Nur noch wenige Schritte trennten mich vom Ausgang. Ich sah ihn nicht, doch ich spürte ihn. So merkwürdig mir der Gedanke erschien, ich wollte überprüfen, ob ich hier noch rauskam, bevor ich mit Birinjir verschwand, ob er wollte oder nicht. Wobei ich ihn so oder so festhalten würde, ob ich hier rauskam oder nicht. Das wäre meine wirkungsvollste Waffe.
Auch wenn ich nicht wusste, wie man jemanden mit sich durch die Welten zog, gerade jetzt, da sie sich voneinander entfernten, musste ich es tun. Hier konnte ich unmöglich gegen Arokin ankommen, aber sicher würde er mir folgen, hätte ich seinen Berater oder welche Rolle auch immer Birinjir einnahm, bei mir. Er war wichtig für ihn, das wusste ich.
Ich würde es schon schaffen. Wer, wenn nicht ich? Und doch war mir klar, dass ich hier an diesem Ort versagte. Weil das hier Arokins Ort war, nicht meiner. Weil er so viel mehr Macht besaß als ich.
Fest stand nur, er würde büßen! Oh und wie er das würde!
Als ich mit den Händen gegen die Wand fasste, war ich nicht sonderlich überrascht, als sie auf harten Fels stießen. Immerhin war es meine Macht, die dieses Gefängnis erschuf. Dennoch wollte ich es selbst fühlen. Um sicher zu sein.
Gewissermaßen hatte ich mich selbst gefangen. Schon wieder so eine Ironie.
„Du willst mich nur hier behalten, damit Arokin auch mich kontrollieren kann! So wie dich. So wie alle hier!" Bestimmt wäre ihm das gelungen, wäre ich Sarah gewesen. Doch wie ich es ihm gesagt hatte: Ich war sie nicht mehr. Nicht mehr nur. Ich war mehr als die Tochter, die froh war, ihren Vater wiederzusehen.
Krächzen drang an meine Ohren. Nicht das eines einzelnen Raben, sondern das von vielen. Hunderten. Langsam drehte ich mich um. Weg von der Wand und hin zu ihnen.
Mein Herz begann, schneller zu schlagen. Das erste mal seit Langem spürte ich einen Anflug von Panik. Mein Gesichtsfeld verkleinerte sich. Es war schwer, Sauerstoff aus der Luft zu bekommen. Es kam mir vor, als würde das Feuer jeglichen Sauerstoff verbrauchen, den ich benötigte. Ich wusste nicht mehr, was ich machen sollte. Es gab für mich keine Möglichkeit zu entkommen.
Hilfe! Der Ruf überschlug sich in meinem Kopf, hallte wie ein Echo wider. Prallte von den Wänden ab, um dann immer und immer wieder durch meinen Kopf zu rasen. Jedoch gab es keinen winzigen Spalt, durch den er entkommen konnte. Er saß in der Falle.
Das Feuer war nicht mehr angenehm, sondern unheimlich. Es ließ Schatten an den Wänden tanzen, tauchte alles in ein Zwielicht und verpestete die Luft mit seinem Rauch, der nun stechend aufstieg. Er brannte in meinen Lungen. Ich schnappte nach Luft. Wie ein Fisch, der an Land gestrandet war und nun langsam und qualvoll erstickte. Meine Beine drohten nachzugeben. Lange würde ich das nicht mehr durchhalten.
Raben flogen in die Höhle. Das hier war also einzig und allein mein Gefängnis! Bis sich eine Wand aus Vögeln um mich herum erhob. Sie verdunkelten alles um mich, doch noch immer spendete das Feuer genug Licht, um sie erkennen zu können. Es waren Schatten, die um mich flogen, gruselig verzerrt durch das spärliche Licht, das hier brannte.
Ich konzentrierte mich auf das Spektakel vor mir, denn nichts anderes war es, um der Panik Herr zu werden. Sie würde mich nicht unterkriegen! Mich nicht klein machen! Die Raben waren nur noch imstande zu fliegen, da sie sich alle gleichzeitig bewegten, als wären sie eins. Es gelang mir, einzelne Federn auszumachen, die langsam zu Boden glitten. Dieser Anblick war fast schön. Oh, würden sie ihnen doch alle folgen! Eine wahre Plage, um die ich mich kümmern musste! Aber wie? Ich konnte nicht. Ich versuchte, einen von ihnen in Gedanken zu erreichen, vielleicht könnte ich dann etwas ändern. Doch auch das ging nicht. Ich saß fest in meinem Kopf.
Wie auf ein unhörbares Kommando landeten sie. Stille kehrte ein.
Nein, ich bekam keine Panik! Ich würde sie alle niedermähen! Dafür sorgen, dass sie ihren Federn folgten! Dafür sorgen, dass sie den verdammtesten, dunkelsten Platz im Totenreich erhielten! Aber gab es so etwas wie eine Hölle? Egal! Sie würden nicht mehr lange hier sein!
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Lihambra - Geheimnis der Raben
FantasíaSarah hat es in ihrem Leben nicht leicht. Nach dem Tod ihrer Schwester wird sie immer wieder von der Trauer eingeholt. Aber all das rückt in den Hintergrund, als wenige Tage vor ihrem Schulabschluss ein neuer Schüler in die Klasse kommt. Zeitgleich...