ins Ohr: „Wieso darf ich nicht wissen, über was das Buch handelt?" Hörte ich mich gerade wirklich an, wie ein quengelndes Kind? Mitsuri legte eine Hand auf meine Wange: „Irgentwann sicher, aber nicht heute." Ich ließ meine letzte Bombe platzen: „Dann gibt es heute kein Frühstück." Mit dieser halb schnippischen, halb amüsierten Bemerkung stand ich auf und schlenderte in Richtung Tür. Mitsuris Entsetzen schwang in ihrer Stimme mit: „Das meinst du nicht ernst, oder? Das grenzt an Erpressung!" „Vielleicht", ich grinste sie süffisant an. Aber als ich an ihrem Teil des Bettes vorbeischlenderte, packte sie mich an der Taille und hielt mich fest: „Bitte, ich brauche dein Frühstück, sonst überlebe ich den heutigen Tag nicht!" Sie klang flehend. Ich wirbelte zu ihr herum, drückte sie kurz an mich: „Das war nur ein Witz. Ich werde immer Früstück machen, versprochen." Dann ließ sie mich endlich gehen. Ich öffnete die Tür und betrat das kalte Haus. Es roch nach frischer Farbe, Mitsuri und ich hatten gestern die oberen Zimmer gestrichen. Dann lief ich langsam die Treppe hinunter. Unten war es noch kälter, allerdings wurde es in meinem Herzen wärmer, als ich auf das frisch eingerichtete Wohnzimmer blickte. Es hatte einen gemütlichen Stil mit vielen Wolldecken und einem Karmin, welcher schräg gegenüber dem Sofa stand. Neben dem Sofa gab es einen Durchgang, welcher in die Küche führte. Und die Küche wurde nur durch einen Tresen von dem Esszimmer abgetrennt. Mitsuri war mir gefolgt: „Was gibt es?" „Die Frage ist, was wir dahaben", ich musterte mit hochgezogener Augenbraue die Lebensmittel im Speiseschrank. Mitsuri setzte sich stöhnend an den Esstisch: „Mein Rücken tut mir weh!" Ich lächelte sie schief an: „Das kommt halt davon, wenn man die halbe Nacht lang auf dem Dach sitzt." Schließlich hielt ich ihr eine Packung Eier und Mehl entgegen: „Wie wäre es mit Pfannkuchen?" Sie quetierte es mit einem erhobenen Daumen und einem Grinsen. Also rührte ich Teig an, erhitzte die Pfanne, backte die Pfannkuchen. Mitsuri sah mir die ganze Zeit lang aufmerksam zu und zog den verführerischen Duft ein. Schließlich konnten wir endlich essen. Zu den Pfannkuchen dazu gab es Honig und frische Beeren aus dem Garten.

„Ich werde bis zum morgigen Tag nichts mehr essen", seufzte Mitsuri und ließ sich gegen meine Schulter sinken. Kein Wunder, wenn man bedachte, wieviele Spannkuchen sie gegessen hatte. Ich lächelte: „Ich wette, du hältst es keine 3 Stunden aus. Aber wir könnten einen Verdauungsspaziergang machen, wenn du willst." Ihre Augen leuchteten auf: „Gerne. Aber vorher will ich mich nochmal hinlegen." Ich runzelte die Stirn: „Aber dann ist es doch kein Verdauungsspaziergang mehr." „Ist das nicht egal? Ich gehe immer gern mit dir spazieren."

„Ich glaube, ich bin ausgeschlafen", Mitsuri hatte mir auf die Schulter getippt und mich damit hochschrecken lassen. Ich war soweit in mein Buch vertieft gewesen, dass ich ihre Ankunft garnicht bemerkte. Ich nickte schnell: „Dann gehen wir mal..." Mitsuris Augen waren wieder hellwach, der typische grüne Funke war wieder darin zu erkennen. Sie hatte sich ihre Haare noch einmal neu geflochten, sodass sie nun weniger einem Vogelnest glichen. Außerdem hatte sie ihre bequeme Kleidung gegen einen bestickten Kimono getauscht. Mitsuri hakte sich bei mir unter und wir verließen das Wohnzimmer, gingen durch den Hintereingang, überquerten den Rasen hinter unserem Haus. In der Ferne neigte sich die Sonne schon wieder zum Horizont, lange Schatten zogen über uns hinweg. Ich schätzte die Zeit auf 5 Uhr Abends. Die Bienen summten um uns herum, Mitsuri hatte sich die Mühe gemacht, sie von ihrem alten Zuhause hierher verlegen zu lassen. Ihre Begründung war gewesen, ihr Bruder könnte mit ihnen sowieso nichts anfangen und sie wolle auch hier ihrem Hobby nachgehen. Das ließ mich nachdenken. Hatte ich überhaupt sowas wie ein Hobby? Früher war es das Training gewesen, manchmal sogar noch heute. Wir hatten uns extra Trainingspuppen im Garten unter einem große Kirschbaum aufgestellt, um auch hier trainieren zu können. Aber auf Dauer war Training kein Hobby. Klar machte es Spaß, aber wofür trainierte man überhaupt noch in der heutigen Zeit? Vor sechs Monaten wäre die Antwort leicht gewesen: um die Dämonen besiegen zu können. Aber jetzt? Ich mochte es auch, zu lesen, aber erfüllte es mich auch? Darum sollte ich mir ernsthaft Gedanken machen. Aber nicht jetzt. Wir waren an dem kleinen Bach, welcher sich durch unseren Garten zog entlanggegangen. Vor uns erstreckte sich schon der Teich. Rechts neben uns führte die helle Holzbrücke über den Bach. Mitsuri hatte mich an der Hand genommen und zog mich auf die Brücke. Sie ließ meine Hand los und lehnte sich auf das Geländer, um die Kois unter uns besser sehen zu können. Ich stellte mich dazu, beobachtete ebenfalls die goldenen Körper unter der Wasseroberfläche. Hin und wieder tauchte einer von ihnen auf, hinterließ schwappende Bahnen im Wasser. Mitsuri beobachtete sie mit so viel Interresse, dass es so aussah, als würde sie am liebsten selbst zu einem werden wollen. Ich holte tief Luft: „Mitsuri, ich möchte dir etwas sagen." Sie blickte weiter gedankenverloren ins Wasser und erwiderte schließlich: „Ja Iguro? Was ist de..." Ich nahm sanft ihre Hände: „Mitsuri. Ich habe dich sehr gern. Du bist der wichtigste Mensch in meinem ganzen Leben." Mein Herz klopfte bis zum Hals und ich hatte Angst, sie könnte es hören. Einfach weitermachen: „Es spielt keine Rolle, wie ich mich gerade fühle, denn wenn du da bist, dann verschwinden meine Sorgen und Ängste. Dein Lachen ist das beste Geräusch, dass ich je gehört habe und wenn wir zusammen sind, dann verschwimmen andere Dinge und gleiten in die Ferne. Du kannst über die kleinsten Dinge lachen und du hattest es sicher auf deinem Weg zur Säule nicht einfach, doch du warst immer da, wenn ich dich gebraucht habe, sogar als du schwer verwundet warst, da wolltest du mich nicht alleine lassen und für alle diese Dinge danke ich dir. Ich möchte dich mein ganzes Leben lang beschützen und glücklich machen." Ein tiefer Atemzug entwich mir. Jetzt nicht aufgeben! „Ich liebe dich." Dann kniete ich mich hin. Bitte, bitte, bitte. „Mitsuri Kanroji... Möchtest du meine Frau werden?" Mitsuris hatte die Hände vor ihrem Mund zusammengeschlagen, ihre Augen glänzten. Dann kniete sie sich neben mich, zog mich in eine feste Umarmung, vergrub ihre Nase in meiner Schulter: „Immer... Ich möchte für immer mit dir zusammen sein können." Ich gab ihr einen Kuss auf den Scheitel, meine Stimme war nicht mehr als ein Flüstern: „Das freut mich. Denn mir ging die ganze Zeit lang nicht anders."

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